Fischer, Klimawandel
Der Fischer Wolfgang Schröder und sein Team bei einer frühen Ausfahrt auf dem Gülper See in Deutschland. Gefangen werden vor allem Brasse und Karpfen.
Sascha Montag/Zeitenspiegel

Morgennebel liegt in der Luft und das Geschrei von Gänsen, als Fischer Wolfgang Schröder ablegt, fünf Mann, vier Boote. Die Boote sind zu einer Insel vertäut. Unter dem Tuckern von zwei Außenbordmotoren driftet sie durchs dämmrige Havelland, rund 50 Kilometer nordwestlich von Berlin.

Viel ist schon vorbeigetrieben an der Fischerei Schröder im Fluss der Jahrzehnte. Die Weimarer Republik. Zwei Weltkriege. Die DDR. Der Familienbetrieb konnte sich immer über Wasser halten. Wolfgang Schröder, Jahrgang 1966, führt ihn in vierter Generation. Doch wenn er den Blick in die Zukunft richtet, legt er seine Stirn in Sorgenfalten. "Als Fischer siehst du die Natur anders als als Landwirt", sagt er. "Der Landwirt macht sich die Natur untertan. Ich muss auf die Natur achten, mich an ihr orientieren."

Fehlende Hochwasser

Altbekannte Orientierungspunkte aber schwinden. Die Stechmücken beispielsweise, die Abend für Abend ausschwärmen, werden immer weniger, erzählt Schröder. Prima, könnte man meinen. Schlecht, sagt Schröder. Weniger Regen. Weniger Feuchtgebiete für die Mückenlarven. Weniger zu fressen für den Fischnachwuchs.

Gerade der Hecht braucht das Frühjahrshochwasser, die überfluteten Wiesen, auch als Laichgründe. Darauf war früher Verlass. Doch seit einigen Jahren wird das Frühjahr immer trockener. "Es gibt keine Hochwasser mehr", sagt Schröder.

Was Binnenfischer schon seit längerem zu spüren bekommen, dämmerte vielen anderen Menschen in den zurückliegenden "Jahrhundertsommern" – die eben genau das, Jahrhundertereignisse, nicht länger sind: Der Klimawandel ist kein abstraktes, fernes Phänomen mehr. Er geschieht im Jetzt.

Flüsse und Seen verändern sich

Auch unter der Wasseroberfläche schreitet die Veränderung voran – nicht nur in den Korallenriffen, ebenso in den Flüssen und Seen in Deutschland, aber auch in Österreich.

Wie grundlegend sich diese Lebensräume wandeln, verdeutlicht eine 2021 im Fachmagazin Nature veröffentlichte Studie zu Hitzewellen in Seen. Forschende hatten dafür hunderte Gewässer weltweit betrachtet und festgestellt: Hitzewellen bringen immer höhere Temperaturen – und dauern immer länger. Ende des Jahrhunderts, so die Modellrechnung, dürften sie nicht mehr durchschnittlich eine Woche, sondern mehrere Wochen oder sogar einige Monate anhalten.

Mehr Hitze, weniger Sauerstoff: Die eingespielten Ökosysteme werden komplett umgekrempelt, mit fatalen Folgen. Denn Seen sind weitgehend geschlossene Systeme. Einigen Süßwasserfischen wird es ergehen wie den Eisbären. Wenn sich ihre Welt verändert, können sie nicht einfach weiterziehen.

Kein Eis im Winter

Ein stürmischer Herbsttag in Friedrichshagen, am östlichen Stadtrand Berlins. Wolken ziehen über den Himmel wie im Zeitraffer. Etwa 300 Meter vom Nordufer des Müggelsees schaukelt etwas zwischen den Wellen, das anmutet wie ein auf ein Floß platziertes Tiny House. Es ist eine Messstation, die zu den weltweit wichtigsten für die Langzeitbeobachtung von Seen zählt. Betrieben wird sie vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, kurz IGB. Es hat seinen Sitz direkt am Seeufer.

"Im globalen Schnitt hat sich das Oberflächenwasser von Seen seit Anfang der Achtzigerjahre alle zehn Jahre um 0,3 Grad erwärmt", erklärt die Biologin Rita Adrian vom IGB. Der Müggelsee, ein im Mittel kaum acht Meter tiefer Flachsee, erwärmte sich sogar fast doppelt so schnell. "Heute ist er im Schnitt fast vier Wochen kürzer zugefroren als noch vor dreißig, vierzig Jahren. Wir haben immer öfter auch Winter ganz ohne Eis."

