Dass sich das freie Internet als dezentraler Ort des gegenseitigen Austauschs und der Information schlecht mit den Ideen von autoritären Regimen verbinden lässt, bekam das belarussische Regime im Vorfeld der Wahl des belarussischen Präsidenten 2020 zu spüren. Der unerwartete oppositionelle Gegenwind, der vom Internet bis in die Straßen von Belarus reichte, führte nicht nur zu ausufernder Polizeigewalt gegenüber den zehntausenden Protestierenden, sondern auch zu Internet-Shutdowns, Zensur und Verfolgung im Internet. So wurden beispielsweise am Wahltag zur Wahl des Präsidenten nicht nur physische Blockaden rund um Minsk von Polizei und Armee errichtet, sondern weite Teile des Landes wurden auch durch partielle Internet-Shutdowns vom Internet abgeschnitten.

Rolle des Internets bei den Protesten 2020

Im Mittelpunkt dieser Proteste stand Sergei Tikhanovsky, der 2019 den YouTube-Kanal "Ein Land zum Leben" (Страна для жизни) gegründet hatte. Anfangs veröffentlichte der Kanal hauptsächlich Interviews, in denen die gewöhnlichen Probleme der belarussischen Bürger:innen beleuchtet wurden. Innerhalb eines Jahres kamen auch immer mehr Akteur:innen der Opposition zu Wort und der Kanal wuchs auf über 140.000 Abonnent:innen, bis Sergei Tikhanovsky schließlich am 7. Mai 2020 auf selbigen YouTube-Kanal seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten ankündigte. 22 Tage später wurde er verhaftet und schließlich im Dezember 2021 zu 18 Jahren Haft verurteilt. Dies stellte einen Verstoß gegen seine kommunikativen und politischen Freiheit dar – und ist auch ein fatales Signal für die Internetfreiheit in Belarus.

Was ist Internetfreiheit?

Im weitesten Sinne versteht man unter Internetfreiheit die Geltung der universellen Menschenrechte im Internet. Es gilt der Grundsatz: Was offline gilt, gilt auch online. Von besonderer Wichtigkeit sind hierbei die Meinungsäußerungsfreiheit, Informationsfreiheit und Medienfreiheit. Beispielsweise erstrecken sich diese Grundrechte im Bereich des Internets auf den Schutz vor Eingriffen durch Zensur, staatliche Überwachung, verteilte Netzwerkangriffe (DDoS attacks), Internet Shutdowns – und auf den Schutz von YouTubern vor Verhaftung.

Die Defizite der Internetfreiheit in Belaruslassen sich insbesondere auf Internet-Shutdowns und Zensur und Verfolgung von Online-Äußerungen zurückführen.
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Konkret geschützt werden diese Kommunikationsrechte in Europa etwa in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). In Österreich bietet daneben der Art 13 des Staatsgrundgesetzes einen noch weiterreichenden Schutz im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit und Medienfreiheit. In Belarus gilt kein österreichisches Recht und – als einziges von 47 europäischen Ländern auch nicht die EMRK. Gebunden ist Belarus an die Kommunikationsgrundrechte trotzdem, da es seit 1973 Partei des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist, dessen Art 19 fast mit gleichem Wortlaut wie der der EMRK, die Freiheit der Meinungsäußerung schützt.

Internetfreiheit in Belarus

Ein guter Anhaltspunkt, um Entwicklungen der Internetfreiheit festzustellen, ist der Freedom of Net Index der NGO Freedom House. Der Index quantifiziert Entwicklungen im Bereich der Beschränkung des Zugangs zum Internet, der Beschränkung des Inhalts und der Verletzung von Nutzer:innenrechte auf einer Skala von 1 (am wenigsten Freiheit) bis 100 (am meisten Freiheit). 2016 erreichte Belarus einen Freedom of Net Wert von 38/100, im Lichte der Proteste in Belarus 2020/21 fiel der Wert auf 31/100. Auch laut der neusten Erhebung im Freedom of Net Bericht 2023 verzeichnet der Index die fortlaufende Talfahrt der Internetfreiheit in Belarus mit einem Wert von 25/100.

Die Defizite der Internetfreiheit in Belarus lassen sich insbesondere auf Internet-Shutdowns und der Zensur und Verfolgung von Online-Äußerungen zurückführen. Internet-Shutdowns oder Internetabschaltungen, sind absichtliche Unterbrechungen des Internets oder der elektronischen Kommunikation mit dem Ziel, Kontrolle über den Informationsfluss auszuüben. Während der Proteste rund um die Wahl des Präsidenten 2020 wurden insgesamt sechs Internet-Shutdowns dokumentiert.

Antiextremismusgesetze

Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit online basiert vorrangig auf einer Reihe von Antiextremismusgesetzen, wie dem Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus, dem Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, dem Gesetz zur Verhinderung der Rehabilitierung des Nazismus sowie der entsprechenden extremismusbezogenen Artikel in den Straf- und Verwaltungsgesetzen. Mit der Novellierung des Gesetzes zur Bekämpfung des Extremismus 2021, wurde der Begriff noch vager ausgestaltet.

Außerdem wurde mit der Einführung des Begriffs extremistische Strukturen anstatt extremistischer Organisationen die Feststellung des Vorliegens solcher Gebilde von Gerichten hin zum belarussischen Innenministerium verschoben. Auf dieser Grundlage lassen sich nun Eigentümer:innen, Administratoren:innen und Anhänger:innen von unliebsamen Online-Ressourcen strafrechtlich verfolgen. Auch das bloße Teilen solcher Inhalte kann Grundlage für strafrechtliche Verfolgung sein.

