David Byrne lässt als Zeremonienmeister im übergroßen Dienstanzug die Hütte beben.
David Byrne lässt als Zeremonienmeister im übergroßen Dienstanzug die Hütte beben.
Foto: A24

Der Himmel ist der Platz, an dem nie etwas passiert. Das singt David Byrne in der Ballade Heaven, und man ahnt – es muss die Hölle sein. Heaven ist der zweite Song in Stop Making Sense. So heißt ein Konzertfilm der Band Talking Heads aus dem Jahr 1984, der jetzt neu digital aufgemascherlt, geföhnt und gelegt in die Kinos kommt. Und das ist tiefgestapelt.

Denn nicht selten wird der Film des Regisseurs Jonathan Demme als bester des Fachs genannt, und das Wiedersehen nach vielen Jahren zeigt deutlich: Bist du deppert, da geht der Deckel hoch. Und zwar beginnt es in dem Moment zu kochen, als Chris Frantz zur Band stößt.

Kunstuni-Typen begründen den Punk

Die Chronologie des Auftauchens der Mitglieder war durchdacht, die Talking Heads waren Kunstuni-Typen, die in der zweiten Hälfte der 1970er in der Musikszene um den New Yorker Club CBGB einen neuen Abschnitt der Musikgeschichte einläuteten: Punk. Dabei waren sie nie Punk im irokesenhaarigen Sinn, nein. Talking Heads traten in Niki-Pullovern und Vertreterhosen auf, als (Under-)Statement wider die in Spandexhosen und Plateauschuhen über die Bühne stelzenden Königspudelrocker der 1970er.

Auch Stop Making Sense beginnt mit einem solchen Understatement. Man sieht Byrnes Schuhe auf dem Weg auf die Bühne des Pantages Theatre in Hollywood, wo der Film aus einem Zusammenschnitt von vier Abenden entstanden ist. Das Geld dafür hat die Band selbst aufgestellt – eine Investition, die sich gelohnt hat: Die Talking Heads wurden mit Stop Making Sense Weltstars. Byrne schlapft da also raus, volles Haus, hat eine Akustikgitarre um und einen Ghettoblaster dabei. Er stellt ihn ab und drückt auf Play, dann beginnt ein Drum-Computer, Byrne greift in die Saiten und spielt Psycho Killer.

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Mit jedem weiteren Song kommt ein weiteres Bandmitglied auf die Bühne: Auf Byrne folgt Tina Weymouth, dann Drummer Chris Frantz, Jerry Harrison komplettiert das Original-Line-up, und bei Found a Job ist die Band warmgespielt. Dann kommen noch die Back-up-Sängerinnen Lynn Mabry und Edna Holt, Perkussionist Steve Scales, Gitarrist Alex Weir und Keyboarder Bernie Worrell – der Deckel bebt bei Slippery People, bei Burning Down the House hebt er ab.

In den USA ist der Film schon im Vorjahr in den Kinos angelaufen, und oft tanzte das Publikum im Saal. Man versteht es: Die Energie, die die Band auf die Bühne/Leinwand bringt, ist immens, die Inszenierung ein Augenschmaus. Byrnes Extravaganz steckt alle an, Frantz schiebt alles an.

Querschnitt des Schaffens

Stop Making Sense bietet einen Querschnitt aus dem Werk der Band bis dahin. Ein schlechtes Lied ist nicht dabei, im Vorjahr erschien erstmals das komplette Konzert mit allen Songs als Doppel-LP – der ursprüngliche Soundtrack war zwar immens erfolgreich, doch stets unvollständig.

Sechs Jahre später war die Band zerstritten und zerfallen und alle auf Byrne beleidigt. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet; und letztes Jahr saß die Band vereint in vielen Kinosälen und in jeder relevanten US-Talkshow und machte Promotion für den vom Produktionsstudio A24 frisch aufgemascherlten Film. Fragen über eine Reunion lächelten sie höflich weg, es gehe darum, ihr Erbe zu pflegen, sagten sie.

Stop Making Sense leistet das auf jeden Fall. Hits wie Life During Wartime haben nichts von ihrer Frische eingebüßt, Kleinode wie This Must Be the Place (Naive Melody), in dem Byrne den berühmten Stehlampentanz vollführt, haben nichts an Charme eingebüßt. Ja, und der riesige Anzug, den Byrne für Once in a Lifetime ausführt, der tut auch noch immer seine Wirkung. Der Film belegt: Es gehört viel öfter getanzt, im Kinosaal. Also. (Karl Fluch, 27.3.2024)