Junge Frau mit Kopfhörern sitzt vor einem Laptop und Bildschirm und schreibt Code
Macht KI uns wirklich bald alle zu Programmiererinnen – und gleichzeitig das Lernen von Programmiersprachen obsolet?
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Als die Entwicklerorganisation OpenAI im November 2022 das Sprachmodell ChatGPT veröffentlichte, war das nicht nur ein Schock für Schriftsteller, sondern auch für Programmiererinnen: Denn das Werkzeug kann nicht nur Reden, Gedichte und Essays schreiben, sondern auch Code.

Python, Javascript, Java – der Chatbot beherrscht diverse Programmiersprachen. Man gibt einfach eine Handlungsanweisung, einen sogenannten Prompt, ein, Sekunden später spuckt das Sprachmodell Programmierzeilen aus, die sich in Computersysteme implementieren lassen. Zum Beispiel: "Schreibe mir eine Webseite in html, die einen Lebenslauf darstellt", oder: "Programmiere mir ein Tic-Tac-Toe-Spiel in C++". ChatGPT fungiert sogar als Übersetzer, der menschliche Sprache in Programmiersprache überträgt.

Neben ChatGPT gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Programmierassistenten wie Github Copilot oder Amazon Codewhisperer, die auf Knopfdruck Codevorschläge unterbreiten. Man kann es sich wie die Autocomplete-Funktion in Messengerdiensten oder E-Mail-Programmen vorstellen. Nutzerdaten von Copilot zeigen, dass die Hälfte des Codes mittlerweile KI-generiert ist. Braucht es künftig noch Programmiererinnen und Programmierer, wenn die KI codieren kann und Computer sich irgendwann selbst programmieren?

Stellenabbau im Gang

Facebook, Google, Bosch – zahlreiche Konzerne haben in den vergangenen Monaten Entwickler entlassen. Hochbezahlte Softwareingenieure, die sich vor ein paar Jahren ihren Arbeitgeber noch aussuchen konnten, bangen plötzlich um ihre Jobs. In der Tech-Branche geht die Angst vor Arbeitsplatzverlust um. Nvidia-Boss Jensen Huang schürt diese Sorgen weiter. Auf dem World Government Summit in Dubai sagte er kürzlich: "Es ist unser Job, die Computertechnologie so zu entwickeln, dass niemand mehr programmieren muss. Und dass Programmiersprache menschlich ist."

Vor vier Jahren hatte eine Nvidia-KI einen Klon des Spieleklassikers "Pac-Man" kreiert, nachdem das selbstlernende System 50.000 Stunden Anschauungsmaterial studiert hatte. Die Kinder, so Huang weiter, bräuchten nicht mehr programmieren zu lernen. Jeder in der Welt sei nun eine Programmiererin oder ein Programmierer. In dasselbe Horn blies der ehemalige Google- und Apple-Programmierer Matt Welsh: "Programmieren wird obsolet", schrieb er in einem Kommentar für die Fachzeitschrift "Communications of the ACM" im vergangenen Jahr. Sein Argument: Software werde größtenteils durch KI-Systeme ersetzt, die trainiert statt programmiert werden.

Kritik an Aussagen

Die Äußerungen lassen aufhorchen. Es ist noch gar nicht lange her, da erklärten die Vordenker im Silicon Valley Codieren zur wichtigsten Kulturtechnik, zur Lingua franca des Digitalzeitalters. Bootcamps und Hackathons wurden organisiert, die mächtige Lobbyorganisation Code.org drängte Bildungseinrichtungen dazu, Programmieren in den Lehrplan aufzunehmen. In einer öffentlichen Kampagne riefen Prominente wie Mark Zuckerberg, Bill Gates und Barack Obama dazu auf, Programmieren zu lernen. Und nun? Ist das Thema Informatik schon wieder oldschool? Sollen sich Kinder und Jugendliche noch mit sperrigen Programmiersprachen wie C++ herumschlagen, wenn die KI den Code schreibt?

Die Kritik an Huangs Einlassungen ließ nicht lange auf sich warten. Zu fordern, die Kinder sollten nicht mehr programmieren lernen, sei ungefähr so, als würde der CEO eines Taschenrechnerherstellers fordern, Mathematik vom Lehrplan zu nehmen, schrieb ein Nutzer auf der Plattform X. "Lehrt keine Sprachen, weil wir Übersetzungssoftware haben", spitzte ein anderer zu. Programmieren sei eine Form des kritischen Denkens, und wenn man das an geistlose Computer delegiere, würde dies einen Autonomieverlust bedeuten. Angesichts des Siegeszugs der generativen künstlichen Intelligenz wächst die Sorge vor einem "Deskilling", einem Kompetenzverlust durch KI-Systeme, die Texte schreiben oder programmieren.

Qualität lässt nach

Nun hat es in der Geschichte immer wieder Kulturtechniken gegeben, die der Mensch verlernt hat oder die aufgrund des technischen Fortschritts überflüssig wurden. Dass junge Menschen heute nicht wissen, wie man einen Rechenschieber bedient oder einen Pullover strickt, mag man bedauern, aber dem Verlust handwerklicher Fähigkeiten steht eine digitale Alphabetisierung auf der Habenseite gegenüber. Wer Auto fährt, bedient einen rollenden Hochleistungsrechner, in dem 100 Millionen und mehr Zeilen Programmcode stecken. Und so wie ein Fahrassistenzsystem dem Fahrer hilft, kann ein Programmierassistent die Produktivität von Entwicklern steigern. Die Frage ist nur, um welchen Preis.

Eine aktuelle Studie von Gitclear ("Coding on Copilot") deutet darauf hin, dass die Qualität von KI-generiertem Code eher abnimmt. Die Autoren identifizierten eine Zunahme von "churn code" (auf Deutsch "durchgeschüttelter oder zerwühlter Code"), also Programmzeilen, die nachträglich bearbeitet oder gelöscht werden müssen. Der Grund: Die KI-Systeme neigen zu Redundanz – und verstoßen damit gegen das eherne Programmierprinzip "Don't repeat yourself". Die KI produziert sehr viel, aber vor allem schlechten Code. So schnell wird den Programmierern die Arbeit erst einmal nicht ausgehen. (Adrian Lobe, 18.3.2024)