Zur Identifikation solcher unliebsamen Online-User:innen greifen Behörden vermehrt auf Online-Überwachung zurück, beispielsweise durch fortlaufende Überwachung öffentlicher Social-Media-Kanäle, Hacken privater Geräte oder umfangreiche Datenerfassung. Zusätzlich verbreitet die belarussische Regierung immer häufiger Propaganda online, speziell seit den Protesten 2020/21 ist die Veröffentlichung von Geständnisvideos, in denen Oppositionelle zu Schuldeingeständnissen gezwungen werden, ein gängiges Mittel.

Die Entwicklungen seit 2020 resultieren darin, dass heute beinahe alle nichtstaatlichen Medien aus dem Exil heraus agieren. Mit Ihnen wanderten etwa 250.000 Belaruss:innen aus. Mindestens 3.300 Personen wurden wegen politischer Verbrechen verurteilt, wobei momentan von 1.496 politischen Inhaftierten ausgegangen wird, von denen einige zu zehn Jahren übersteigenden Haftstrafen verurteilt wurden.

Die Rolle von A1

A1 Belarus, bis 2019 Velcom, ist mit 4,9 Millionen Kund:innen, der zweitgrößte Mobilfunkanbieter in Belarus. Seit 2007 ist das Unternehmen Teil der österreichischen A1 Telekom Austria Group. Das Unternehmen und die dahinterstehende österreichische Unternehmensgruppe sieht sich mit der Kritik konfrontiert, bei den Netzsperren rund um die Proteste in Belarus 2020/21 mit der Regierung kooperiert zu haben. Insbesondere wird A1 Belarus vorgeworfen, an der Sperrung oppositioneller Webseiten und kritischer Medien beteiligt gewesen zu sein.

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als auch OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen betonen ganz konkret, dass Unternehmen Menschenrechte zu achten, potenziellen Schaden zu verhindern oder möglichst gering zu halten haben und Wiedergutmachung leisten müssen für Schaden, den sie verursachen oder an den sie beteiligt sind. Als zweitgrößter Mobilfunkanbieter hat A1 eine besondere Verantwortung gegenüber der belarussischen Bevölkerung.

Maßnahmen

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden und damit zumindest ein gewisses Maß an Internetfreiheit in Belarus erhalten bleibt, schlägt #KeepItOn, ein globales Netzwerk, das sich gegen Internets-Shutdowns einsetzt, folgende Maßnahmen vor:

Bisher gab es aber kein Zeichen eines Kurswechsels des Unternehmens, das durch die vielen an Belarus gerichteten Sanktionsrunden der Europäischen Union immer mehr unter Druck gerät. Nachdem Belarus 2022 schon aus dem Swift-System ausgeschlossen wurde und es allgemein zur starken Einschränkung der Finanzflüsse gekommen war, wurden in den neuesten Sanktionsrunden gegen Belarus – auch in Antwort auf Belarus Unterstützung des russländischen Angriffskriegs gegen die Ukraine – nun die Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, fortschrittliche Güter und Technologien, Güter, die zur militärischen und technologischen Stärkung von Belarus oder zur Weiterentwicklung seines Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen könnten und Gütern und Technologien, die für die Verwendung in der Luftfahrt oder Raumfahrtindustrie geeignet sind, unter Sanktion gestellt. Dies erschwert A1 Belarus die Geschäfte am Laufen zu halten, nicht zuletzt, weil laufende Investitionen im Bereich der Telekommunikation und besonders der Ausbau neuer Technologien nur mehr unter großem Aufwand möglich sein wird.

Österreichische Unternehmen – österreichische Verantwortung

Dass menschenrechtliche Belange mehr Gewicht haben als Einzelinteressen bestimmter Unternehmen, versteht sich mit Blick auf die österreichischen verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte von selbst. Doch in Hinblick auf Österreichs Außenpolitik scheinen die im Inland hochgehaltenen Menschenrechte einen geringeren Stellenwert zu haben.

So priorisierte die österreichische Regierung klar den Schutz der Geschäfte der Raiffeisen Bank International (RBI), als sie dem zwölften Sanktionspaket erst zustimmte, als die Ukraine die RBI von der Schwarzen Liste nahm. Auch in Bezug auf Sanktionen gegen Belarus 2021, nachdem ein Ryanair Flug von Belarus zum Landen gezwungen wurde, war Österreich laut EU-Diplomaten bedacht, Geschäfte österreichischer Unternehmen in Belarus nicht zu beeinträchtigen.

Eine klare Positionierung Österreichs hinsichtlich einer wertegeleiteten Außenwirtschaftspolitik erscheint wünschenswert. Einen Vorstoß in diese Richtung stellt beispielsweise die gescheiterte Schweizer Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt" dar. Ziel war es, durch eine Änderung der Verfassung die schweizerischen Unternehmen im Ausland an die Menschenrechte und den Schutz der Umwelt zu binden und im Schadensfall dafür haftbar zu machen.

Auch weniger drastische und, wie sich im Fall der Schweiz zeigt, schwer umzusetzende Maßnahmen wären schon zweckdienlich. Eine kohärente Kommunikation der österreichischen Diplomatie, bei Menschenrechten keine Kompromisse einzugehen, ob auf EU-Ebene, in der Wirtschaftsdiplomatie oder gegenüber österreichischen Unternehmen, wäre zielführend. Anzumerken sei auch, dass Österreich bei der Causa A1 Belarus nicht nur in Angelegenheiten der Gesetzgebung und der Exekutive eine Verantwortung trifft. Die österreichische Beteiligungs AG (Öbag) ist mit einem Anteil von 28,4 Prozent direkt an der Telekom Austria beteiligt und könnte sich somit auch unternehmsintern für die Rechte der Bürger:innen in Belarus einsetzen. (Raphael Wibmer, 14.3.2024)