Das Klima, das damals in Berlin herrschte, ist inzwischen nach Südschweden "gewandert". Bis zum Ende des Jahrhunderts, prognostiziert Adrian, werden die klimatischen Bedingungen am Müggelsee sein wie heute in Norditalien.

Von CO2-Senken zu CO2-Quellen

Wenn Seen sich erwärmen, werden sie andere Gewässer. Mit einem anderen, so nennen Fachleute das, thermischen Regime. Mit anderen Tieren und Pflanzen. Bei manchen Seen ändert sich durch den Klimawandel auch ihre Rolle für den Klimawandel. Statt ihn zu bremsen, werden sie ihn zusätzlich beschleunigen. Verdunstet beispielsweise durch die Wärme mehr Wasser, können Uferbereiche trockenfallen. "Das dortige Sediment besteht in der Regel vor allem aus organischer Substanz", so Adrian. "Der Kontakt mit dem Luftsauerstoff setzt einen mikrobiellen Abbau in Gang. Dadurch wird CO2 freigesetzt." Seen, die CO2-Senken waren, werden zu CO2-Quellen.

Ein weiteres Beispiel: Ein wärmerer See bedeutet weniger Eis und Schnee im Winter. Also weniger Reflexion von Sonnenstrahlen. Also noch stärkeres Aufheizen des Sees.

Unsichtbare Barriere

Und dann ist da noch die Sache mit der thermischen Schichtung. Rita Adrian nimmt ein Blatt Papier, malt ein großes U. Ein See. Oben auf das U zeichnet sie eine Wellenlinie – und etwas darunter eine zweite. Zwei Wasseroberflächen?

In gewisser Weise, ja. Die untere Linie ist die "Sprungschicht". Im Sommer teilt sie den See. Oben das warme, von der Luft aufgeheizte Wasser. Unten das kalte Tiefenwasser. Je heißer die Luft, je stärker die Hitzewellen, desto undurchlässiger die unsichtbare Barriere. Irgendwann ist es fast, als würden zwei gänzlich getrennte Seen übereinanderliegen. "Da kannst du durchschwimmen", erklärt Adrian. "Aber da findet kein Stofftransport mehr statt." Der Sauerstoff bleibt oben. Die Nährstoffe unten. Diese Situation verlängert sich im Sommer mit dem Klimawandel.

Seen, Klimawandel
Rita Adrian leitet die Abteilung für Ökosystemforschung des Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. Im Hintergrund ist der Müggelsee zu sehen.
Sascha Montag/Zeitenspiegel

Kälteliebende Fische wie Maränen, Quappen oder Saiblinge müssen sich entscheiden zwischen Sauerstoffmangel (unten) und Hitzestress (oben). Auf Dauer geht das nicht gut. In unseren Breiten werden wir diese Arten wohl verlieren, sagt Adrian.

Blaualgen verdrängen andere Arten

Es gibt natürlich auch Klimawandelprofiteure. Die womöglich größten sind Blaualgen. Für die hohen Temperaturen der oberen Seeschicht sind sie wie gemacht – und an die Nährstoffe in der unteren gelangen sie durch einen Trick. Sie verfügen über Gasvakuolen, aus denen sie Luft ablassen können, um abzusinken. Haben sie unten genügend Nährstoffe gesammelt, füllen sie die Vakuolen wieder und steigen auf zum Licht, um Fotosynthese zu betreiben.

Dieser biochemische Fahrstuhl funktioniert derart gut, dass Blaualgen in nährstoffreichen Seen viele andere Arten verdrängen. Ihre grünen Teppiche überwuchern alles. Ihre Toxine können tierischen Seebewohnern wie auch Seewasser trinkenden Landtieren gefährlich werden.

Immer mehr Karpfen

Von "Blaualgenkalamitäten", wie Adrian das nennt, ist Fischer Schröder bislang verschont geblieben. Als er und seine Männer die Fischgründe am Gülper See erreicht haben, teilen sie die Bootsinsel in zwei mal zwei Boote: je eines für die Fischer, eines für den Fang. Wolfgang Schröder dirigiert mit lauten Rufen: "Siehste den umgeknickten Baum am Ufer? Da fährste hin!"

