Ungarns Premierminister Viktor Orbán trat bei EU-Gipfeltreffen oft als Verhinderer auf. Als Druckmittel nutzte er zum Beispiel sein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine.
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Das Europäische Parlament verschärft im Finale der Legislaturperiode und vor den Europawahlen im Juni nochmals seine Gangart gegen Ungarn wegen der Verstöße gegen EU-Werte und rechtsstaatliche Grundlagen. Der Justizausschuss beschloss in Straßburg mit nur einer Gegenstimme eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die EU-Kommission, weil diese die Auszahlungssperre gegen das Land kurz vor dem EU-Gipfel im Dezember aufgehoben hatte. Um das Verfahren formell einzuleiten, muss nun nur noch das Präsidium des Parlaments unter Vorsitz von Präsidentin Roberta Metsola zustimmen, was als sicher gilt.

Nach Ansicht der Abgeordneten sollte das Geld weiter eingefroren bleiben. Es geht um rund zehn Milliarden Euro, die etwa für Kohäsionsprogramme zur Förderung benachteiligter Regionen vorgesehen sind. Weitere rund 20 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds, die theoretisch für Ungarn auf Antrag zur Verfügung stünden, sind davon nicht betroffen.

Der Fall geht lange zurück. Weil die Regierung in Budapest systematisch gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und gegen die Unabhängigkeit der Justiz verstieß, hatte die Kommission sich 2023 zum drastischen Schritt der Zahlungsverweigerung entschlossen – nicht nur im Fall von Ungarn, sondern auch bei Polen, das damals noch von der nationalkonservativen PiS-Partei regiert wurde. Kurz vor dem EU-Gipfel im vergangenen Dezember machte die Regierung von Premierminister Viktor Orbán dann entsprechende Zusagen, die von Brüssel beanstandeten Regelungen im Justizbereich entsprechend den Vorgaben zu korrigieren.

Bisher nur "technische Zusagen"

Daraufhin hob die EU-Zentralbehörde die Sperre auf. Alles schien wieder auf Schiene. Orbán gab im Gegenzug sein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine auf. Das steht nun wieder infrage. Nach Ansicht der Parlamentarier reichten die "technischen Zusagen" aus Budapest nicht aus, um die Bedenken auszuräumen. Sie wollen Taten bzw. eine konkrete Umsetzung auf nationaler Ebene sehen. Durch die Klage beim EuGH gebe es nun endlich die Möglichkeit, für eine entsprechende Judikatur zu sorgen, wie der 2022 beschlossene Rechtsstaatlichkeitsmechanismus umzusetzen sei.

"Die Kommission hat zu schnell nachgegeben", sagte die Neos-Abgeordnete Claudia Gamon. "Wir lassen uns nicht gefallen, dass EU-Geld nach Ungarn geht, wenn die Bürger dort nicht die gleichen Rechte haben." "Klärungsbedarf" sehen auch die Grünen. SPÖ-Delegationschef Andreas Schieder sieht das Problem darin, dass "Ungarn den Grund der Sperre nicht beseitigt hat".

Das sei auch der große Unterschied zum Fall von Polen, befindet der ÖVP-Abgeordnete Lukas Mandl: "Es gibt massive Probleme auch für Unternehmen, es mangelt im Land an Fairness und Rechtsstaatlichkeit." Ungarn habe zwar die "technischen Bedingungen" erfüllt, aber es mangle der Regierung an Glaubwürdigkeit, sie habe auch in der Vergangenheit Versprechungen immer wieder gebrochen. Das sei auch der Unterschied zu Polen, wo es jetzt eine glaubwürdige Regierung gebe. Erst vor einer Woche hat die Kommission eingefrorene EU-Gelder in dreifacher Milliardenhöhe für Warschau freigegeben. (Thomas Mayer aus Brüssel, 12.3.2024)