Geht es um Alternativen zum Fleisch, scheint es fast nichts mehr zu geben, was es nicht gibt. In den Kühlregalen der Supermärkte drängen sich vegane Würsteln, Leberkäse, Faschiertes und Burgerpattys. Vor einiger Zeit haben es auch vegane Fischfilets dorthin geschafft. Die meisten Produkte, die zurzeit am Markt sind, bestehen aus Tofu, Soja-, Erbsen- oder Weizenprotein.

Künftig könnten die Proteine, um Fleischalternativen herzustellen, aber auch einfach im Bioreaktor erzeugt werden. Mehrere Start-ups im In- und Ausland setzen bereits auf eine solche Technologie.

Eines von ihnen ist Arkeon Biotechnologies aus Wien. Es erzeugt die Proteine durch sogenannte Gasfermentation. Das funktioniert folgendermaßen: In einem speziellen Bioreaktor, der den Tanks beim Bierbrauen ähnelt, schwimmen Mikroorganismen namens Archaeen in einer Salzlösung. Sie ernähren sich von CO2 und Wasserstoff. Durch ihren Stoffwechsel erzeugen sie Aminosäuren und in weiterer Folge Proteine. Diese können als Inhaltsstoffe für Lebensmittel dienen.

CO2 wiederverwerten

Verwendet wird CO2, das von unterschiedlichen Industrien bei ihrer Produktion ausgestoßen wird. Es wird gefiltert, noch bevor es in die Atmosphäre gelangt, erklärt Geschäftsführer Gregor Tegl in einem STANDARD-Interview. Indem die Industrien das CO2 an Unternehmen weitergeben, die es weiterverwenden, könnten sie umweltfreundlicher und nachhaltiger werden. Den Wasserstoff, der für den Prozess benötigt wird, erzeuge man wiederum aus erneuerbarem Strom direkt am Standort.

Eine 150-Liter-Anlage für die Fermentation hat Arkeon bereits in Betrieb. Das Ziel: Gemeinsam mit einem Partner aus der Industrie eine 3000-Liter-Anlage zu bauen.
Arkeon

Das Start-up produziert zwar noch nicht kommerziell, jedoch ist bereits eine Pilotanlage mit einem 150-Liter-Bioreaktor in Betrieb. Aus den Proteinen können etwa Sportgetränke oder Proteinriegel, aber auch Fleischalternativen hergestellt werden. Der Vorteil: Es sei möglich, unterschiedliche Geschmäcker und Texturen von Lebensmitteln zu produzieren.

Das betont auch Christian Zacherl, der am Fraunhofer-Institut in Deutschland zu Fleischersatzprodukten forscht. Er sieht die Fermentationsverfahren als eine "spannende Sache", die aus seiner Sicht jedenfalls Zukunft haben wird. Die Proteinquelle könnte vor allem dort eingesetzt werden, wo Pflanzen an ihre Grenzen stoßen, erläutert er: "Wir können aus Pflanzen zum Beispiel nichts herstellen, das eins zu eins wie Kuhmilch schmeckt – da ist immer eine pflanzliche Note enthalten." Im Gegensatz dazu könne bei den Fermentationsverfahren ein neutraler Geschmack entstehen.

Unabhängig vom Land

Ein weiterer Vorteil: Die Lebensmittel aus dem Labor sollen unabhängig von industrieller Landwirtschaft sein und weniger Energie verbrauchen. Das hebt auch das niederländische Start-up Farmless hervor, das mit einer ähnlichen Technologie arbeitet. Die Produktion benötige kein Land und es würden keine Tiere dabei getötet, betont das Team rund um den Physiker Adnan Oner. In einer unsicheren Zeit sei die Fermentationsplattform eine Lösung für mehr Ernährungssicherheit, sagt Oner.

Aus CO2, Wasserstoff, Stickstoff und erneuerbarer Energie macht das niederländische Start-up Farmless sein essbares Protein.
Farmless

Durch die Technologie könne der Fleischkonsum in Zukunft drastisch zurückgefahren werden, behauptet das Unternehmen auf seiner Website. Landwirtschaftliche Flächen könnten wieder der Natur überlassen, der Planet aufgeforstet und dem Verlust von Biodiversität entgegengewirkt werden. Das Start-up meint sogar, dass seine Technologie CO2 in der Größenordnung von mehreren Gigatonnen binden kann. Aktuell plant Farmless mit Investorengeld eine Pilotproduktion in Amsterdam und arbeitet an ersten Produkten.

