Das Abschreiben ist ein nicht unwesentliches Problem in Sachen akademischer und wissenschaftlicher Integrität – aber längst nicht das einzige.
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Ab Anfang Februar war in Österreich für einige Wochen Pause beim öffentlichen Anprangern von Plagiaten. Stefan Weber, "Plagiatsjäger" und Kommunikationswissenschafter, hatte damals seine Prüfungen der Dissertation und der journalistischen Arbeiten von Alexandra Föderl-Schmid zwar gerade erst begonnen. Dennoch stand sein harsches Urteil über die stellvertretende Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") und ehemalige Chefredakteurin des STANDARD bereits fest. Vor allem rechtspopulistische Plattformen – eine davon hatte Webers Recherchen finanziert – griffen die anschwellenden Anschuldigungen dankbar auf und spitzten sie weiter zu.

Was folgte, ist allgemein bekannt. Zwar erschienen daraufhin zahllose Berichte über Stefan Weber, über seine Praktiken und sein Geschäftsmodell. Die komplexe Problematik der wissenschaftlichen Integrität im Allgemeinen und des akademischen Plagiierens im Speziellen geriet dabei ein wenig aus dem Blick. Ein Versuch der Versachlichung und Kontextualisierung anhand einiger wichtiger Fragen, auf die es in vielen Fällen keine einfachen Antworten gibt.

Frage: Was ist eigentlich ein wissenschaftliches Plagiat?

Antwort: Laut dem österreichischen Hochschulgesetz in der geltenden Fassung liegt ein Plagiat "dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden". Dies umfasse "insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers".

Frage: Was passiert, wenn ein Plagiatsverdacht bei einer akademischen Publikation besteht?

Antwort: Handelt es sich um einen Plagiatsverdacht bei Bachelor- oder Masterarbeiten, dann werden die Prüfverfahren im Normalfall von den Universitäten oder Fachhochschulen selbst durchgeführt. In komplexeren Fällen, vor allem bei Dissertationen oder wissenschaftlichen Publikationen, kann in Österreich seit 2008 die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) eingeschaltet und mit einer unabhängigen Prüfung beauftragt werden. Über Konsequenzen aus dieser Stellungnahme – also eine etwaige Aberkennung eines Titels – müssen die betroffenen Universitäten und Fachhochschulen selbst entscheiden.

Frage: Wie arbeitet die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität?

Antwort: Die ÖAWI wurde 2008 wegen der damals öffentlich diskutierten Plagiatsanschuldigungen gegründet. (Ein Jahr zuvor wurde übrigens auch im STANDARD anlässlich der Dissertation des damaligen Wissenschaftsministers Johannes Hahn die Gründung einer solchen Institution angeregt.) Sie ist als unabhängiger Verein organisiert, zu dessen Mitgliedern alle öffentlichen und acht private Unis, neun Fachhochschulen und eine pädagogische Hochschule, 17 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie vier Forschungsförderer gehören und der sich für die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis in der österreichischen Forschungs- und Bildungslandschaft einsetzt. Das geschieht einerseits durch Prävention – etwa der Erstellung von Richtlinien oder Beratungs- und Trainingstätigkeit. Andererseits hat die international besetzte Kommission für wissenschaftliche Integrität der ÖAWI die Aufgabe, Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Österreich zu untersuchen, sie zu bewerten und gegebenenfalls Vorschläge für Maßnahmen zu unterbreiten. Diese Stellungnahme wird den Verfahrensparteien übermittelt, zum Beispiel jener Institution, die bei der ÖAWI um die Untersuchung gebeten hat.

Frage: Wie funktionieren die Untersuchungen solcher Kommissionen für wissenschaftliche Integrität?

Antwort: Prüfungen durch solche Kommissionen werden im Normalfall durch Fachleute für die jeweilige Disziplin durchgeführt, weil auch die Zitierstandards nicht völlig einheitlich sind und es auch davon abhängt, ob die Arbeit vor fünf oder vor 35 Jahren verfasst wurde. Bei der Beurteilung einer Arbeit bezüglich Plagiaten reiche es nicht, einfach eine Plagiatssoftware drüberlaufen zu lassen, sagt ÖAWI-Geschäftsführerin Sabine Chai. Dann erhält man nur einen Prozentsatz, der noch wenig bedeute. Also müsse man sich jede Stelle im Detail ansehen. Im Extremfall kann sogar ein Kohortenvergleich notwendig sein, also ein Vergleich mit anderen Arbeiten dieses Fachs aus einem ähnlichen Zeitraum. Ein anderes Kriterium, das letztlich auch bei Titelaberkennungen eine wichtige Rolle spielt, ist die Frage der Täuschungsabsicht, die freilich nicht immer eindeutig zu beantworten ist.

