Oberlaa, Tanzen, Boogie
Es ist der Rhythmus, bei dem man mitmuss: In der Panoramaschenke wird Boogie getanzt.
Helena Lea Manhatsberger

"Sie sollten einmal Boogie tanzen gehen in die Panoramaschenke!“, sagte voriges Jahr ein älterer Herr auf dem Flohmarkt zu mir. Wo zur Hölle ist die Panoramaschenke? In der Filmteichstraße im Kurpark Oberlaa, informierte mich das Internet, dort findet regelmäßig "Rono’s Tanzabend" statt.

Ich verabrede mich mit einer tanzwütigen Freundin, die sich sonst auch furchtlos in die Landdiskotheken im Salzburgischen wagt, um dem Discofox zu frönen. Sie reserviert einen Taxitänzer („Beitrag 5,– Euro für Solodamen“), und ich mache mich auf den Weg. Per Bus geht’s vorbei an Gemeindebauten, Tankstellen, Self-Storage und Vorstadtfabriken.

Die Filmteichstraße ist mit Betonblöcken gegen Autoraser abgesichert, bei denen sie zum Leidwesen der Nachbarschaft zu beliebt war. Wo ist hier eigentlich das Panorama, liebe Schenke, frage ich mich, die schönste Aussicht haben die leerstehenden Häuser des Musterhauszentrums Wien-Oberlaa. Weil ich zu früh dran bin, schaue ich noch zum namensgebenden Filmteich im Kurpark. Ganz früher waren hier Ziegelgruben – deshalb all die Teiche. Milliarden Ziegel wurden jährlich für die Ringstraßenprunkbauten produziert, bezahlt wurden die Arbeiterinnen und Arbeiter in Blech. Später wurden hier in den 1920er-Jahren drei Monumentalstummfilme mit tausenden Statisten und Komparsinnen gedreht, darunter Sodom und Gomorrha von Mihály Kertész, der später als Michael Curtiz in Hollywood Karriere machte, Casablanca, eh schon wissen. 1974 wurde der Kurpark durch die Wiener Internationale Gartenschau zum Großpark von rund 608.600 Quadratmetern und mit damals 2,6 Millionen Ausstellungsgästen. Davon ist hier am Sonntagnachmittag Anfang März nichts zu spüren. Ein älteres Paar mit Hund grüßt mich, also bin ich wohl doch ein bisschen auf dem Land.

Zurück geht es zur Panoramaschenke, die den Charme einer Autobahnraststätte versprüht. Hier gibt’s auch den "Tanzabend mit Harry Blümel", "Tischmagie mit dem Zauberkreis Merlin" sowie FM4-Liebling Louie Austen. Noch hält sich beim Boogietanzen der ­Ansturm in Grenzen, dafür bleibt mehr Zeit, um sich einzugrooven. Veranstalter Rono kümmert sich um die Platzverteilung, sein türkisschimmerndes Rüschenhemd unter dem Sakko mit bunten Noten drauf erfüllt mich mit großem Neid. Die Taxitänzer erkennt man an grünen Hosenträgern und weißen Hemden, ein Roland, ein Martin, drei Herren namens Peter sind heute in dieser Funktion tätig. Das Motto ist "60er-/70er­-Jahre (freiwillig)", vor allem die Damen haben viel Freude am Styling.

Nix mit "Just a Gigolo"

Weil die Taxitänzer bereits im Einsatz sind, unterhalte ich mich mit Gabi und Fritz – heute sind sie nur zum Tanzen da, anderswo sind auch sie als Taxitänzerin und Taxitänzer im Einsatz. "Wir tanzen für unser Leben gerne", sagt mir Gabi. Sie wirkt wie ein alter Hase, ­dabei tanzt sie erst seit vier Jahren – seit ihr Mann verstorben ist. Beim Tanzabend wurde sie "herzlichst aufgenommen", ein halbes Jahr später war sie schon auf ihrer ersten Tanzkreuzfahrt, ja, auch die gibt es. Fritz hingegen tanzt, seit er mit 19 Jahren in der Tanzschule war. Seit er in Pension ist, ist er Taxitänzer.

