Hilfsgüter über Nordgaza.
Hilfsgüter über Nordgaza.
AFP/NICOLAS GARCIA

Luftbrücke, da denkt man gerne an die Hilfslieferungen des Westens aus der Luft nach Westberlin, nachdem die Sowjetunion den Zugang zu diesem Teil der deutschen Stadt sperren ließ. Von Sommer 1948 bis Herbst 1949 konnten so die dort blockierten Menschen mit den "Rosinenbombern" versorgt werden. Schon zuvor im Zweiten Weltkrieg und auch danach kam diese Art der Hilfe immer wieder einmal zum Einsatz, wenn es darum ging, von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen Lebensnotwendiges zukommen zu lassen. Die Uno greift darauf seit 1973 zurück.

Im syrischen Bürgerkrieg etwa kam Hilfe aus der Luft; im afrikanischen Krisenherd Südsudan oder im Zuge von Naturkatastrophen immer wieder. All diese Beispiele haben gemein, dass es sich dabei um Gegenden handelt, die man sonst über keinen anderen Weg erreicht. Zu Hilfe aus der Luft, sogenannten Airdrops, wird nun auch verstärkt im Gazakrieg gegriffen. Jordanien und Ägypten führen schon länger Luftbrücken nach Gaza durch, allerdings in kleineren Dimensionen. Am Wochenende haben die USA erstmals und gemeinsam mit der jordanischen Luftwaffe Hilfsgüter über den Küstenstreifen abgeworfen, in dem seit den Hamas-Massakern vom 7. Oktober ein brutaler Krieg tobt.

Noch mehr US-Hilfe angekündigt

38.000 Mahlzeiten wurden am Samstag abgeworfen, erklärte das US-Militär. Am Dienstag erfolgten Airdrops von 36.000 Mahlzeiten, dabei waren auch Ägypten und Frankreich jeweils mit einem Flugzeug beteiligt. Die Lebensmittel hat zum Teil auch das UN-Welternährungsprogramm zur Verfügung gestellt. US-Präsident Joe Biden kündigte an, diese Art der Hilfslieferungen zu forcieren. Und viele fragen sich nun: Wieso braucht es Hilfe aus der Luft für den Gazastreifen? Und ist das überhaupt sinnvoll?

Die Hilfsgüter werden gut eingepackt.
Die Hilfsgüter werden gut eingepackt.
IMAGO/U.S. Air Force

Denn grundsätzlich ist der Gazastreifen, in dem laut UN-Nothilfebüro (Ocha) aktuell 576.000 Menschen "nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt" sind, ja zugänglich. Im Süden von Gaza kommen, nachdem dies Israel lange verhinderte, Hilfsgüter in begrenztem Umfang über den ägyptischen Grenzzugang Rafah und den von Israel kontrollierten Grenzübergang Kerem Shalom via Lkw an.

Diese Hilfe erreicht allerdings nicht den Norden von Gaza, dies lässt Israel bisher kaum zu. Dort leben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 300.000 Menschen mit nur wenig Nahrung und sauberem Wasser. Bei einem Besuch dort habe man Erkenntnisse zu schwerer Unterernährung und zu verhungernden Kindern gesammelt, erklärte WHO-Chef Tedros Ghebreyesus am Montag.

Dutzende Tote

Hinzu kam der tragische Zwischenfall vom Donnerstag, als es bei einer der wenigen Hilfsgüterverteilungen im Norden des Küstenstreifens in Gaza-Stadt zu dutzenden Toten kam. Israels Militär wurde vorgeworfen, auf die Menge gefeuert zu haben. Dieses erklärte Tage später, ein Massengedränge sei die Todesursache gewesen. Man habe lediglich auf jene geschossen, die sich den Soldaten gefährlich genähert hätten.

All das hat nun zu den verstärkten Airdrops geführt. Sie gelten aber nur als die Art der Hilfe, auf die zurückzugreifen ist, wenn gar nichts anderes mehr möglich ist. "Das ist der letzte Ausweg und wird eine Hungersnot nicht verhindern", sagt etwa Carl Skau, stellvertretender Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms. Sie ist sehr teuer, laut WFP kostet sie siebenmal so viel wie die Lieferung über Land. Man benötigt große Frachtflugzeuge, die die Güter dann aus 300 bis 5.600 Metern abwerfen, dazu Treibstoff und entsprechendes Personal. Die Pakete müssen äußerst robust verpackt werden, damit sie die Landung heil überstehen.