Frage: Welche Bedeutung haben Plagiate im Gesamtbereich des wissenschaftlichen Fehlverhaltens?

Antwort: Das Thema Plagiat erhält in der Öffentlichkeit aufgrund spektakulärer Fälle zwar besonders viel Aufmerksamkeit. Für die Wissenschaft ist es aber nur ein Problem unter mehreren, wenn es um gute wissenschaftliche Praxis und Integrität geht. Plagiatsfragen gehören im Grunde zu jenen der guten Zusammenarbeit im Wissenschaftssystem: Wissenschaftliche Leistungen sollen jenen zugeschrieben werden, die sie auch erbracht haben. Das betrifft richtige Zitierungen ebenso wie den korrekten Ausweis von (Co-)Autorenschaften bei Publikationen, wie Sabine Chai erklärt. Bei rund der Hälfte der Fälle, die bei der ÖAWI landen, geht es um Plagiatsverdacht. Für den wissenschaftlichen Fortschritt wichtiger sei die Sicherstellung, dass die publizierten Erkenntnisse und Daten stimmten und nicht manipuliert oder gefälscht worden seien, weil darauf die weitere Forschung aufbaue. Das Problem von Fake-Publikationen fällt in beide Bereiche.

Frage: Verjähren Plagiatsfälle in Österreich?

Antwort: Nein, aktuell nicht, auch wenn es immer wieder Vorstöße in diese Richtung gab und gibt. So wurde ab 2021 in einem Entwurf für das Hochschulgesetz diskutiert, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren einzuführen, nach der ein akademischer Titel nicht mehr aberkannt werden darf. Damals äußerte allerdings der Verfassungsdienst Zweifel, weil man "erschlichene akademische Grade 'ersitzen'" könne. Im Zuge des neuen gesetzlichen Hochschulpakets, in dessen Rahmen auch die wissenschaftliche Integrität neu organisiert werden soll, hat sich der Verband für Universitätsprofessoren und -professorinnen (UPV) Ende Februar abermals für eine Verjährung von Plagiaten starkgemacht, wie ORF.at berichtete. "Auch wenn das politisch – nicht zuletzt durch die Medienwirksamkeit selbsternannter 'Plagiatsjäger' – schwierig zu kommunizieren ist, sprechen etliche sachliche Gründe dafür", hält der Verband in einer Stellungnahme fest. So sei es für Universitäten auch aus "praktischen Gründen" sehr schwierig, Abschlussarbeiten seriös zu überprüfen, die Jahrzehnte zurücklägen. Ein weiteres Problem liegt allerdings auch darin, dass in Österreich extrem viel dissertiert wurde – 2007 wurden noch 17.000 Dissertierende verzeichnet – und dass es bis zu dieser Zeit wenig Problembewusstsein hinsichtlich Betreuung und Zitierpraxis gab.

Frage: Wie viele Fälle von Plagiaten und anderem wissenschaftlichen Fehlverhalten gibt es in Österreich?

Antwort: Dazu liegen nur grobe Schätzungen vor, denn es gibt in Österreich kein Meldesystem, wo alle Anzeigen und Verfahren wissenschaftlichen Fehlverhaltens gesammelt werden. Auch an der ÖAWI kann man nicht sagen, welcher Prozentsatz der Fälle bei der Agentur landet und wie viele von den Universitäten und Fachhochschulen selbst untersucht werden, sagt Sabine Chai. Die Kommission für wissenschaftliche Integrität hat von 2009 bis Ende 2022 insgesamt 229 Anfragen beantwortet. 2022 wurden 33 Fälle verhandelt, von denen 26 zum Abschluss kamen und auch anonymisiert im bislang jüngsten Bericht veröffentlicht wurden.

Frage: Wie viele Aberkennungen von Titeln gab es in Österreich zuletzt wegen Plagiatsfällen?

