Für Anlegerinnen und Investoren war der Start ins neue Jahr ein guter. Die Aktienmärkte haben ihre schwungvollen Aufwärtstrends des Vorjahres fortgesetzt und eilten zuletzt von Rekord zu Rekord. Und das nicht nur an der Wall Street, sondern auch in Europa, wo etwa der deutsche oder der französische Leitindex laufend neue Höchstwerte erklimmen. Allerdings geschieht dies in einer Zeit, in der sukzessive die Wachstumsprognosen für das laufende Jahr zusammengestrichen werden.

Vor der Frankfurter Börse ringt ein Bulle, der für steigende Kurse steht, mit dem pessimistischen Bären, der gewissermaßen die Konjunkturflaute widerspiegelt. Wer wird die Oberhand behalten?
IMAGO/Sven Simon

So rechnet etwa das DIW-Institut nun nur noch mit einer Stagnation in Deutschland anstatt wie zuvor mit einem 0,6-prozentigen Wachstum. Selbst die deutsche Bundesregierung ist mit einer 0,2-prozentigen Wachstumserwartung kaum optimistischer. Aber wie passt die anhaltende Tristesse in der Realwirtschaft mit der Party an den Börsen zusammen? Haben sich die Aktienmärkte etwa von der Realwirtschaft abgekoppelt?

Zur Erklärung geben die Experten des Vermögensverwalters Union Investment zu bedenken, dass der deutsche Leitindex Dax keineswegs ein korrektes Abbild der deutschen Wirtschaft ist. "Ursache dafür ist, dass die Unternehmen des Dax weite Teile ihres Umsatzes nicht in Deutschland erzielen", erklärt Benjardin Gärtner, der bei der Investmentgesellschaft den Aktienbereich leitet.

Wenige Zugpferde

Genau genommen erzielen die 40 Dax-Unternehmen überhaupt nur 40 Prozent der Erlöse im eigenen Währungsraum, also der Eurozone. Bei einzelnen Konzernen wie SAP oder Siemens liegt der Anteil nochmals deutlich darunter. Damit wird ein Gutteil der Umsätze in schneller wachsenden Weltregionen erzielt. Zum Vergleich: Für das laufende Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds ein 3,1-prozentiges Wachstum der Weltwirtschaft, zu dem die Industrieländer eine um 1,5 Prozent erhöhte Wirtschaftsleistung beisteuern. Bei den Schwellen- und Entwicklungsländern soll das Plus im Schnitt 4,1 Prozent betragen.

Zudem verweist Gärtner auf einen weiteren Punkt, der ebenfalls dazu beitrage, dass sich der Dax besser entwickle als die deutsche Wirtschaft: "Den Ton im deutschen Leitindex geben nur wenige Konzerne an." Von den 27,1 Prozent Gewinn, die der Dax seit Anfang 2023 erzielt hat, gehen zwei Drittel auf das Konto von nur fünf Unternehmen: SAP, Siemens, Airbus, Allianz und Munich Re. Ohne diese Spitzengruppe beträgt der Zuwachs der anderen 35 Indexunternehmen gerade einmal 9,2 Prozent. "Von deutlichen Kursgewinnen ist in der Breite eher wenig zu sehen", kommentiert Gärtner.

Weniger konjunktursensibel

Dazu kommt, dass der Dax nicht mehr so zyklisch, also konjunkturabhängig ist wie in früheren Zeiten. "SAP ist als Softwarehaus wenig zyklisch, Airbus und die Münchner Rück sind auch weitgehend unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen", sagt Gärtner. Unter den Schwergewichten habe Siemens zwar konjunktursensible Sparten, aber auch andere Konzernteile, die dies nicht seien. "Dass der Dax weniger zyklisch ist als gedacht, liegt zum einen an der erfolgten Anpassung des Börsenbarometers, aber auch an der Umstellung der Geschäftsmodelle in den einzelnen Konzernen."

Schwache Wirtschaft, starke Börse

Einst waren die zyklischen Chemie- und Pharmariesen Bayer und BASF für fast 20 Prozent des Dax verantwortlich. Mittlerweile liegen sie bei einem gemeinsamen Indexgewicht von weniger als sechs Prozent. Derzeit ist SAP mit mehr als zwölf Prozent das am schwersten im Index gewichtete Unternehmen. "Der Dax geht mit der Zeit", sagt Gärtner.

Andere Berechnung

Zudem werden beim Dax als sogenannter Performanceindex – im Gegensatz zu anderen Börsenbarometern – Dividenden in die Wertentwicklung einbezogen. Das macht auf Dauer einen großen Unterschied. Zur Verdeutlichung: Seit dem Hoch von 2007 hat der Index 122 Prozent zugelegt. Dazu haben Kurssteigerungen nur 33 Prozentpunkte beigetragen. Der Rest geht auf das Konto von Ausschüttungen. (Alexander Hahn, 14.3.2024)