Zwischen den Booten lassen sie, über rasselnde Seilwinden rollend, ein Netz zu Wasser, Zentimeter um Zentimeter. Meter um Meter. Bis es hunderte Meter sind. "So, geht los!", ruft Wolfgang Schröder hinüber zum anderen Bootpaar, als das Netz vollständig im Gülper See verschwunden ist. "Jo!", schallt es zurück. Die Bootpaare steuern mit den Netzenden aufeinander zu. Die Fischfalle schnappt zu.

Händisch holen die Männer immer mehr Fische aus dem Netz. Brassen. Noch mehr Brassen. Und da, ein Karpfen! "Einkellen!", ruft Fischer Schröder. Und schiebt, als wäre es das Kleingedruckte, im leisen Brummelton hinterher: "Die Karpfen werden immer mehr. Eine Folge des Klimawandels."

Viel Futter für Algen

Der Gülper See im Havelland ist ein "grüner" See: trüb, nährstoffreich, algenfreundlich. "Grüne Seen werden mit dem Klimawandel grüner", das ist eines von Rita Adrians zentralen Forschungsergebnissen. Durch die zunehmende thermische Schichtung des Sees sinkt der Sauerstoffgehalt in der "unteren Seehälfte". In der Folge werden durch chemische Prozesse Phosphor und andere Nährstoffe aus dem Sediment am Grund des Sees freigesetzt – eine Art interne Düngung. Die Algen bekommen reichlich zu futtern.

Auf der anderen Seite, so Adrian: "Blau wird blauer", das heißt: klarer. Denn in tiefen nährstoffarmen Seen funktioniert der Selbstdüngungsmechanismus nicht. Hier nimmt die grünliche Algenbiomasse durch die Klimaerwärmung und die längere Schichtung ab.

Komplexe Vorhersagen

Wobei: Man muss, wenn die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten, immer auf Überraschungen gefasst sein. Am Rappbode-Stausee im Harz läuft seit 2021 ein Forschungsprojekt des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Koordiniert wird es von Tom Shatwell und seiner Kollegin Valeria Fárez. Shatwell, gebürtiger Australier, ist einer der Mitautoren der Nature-Studie über Hitzewellen.

Die Anfahrt zu seinem Forschungsobjekt führt ihn über die 106 Meter hohe Staumauer des Sees, die höchste Deutschlands. Rechts der Straße: abgrundtiefe Leere. Links glitzert friedlich der Wasserspiegel. Darunter tummeln sich Forellen und Hechte, Maränen und Karpfen. Der Rappbode-Stausee ist ein tiefer, klarer, blauer See. Infolge der Klimaerwärmung müsste er blauer werden. Eigentlich.

Aber das ist nicht gesagt, so Shatwell: "Seen sind sehr eigen. Es kann sein, dass zwei direkt nebeneinanderliegen und trotzdem komplett unterschiedlich sind." Viel hänge davon ab, was im Einzugsgebiet passiere, aus dem ein See sein Wasser bezieht. "Für alles, was physikalisch ist – Temperatur, Eis, Schichtung –, können wir relativ gute Vorhersagen treffen. Bei allem, was chemisch und biologisch ist, ist das nicht so einfach." Zu komplex.

Analyse von Sedimenten

Modelle zu entwerfen, die dennoch zuverlässige Prognosen erlauben, ist das Ziel der UFZ- und IGB-Wissenschaftler und ihrer internationalen Kolleginnen. Dafür brauchen sie Daten. Möglichst viele.

Um weitere zum Rappbode-Stausee zu gewinnen, locken Shatwell und Fárez ihn in die Falle. Genauer: in Sedimentfallen. Oben offene Röhren, die an Seilen 16 Meter und 55 Meter unter der Wasseroberfläche befestigt sind. "Wir wollen sehen, wie viele Algen im See treiben, wie viele Nährstoffe, wie viel Kohlenstoff", erklärt Shatwell. Einmal im Monat bergen sie die Sedimentfallen für eine Laboranalyse. So wie heute.

"Alles stirbt ab"

Auf der Bootsfahrt zu den Bojen, die die Lage der Fallen markieren, stehen am Ufer Dutzende kahle Fichten Spalier. "Stirbt einfach alles ab", sagt Shatwell. Eine Folge der "Jahrhundertsommer". Die wiederum Folgen haben für den See.

Durch die toten Bäume gelangen mehr Nährstoffe ins Wasser. Womöglich lassen sie den See grüner werden – statt blauer.