Viel zu wenig HiIfe

Normalerweise sucht man dafür große, freistehende Flächen, das ist im dichtbesiedelten Gazastreifen nur schwer möglich. Deshalb versucht man oft, wie zahlreiche Fotos belegen, die Hilfsgüter nahe der Küste abzuwerfen. Die Gefahr ist, dass sie ins Wasser fallen und ins offene Meer geschwemmt werden. Und wie Skau schon andeutet, können über den Luftweg auch nur wenige Hilfsgüter abgeworfen werden. Das ist bei der gewaltigen Not in Gaza viel zu wenig.

Bei den ersten US-Airdrops am Samstag landeten auch einige im Wasser.
Bei den ersten US-Airdrops am Samstag landeten auch einige im Wasser.
AFP/ALINE MANOUKIAN

Schließlich wird auf das große Risiko hingewiesen, wenn Hilfsgüter ohne Kontrolle verteilt werden. Die Airdrops würden dazu führen, "dass unter der notleidenden Bevölkerung das Recht des Stärkeren regiert und keinesfalls gewährleistet ist, dass diese Hilfen besonders vom Hungertod gefährdete Menschen wie Kinder, Frauen, alte Menschen und Menschen mit Behinderung erreichen", sagt unter anderem Oliver Müller, der Leiter von Caritas international.

Tatsächlich gibt es bereits mehrere Videos, auf denen zu sehen ist, wie Menschen um die wenigen Hilfsgüter kämpfen, bisweilen auch mit Peitschen und Holzstöcken. Die BBC konnte mit mehreren Bewohnern von Gaza reden. Einer etwa erzählt: "Hunderte oder tausende Menschen sehen die abgeworfene Hilfe und warten auf sie. Aber nur zehn oder 20 bekommen etwas, der Rest geht leer aus."

Keine kontrollierte Ernährung

Hinzu kommt, betonen Hilfsorganisationen, dass bei lange hungernden oder bereits unterernährten Menschen die Nahrungszunahme vorsichtig und beaufsichtigt erfolgen sollte, alles andere könnte sogar lebensgefährlich sein. Dies ist durch die Hilfe aus der Luft natürlich auch nicht möglich.

Trotz all dieser Nachteile begrüßen viele die Hilfe aus der Luft, dies sei besser als nichts. Doch weit lieber wäre ihnen natürlich etwas anderes: eine Waffenruhe und zusätzliche Hilfskorridore auch in den Norden von Gaza, um den Menschen dort endlich humanitäre Hilfe in großem Ausmaß zukommen zu lassen. Die Verhandlungen laufen, eine Einigung lässt aber auf sich warten.

Hilfe über den Seeweg geplant

Unterdessen wird zur weiteren Unterstützung der Menschen in Gaza an Hilfslieferungen auf dem Seeweg gearbeitet. Laut der Zeitung "Haaretz" will Israel dies erstmals seit Kriegsbeginn erlauben. Dem Bericht zufolge sollen ab Sonntag von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanzierte Güter in Zypern auf Schiffe geladen und von israelischen Behörden kontrolliert werden, bevor sie über das Mittelmeer nach Gaza gebracht werden. Die Organisation World Central Kitchen (WCK) soll diese dann mit Luftkissenfahrzeugen zu einem von der israelischen Armee kontrollierten Dock bringen. Via Schiff lassen sich grundsätzlich rasch große Mengen an Hilfsgütern transportieren.

Auch die EU plant einen Seekorridor auf dem Seeweg, aus diesem Grund wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag und Freitag nach Zypern reisen. Auch will Brüssel eigene Luftbrücken durchführen. Mangels eigener Flugzeuge müsste aber die Uno oder ein EU-Mitgliedsstaat mithelfen. (Kim Son Hoang, 6.3.2024)