Oberlaa, Tanzen, Boogie
Der musikalische Reigen reicht von Klassikern wie "Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett" bis zu den Flippers.
Helena Lea Manhatsberger

Was hat es damit auf sich? Menschen, die keinen Tanzpartner oder -partnerinnen haben, zahlen entweder geteilt einen Fixbetrag oder leisten sich allein eine Tanzbegleitung – für einen Kurs, Abend oder Ball. Klar: Geteilter Tanzpartner ist halber Tanzpartner, Exklusivität kostet mehr. Taxitänzerinnen und Taxitänzer findet man über Agenturen, es gibt sie ab 40 Euro pro Stunde, Ballkarte und Getränke kommen dazu. Sich beim Tanzen ständig auf unterschiedliche Menschen einzustellen ist gar nicht so leicht. "Gschreckt darfst du auch nicht sein", lacht Gabi. Aber: "Ich bin ja nicht zum Sitzen da." Überhaupt: "Auf den Bällen ist es oft schwierig, als Dame an einen Herrn ­heranzukommen. Da tun sich die Herren sehr viel leichter." Erstens gibt es viel mehr Damen, die tanzen wollen, und zweitens kann es durchaus passieren, dass eine Gattin "so schaut", wenn man ihren Partner auffordert.

Damenwahl

Was ist dran am Mythos vom Eintänzer nach dem Ersten Weltkrieg, wo verarmte Adelige im Besitze eines guten Anzugs und Manieren auf einen Frauenüberschuss im Ballsaal trafen? "Das waren Offiziere, verarmt am Ende der Monarchie, die haben sich damit über ­Wasser gehalten und gehofft, dass sie irgendwo eine Witwe erwischen. Aber wir sind hochseriös. Bei uns geht es wirklich nur ums Tanzen", versichert Fritz. Getanzt wird nicht nur hier, sondern auch in Spillern (Gasthaus Wiemex) und in Stockerau (Kaiserrast). Es gibt nicht mehr viele Wirte, die sich die Mühe machen, Tanzveranstaltungen den Platz einzuräumen, den sie brauchen. Auch Corona war eine große Zäsur für die Szene, erklärt Fritz.

Gabi war Stationssekretärin in einem Seniorenheim. Deshalb geht sie auch in Altersheime tanzen, es gibt dort mehr Damen, "die sind dann so glücklich". Wer in Altersheimen tanzt, braucht "natürlich Gespür. Wenn du Angst hast, die Dame könnte sich verknacksen oder umfallen, bist du dort fehl am Platz", so Gabi.

Oberlaa, Tanzen, Boogie
Wer keinen Tanzpartner mithat, findet hier auch sogenannte Taxitänzer und -tänzerinnen.
Helena Lea Manhatsberger

Sylvia hat immer schon getanzt, so hat sie ihren Ex-Mann kennengelernt. Leicht findet man keinen neuen Tanzpartner, auch auf Partnerschaftsbörsen nicht, erzählt sie. Sie wartet nicht mehr darauf, aufgefordert zu werden, "ich entspreche nicht dem Schema". Die Lösung: der Taxitänzer. Freundin Christine sieht das genauso: Nachdem sie Witwe wurde, hat ihre Tochter sie motiviert. Die Tanzschule war nichts mehr für sie, "da habe ich auch nichts mehr gelernt", und so einen Taxitänzer kann man sich auch zu zweit teilen. Nur einen Herrn haben die Damen nicht gut in Erinnerung, "der hat nur für sich im Spiegel getanzt".

Inzwischen hat sich meine Freundin durch die Herren mit den grünen Hosenträgern getanzt. Irgendwann widmen sich alle unter ­Ronos Anleitung dem Linedance zur öster­reichischen Coverversion von Billy Ray Cyrus’ Achy Breaky Heart (sie heißt Gösndippl, fragen Sie nicht). Ohne Krimi geht die Mimi auch hier nicht ins Bett, wir ziehen unsere Blue Suede Shoes an, und mit Aber Dich gibt’s nur einmal für mich covern die Grubertaler die Flippers, meine Song-Erkennungs-App Shazam ist verwirrt. Am Ende ist es so, dass auch die Fotografin ­mittanzt, wir uns für die Zukunft auf mehr Mut zum Flamingofarbenen einigen – und ich habe beim Verfassen dieses Texts schon Discofox-Playlists im Web gesucht, weil man weiß ja nie, wo der nächste Ausflug hinführt. (Julia Pühringer, 18.3.2024)