Freitag, 10 Uhr im Wiener Prater. Die Sonne blitzt zwischen den Gondeln des Riesenrads hervor, die Vögel zwitschern, aus den Lautsprechern tönt klassische Musik. Ein paar wenige flanieren bereits zwischen den geschlossenen Fahrgeschäften und Imbissbuden umher. Immer wieder sind laute Bohr- und Hämmergeräusche zu vernehmen, weiße Lieferwägen fahren vorbei – der Vergnügungspark putzt sich heraus. Bald wird mit der Saisoneröffnung des Schweizerhauses die Hauptsaison eingeläutet und ausgelassen gefeiert. Davon merkt man eine Stunde zuvor aber noch nichts.

Besser als Dosenbier

10.30 Uhr. Clemens und Josef aus Tulln sind unter den ersten Gästen, die vor den dunkelgrünen Toren des Schweizerhauses auf den Einlass um Punkt 11 Uhr warten. Noch gibt es Dosenbier, das frisch gezapfte Budweiser-Krügerl im Schweizerhaus um 5,90 Euro schmecke deutlich besser, werden sie später resümieren. Die beiden gehören zur Minderheit, die am Freitag in Tracht gekommen ist. Die Mehrheit der Gäste ist leger in Jeans und Frühlingsjacke unterwegs, die Tullner aber sind in Lederhose, rot-weiß kariertem Hemd und Jägerhut gekommen.

Premiere bei der Saisoneröffnung des Schweizerhauses für die Tullner Clemens und Josef
Premiere bei der Saisoneröffnung des Schweizerhauses für die Tullner Clemens und Josef.
Regine Hendrich

Je mehr Minuten vergehen, desto mehr Menschen versammeln sich vor dem Lokal, das seit über 100 Jahren von der Familie Kolarik geführt wird. "Eine Institution" nennen es einige der Anstehenden. Viele kommen bereits seit Jahrzehnten hierher. Das Bier sei besonders süffig, es enthalte weniger Kohlensäure als üblich. Beim Blick in die Menge vor dem Lokal fällt sofort auf: Es sind vor allem die Augen älterer Männer, die einen ansehen. "Eh klar, die Pensionisten sind die, die heute Zeit haben", erklärt Rudi, der mit seinen Bekannten einen der begehrtesten Tische, gleich neben der Schank "am Bahnhof", reserviert hat. Der Gastgarten des Schweizerhauses ist nämlich in Bezirke aufgeteilt, die Bereiche im Inneren heißen unter anderem "Gloriette", "Prater Au" und "Belvedere". Und der beste Platz, das bestätigen eingefleischte Schweizerhaus-Geher, sei eben der Bahnhof. Da brauchen die Kellner mit dem frisch gezapften Bier nämlich keine weiten Strecken zurücklegen.

"Heit eskalier' ma!"

10.59 Uhr. Eine Minute noch bis zur Eröffnung. Ob die Kellner nervös seien? Nein, alles nice und easy – bis auf ein paar Kleinigkeiten sei alles problemlos verlaufen, erklärt einer der Mitarbeiter. Dann um Punkt 11 Uhr ertönt das Klingeln einer Glocke. Das Personal steht im Gastgarten Spalier. Die Gäste strömen hinein. Es gibt tosenden Applaus, die Stimmung ist ausgelassen. Das tschechische Musikquartett Motovidlo gibt traditionelle Frühschoppenmusik zum Besten. Nach zehn Minuten reißt der Menschenstrom beim Eingang ab, fast alle haben einen Platz gefunden. Die ersten Krügerln und Stelzen werden zu den Tischen gebracht. "Prost!", ertönt es von allen Ecken und Enden des Gastgartens.

Hochbetrieb an der Schankanlage - die Kellner warten auf frisch gezapftes Bier.
Hochbetrieb an der Schankanlage– die Kellner warten auf frisch gezapftes Bier.
Regine Hendrich

Bei der Schankanlage stehen die Kellner in einer Schlange an und warten bis zu zehn Minuten darauf, ihre Tablette mit 15 Krügerln zu füllen. "Heit eskalier' ma!", ruft einer vom hinteren Ende der Schlange seinen Kollegen zu. Hin und wieder verirrt sich auch ein antialkoholisches Getränk auf das Tablett. Aber es zeigt sich eine klare Tendenz: Die Mehrheit der Gäste ist wegen Bier und Stelze da. So auch Toni Schmid, der seit 60 Jahren Stammgast im Schweizerhaus ist. "Wir kommen auch bei Minusgraden", erklärt er. Früher habe er mehr vertragen, heute trinke er ein paar Bier und setze sich dann ins Taxi. Entgehen lassen wollte sich Toni den heutigen Tag aber auf keinen Fall.

Seit 19. Juni 1964 dabei: Toni Schmid aus Wien. Ihm schmecke das Bier hier am besten.
Seit 19. Juni 1964 dabei: Toni Schmid aus Wien. Ihm schmecke das Bier hier am besten.
Regine Hendrich

Neues Pratermuseum

Abseits von all dem Trubel im Schweizerhaus hat am Freitag auch das neue Pratermuseum seine Türen geöffnet. Es ist vergleichsweise ruhig in dem Gebäude, das sich zwischen einem Sportwettenlokal und einem Imbiss nahe des Prater-Haupteingangs einreiht. Ob ihnen das Schweizerhaus die Show stehle? Die beiden Mitarbeiter bei der Kasse schmunzeln. Einer sagt: "Die werden dann schon kommen, wenn's dunkel wird." Im Inneren riecht es noch neu, nach Holz und Farbe. Ein riesiges Wimmelbild des Praters bedeckt die gesamte linke Wandseite des Foyers. Dieser Bereich kann auch als Durchgang genutzt werden und verbindet die Straße des Ersten Mai mit dem Eduard-Lang-Weg, der zum Riesenrad führt.

Das Foyer des Museums lädt zum kurzen Verweilen ein.
Das Foyer des Museums lädt zum kurzen Verweilen ein.
Regine Hendrich

Auf zwei Stockwerken ist die über 250 Jahre andauernde Geschichte des Praters konserviert. Sie war nicht immer schön – "mah, is' des makaber" hört man einen der ersten Besucher seiner Begleiterin zuflüstern. Nicht nur Kultobjekte wie der Watschenmann sind hier ausgestellt, auch die dunkle Vergangenheit des Vergnügungsparks wird beleuchtet und aufgearbeitet. Beispielsweise wurden Menschen mit Behinderungen dem Publikum in Schaubuden vorgeführt und beschimpft. Das erste Fazit eines weiteren Besuchers lautet: "Gut, dass es jetzt so zentral ist." Zuvor war das Museum in einem Raum des Planetariums, abseits der vielfrequentierten Pfade, untergebracht.

Ende in Sicht

14.30 Uhr. Während andere noch die Saisoneröffnung mit Bier und Stelze feiern, denkt Stammgast Rudi bereits ans Saisonende. "Ich reserviere heute schon wieder für den 31. Oktober", erklärt der Pensionist. Bis dahin ist das Schweizerhaus jeden Tag von 11 bis 23 Uhr geöffnet. Während der Saison können alle einen Tisch reservieren. Am ersten und letzten Tag ist das nur möglich, "wenn ma' wen kennt", erklärt eine Mitarbeiterin am Eingang. Vitamin B für eine Tischreservierung also – genauso österreichisch wie übermäßiger Alkoholkonsum und chronisch erhöhter Cholesterinspiegel. (Antonia Wagner, 15.3.2024)