Antwort: Auch dazu fehlen konkrete Zahlen. Die liegen nur für einzelne Universitäten wie etwa die Uni Wien vor: Hier kam es seit 2005 zu 60 Plagiatsverfahren, von denen 27 mit der Aberkennung von Graden endeten. Zum Vergleich: Pro Jahr werden an Österreichs größter Universität rund 4.500 Abschlussarbeiten (ohne Bachelorarbeiten) eingereicht. Für andere Hochschulen fehlen solche Vergleichswerte. Der deutsche Plagiatsjäger Jochen Zenthöfer kritisierte 2022 in der "FAZ", dass es an der Uni Innsbruck zwischen 2005 und 2021 angeblich insgesamt 31 Verdachtsfälle gegeben habe, von denen kein einziger eine Titelaberkennung zur Folge hatte. Erst im Herbst 2023 wurde dann dem deutschen CDU-Politiker Otto Carstens von der Uni Innsbruck der 2010 verliehene Doktortitel wegen eines Plagiats der eigenen Masterarbeit entzogen; Carstens hat angekündigt, diese Entscheidung der Uni Innsbruck anzufechten.

Frage: Wie viel Öffentlichkeit sollten Fälle des wissenschaftlichen Fehlverhaltens und des Plagiierens bekommen?

Antwort: Das ist eine besonders schwierige und heikle Frage. Was dafür spricht: Viele auch internationale Betrugsfälle sind erst deshalb untersucht worden, weil über sie öffentlich berichtet wurde. Die Thematisierung von Betrug in der Wissenschaft und Arbeiten von Plagiatsexperten wie Stefan Weber oder im Rahmen der deutschen Plattform Vroniplag haben wohl auch dazu beigetragen, das Problembewusstsein an den Universitäten und auch bei Studierenden zu schärfen. Weber argumentiert in seiner Streitschrift "Auf 'Plagiatsjagd'" zudem damit, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf habe, "zu erfahren, welchem Wissenschafter Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Es werden umgekehrt ja auch Preise und Auszeichnungen von Wissenschaftern kommuniziert." Er kritisiert auch die Anonymität von Gutachten in Verdachtsfällen.

Frage: Was spricht für eine vertrauliche Behandlung von Plagiatsfällen und anderen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens?

Antwort: Dass Fälle grundsätzlich vertraulich behandelt werden sollten, sei eine Frage des professionellen Umgangs, argumentiert Sabine Chai. In erster Linie diene das dem Schutz der Person, die den Hinweis gebe, wie auch der beschuldigten Person. Denn man wisse am Anfang nie, wie diese Fälle ausgingen. Verfrühte Veröffentlichungen noch vor Abschluss der Prüfung – noch dazu häppchenweise und ohne die betroffene Person zu informieren – können rufschädigend sein, Karrieren und Leben gefährden oder zerstören. Das zeigte nicht nur der Fall der Journalistin und stellvertretenden Chefredakteurin der "SZ", Alexandra Föderl-Schmid. Ein anderes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit waren die Plagiatsanschuldigungen gegen den renommierten deutschen Rechtsmediziner Matthias Graw, die sich nach Monaten rufschädigender Berichterstattung als kolossale Intrige herausstellten.

Frage: Worum ging es im Fall Graw?

Antwort: Matthias Graw, Ordinarius und Institutsvorstand an der Uni München, wurde Anfang 2022 vorgeworfen, er habe in seiner Dissertation 1987 plagiiert – und zwar aus einem Tagungsband in englischer Sprache, der ein paar Jahre zuvor in Rumänien und der DDR erschienen sei. Stefan Weber und sein deutscher Kollege Martin Heidingsfelder, die auf den Fall angesetzt wurden, erhielten vom Auftraggeber, einem gewissen Otto Z., zunächst ein PDF des fast 400-seitigen Tagungsbandes. Eine gedruckte Version davon war kurz davor auf Ebay angeboten worden. Für Weber und Heidingsfelder war bald klar, dass Graws Dissertation abgeschrieben sein musste. Plagiatsgutachten der beiden gingen auch an die Medien. In der "SZ" etwa forderte Weber die Suspendierung Graws. Im Oktober stellte sich heraus, dass der Tagungsband eine aufwendige Fälschung mutmaßlich von Otto Z. war, der allem Anschein nach keine Kosten und Mühen scheute, um Matthias Graw mit der Intrige zu schaden, was auch über vier Monate gelang. (Klaus Taschwer, 17.3.2024)