Im Wechselspiel von positiven und negativen Rückkopplungen ist eine weitere Wendung möglich. Eine Variable, die den Rappbode-Stausee am Ende doch blauer werden lassen könnte, sind winterliche Kieselalgenblüten. Sie stehen im Zentrum von Shatwells Forschungsprojekt.

Grundwasserspiegel sinken ab

Am Nachmittag, als das Tagwerk von Wolfgang Schröder getan und der Nebel längst strahlend blauem Himmel gewichen ist, gesellt sich ein alter Freund an einen der Gartentische auf der Wiese vor der Fischerei: Rocco Buchta, Leiter des Nabu-Instituts für Fluss- und Auenökologie, das seinen Sitz direkt um die Ecke hat, im havelländischen Rathenow. Bekanntheit erlangte Buchta als "Havelretter", war er doch die treibende Kraft hinter dem größten Flussrenaturierungsprojekt Europas, an der Unteren Havel, die, einst zur Schifffahrtsstraße ausgebaut, inzwischen wieder weitgehend ungebändigt am Gülper See vorbeimäandern darf.

So sehr Buchta die Rückkehr der Havel zur Natur beglückt: Es ist nur eine oberflächliche Freude. In der Tiefe fehlt immer mehr Wasser. Der Grundwasserspiegel in Brandenburg ist binnen weniger Jahrzehnte um mehrere Meter abgesunken. Manche Seen sind nur noch Tümpel. Und die Flusspegel, erklärt Buchta, seien heute an der Unteren Havel ein bis zwei Meter tiefer. "Früher wurde viel mehr Wasser im Boden gespeichert und dann nach und nach an Flüsse abgegeben."

Dürre und Hochwasser

Ein ausgedörrtes, steinhartes Erdreich andererseits kann Niederschläge nicht mehr so schnell aufnehmen – viel fließt auf der Oberfläche ab in die Flüsse. Dürre und Hochwasser, sagt Buchta, das seien zwei Seiten derselben Medaille. "Unsere Landschaft ist heute hochgradig inkontinent. Sie kann das Wasser nicht mehr halten."

Das ist nicht nur verheerend für Flutopfer und für Landwirte, deren Felder verdorren. Das verstärkt die lokalen Folgen der Klimaerwärmung zusätzlich. "Ein feuchter Boden wirkt dank der Verdunstung wie eine Klimaanlage", so Buchta. "Ein trockener Boden erhitzt sich viel mehr."

Doch statt gegenzusteuern, werde wacker weiter das Grundwasser angezapft, vom Braunkohlebergbau, der Landwirtschaft, der Großindustrie, zum Beispiel dem Teslawerk in Grünheide. "Wir kriegen es in der Politik einfach nicht hin, die Dinge abzuschaffen, die nicht mehr zeitgemäß sind", sagt Buchta.

Mit dem Wandel gehen

Nichts an dieser Einschätzung Buchtas ist positiv. Und sie ist wertend gemeint. Zufriedene Mienen dagegen bei den Fischern. Wolfgang Schröder zieht Tagesbilanz. Über den Daumen gepeilt: 900 Kilo Brassen. Ein Zentner Karpfen. Zwanzig Kilo Hechte. Ein paar Krebse. Eine Wollhandkrabbe. Keine Quappe.

"Das ist ein Fisch, der ein Problem mit dauerhaft wärmerem Wasser hat." Noch in den Fünfzigern, sagt Schröder, fing sein Vater im Jahr mehrere Tonnen Quappen.

Die neuen Lokalmatadore, die Brassen, "gelten eigentlich als Beifang". Wegen der vielen Gräten. "Die werden normalerweise entsorgt, landen in Biogasanlagen oder der Müllverbrennung."

Durch einen kleinen Kniff brachte Schröder die Brasse zurück auf den Teller: Erst wird der Fisch, so weit wie möglich, filetiert. Anschließend im Zwei-Millimeter-Abstand geschnitten. "Die restlichen Gräten sind so klein, dass man sie unbemerkt essen kann." Die Idee brachte dem Fischereimeister einen Preis des Bundeslandwirtschaftsministeriums ein und einen Deal mit einer Berliner Bioladenkette.

Fischer Schröder immerhin ist es gelungen, auf den Wandel mit Wandel zu reagieren. Er kann sich erst mal weiter über Wasser halten. (Markus Wanzeck, 17.3.2024)