Eine Nische

Bis diese in der EU zugelassen sind, könnte es jedenfalls noch zwei oder drei Jahre dauern, sagt Experte Christian Zacherl. Eine Unsicherheit sei, wie gut solche Produkte tatsächlich von Konsumentinnen und Konsumenten angenommen werden. "Es gibt immer Menschen, die etwas ausprobieren wollen, aber ob man damit eine kritische Masse erreicht?"

Verena Schwab ist Mitgründerin und Geschäftsführerin des in Graz ansässigen Start-ups Econutri, das ebenfalls mittels Gasfermentation essbare Proteine herstellt. Ihr zufolge ist alles eine Frage der Kommunikation. Wie man die Menschen über den Prozess informiert, sei entscheidend dafür, wie gut sie solche Lebensmittel einmal annehmen werden, sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD.

Mithilfe von Wasserstoff und Mikroorganismen verwandelt Econutri schädliches Kohlendioxid in Proteine.
Econutri

Fraglich ist für Experte Christian Zacherl allerdings auch die Wirtschaftlichkeit – die Kosten solcher Fermentationsverfahren seien womöglich hoch. Er glaube nicht, dass diese alternativen Proteine "vom Kostenfaktor her mit Sojaproteinen, Reis, Mais oder Weizen konkurrieren können". "Pflanzen wachsen am Feld, werden vom Regen bewässert, von der Sonne beschienen, vom Kohlendioxid gedüngt. Sie brauchen nichts." Dem Experten zufolge werden pflanzliche Fleischalternativen weiterhin die wichtigste Alternative zum Tier sein und andere Alternativen eine Nische.

Auch künftig werden sie 90 Prozent der Fleischersatzprodukte ausmachen, prognostiziert Zacherl. "Sie sind günstig, bekannt, der Mensch vertraut der Pflanze." Die Qualität der Produkte habe sich in der relativ kurzen Zeit, in der sie am Markt sind, deutlich weiterentwickelt – und hätten noch viel Potenzial.

Fleisch als Umweltbelastung

Dass es beim Fleischkonsum dringend ein Umdenken braucht, legen auch wissenschaftliche Erkenntnisse nahe. "Obwohl sie nicht einmal ein Fünftel der Nahrungsenergie liefern, haben tierische Produkte die größten Treibhausgas-Emissionen und gravierendsten Auswirkungen auf Land, Wasser sowie die Artenvielfalt", sagen beispielsweise Forschende des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg.

Entsteht Fleischersatz im Bioreaktor, braucht es dazu keine landwirtschaftlichen Flächen.
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Mittels Modellberechnungen versuchten sie herauszufinden, welche Auswirkungen es auf Klima und Umwelt hätte, wenn statt Lebensmitteln aus Tierhaltung teils vegane Ersatzprodukte konsumiert würden. Das Ergebnis der Studie, die vergangenes Jahr im Fachblatt "Nature Communications" veröffentlicht wurde: Würden weltweit die Hälfte aller Tierprodukte durch Ersatzprodukte ersetzt, würde die Landwirtschaft um ein Drittel weniger Treibhausgase ausstoßen. Außerdem könnten die weltweiten Rodungen und Naturlandschaftszerstörungen dann beinahe gestoppt werden, so das Team um Marta Kozicka.

Rindfleisch zu ersetzen hätte den größten positiven Einfluss. Würden viele Produkte gleichzeitig ausgetauscht, käme es zusätzlich zu Synergieeffekten, also die positiven Effekte würden sich gegenseitig verstärken. Dann könne man einen Teil der derzeit landwirtschaftlich genutzten Fläche wieder aufforsten. "Dadurch würden sich die klimarelevanten Vorteile verdoppeln, und 92 Prozent des früher berechneten Treibhausgas-Einsparpotenzials der Landwirtschaft wären erreicht", schrieben die Forschenden. (Lisa Breit, 18.3.2024)