Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah griff jüngst zu deutlichen Worten: Wenn die Situation eskaliere, dann "wird der Himmel über Israel schwarz vor Raketen". Schon seit dem 7. Oktober liefert sich die schiitisch-libanesische Miliz, die massiv vom Iran unterstützt wird, tägliche Kämpfe mit der israelischen Armee an der israelischen Nordgrenze. Das bindet israelische Kräfte. Und es zwang rund 80.000 Israelis, die zuvor im Norden des Landes gewohnt hatten, in die Flucht. Sie leben seither in Hotels in anderen Teilen des Landes. Die große Eskalation aber, jener Krieg, über den Nasrallah in seinen Drohungen spricht, ist bisher ausgeblieben. Weder Israel noch der Iran wollten eine solche Konfrontation, heißt es – zugleich können beide nicht wirklich zurück.

Das rückt ein Land ins Zentrum, das schon in den vergangenen Jahren als akuter Krisenstaat gegolten hatte: Für den Libanon kommt neben der politisch-konfessionellen Lähmung des Landes, der Müll- und Energiekrise, dem Wirtschaftscrash und den Folgen der massiven Ammoniumnitrat-Explosion im Hafen von Beirut 2020 noch die Kriegsgefahr hinzu. Glaubt man einem CNN-Bericht, fürchten die USA noch vor dem Sommer eine Offensive Israels, sollte sich das Problem nicht diplomatisch lösen lassen. Latent war die Kriegsgefahr auch in den vergangenen Jahren stets da – nun aber wird sie zunehmend akut. Sollte ein Kampf ausbrechen, würde er, so vermuten es alle Fachleute, den aktuellen Krieg in Gaza weit in den Schatten stellen.

Jeden Tag Scharmützel gibt es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon.
AFP/KAWNAT HAJU

Die Hisbollah könnte Israel deutlich mehr an Material, mehr und professionellere Raketen, aber auch besser trainiertes Personal entgegensetzen als die Hamas. Ein solcher Krieg würde sich auch kaum auf die aktuelle Kampfzone an der Grenze beschränken – und jene Libanesinnen und Libanesen bedrohen, die sich schon bisher in Geiselhaft ihrer heillos zerstrittenen politischen Klassen befinden. Der israelische Armeesprecher Arye Shalicar stellte die Situation am Dienstag vor Journalisten pessimistisch dar. "Das ist wie ein Schneeball, der zunächst langsam rollt und mittlerweile schnell", sagte er.

Schutzausrüstung nun "am Mann"

Die Hisbollah müsse daher die schon 2006 am Ende des letzten Libanon-Krieges beschlossene UN-Sicherheitsratsresolution 1701 erfüllen und sich hinter den Fluss Litani, etwa zehn Kilometer von der Grenze entfernt, zurückziehen. Daran hatte sich die Miliz zwar schon vor den jüngsten Eskalationen nicht gehalten: Seit dem 7. Oktober 2023 gibt es laufend Scharmützel mit der israelischen Armee. Die Hisbollah, so sagt sie, will damit israelische Truppen im Norden des Landes halten.

Ob die Formel der Resolution eingehalten wird, überwachen seit 2006 Soldaten der UN-Mission Unifil. Derzeit 176 der rund 10.000 streng auf Beobachtung beschränkten Blauhelme kommen aus Österreich, sie stellen für Truppen von 47 anderen Staaten Teile der Logistik zur Verfügung. Die Ereignisse vom 7. Oktober hätten für die Truppe das Leben auf den Kopf gestellt, erzählt Kontingentskommandant Oberstleutnant Peter Ertl. Er ist aus dem Camp Nakoura nach Beirut gereist, um im "Unifil House" in der Hügellandschaft Beiruts österreichischen Journalisten Auskunft zu erteilen. Was bis dato bereitgelegen sei, Helme und Schutzausrüstung, das sei nun "am Mann". In Schießereien geraten seien seine Männer bisher nicht – aber "wir hören den Gefechtslärm, wir sind dabei", die Unifil komme schon "sehr nahe an das Geschehen heran".

15 Tage können die Soldatinnen und Soldaten, die sich für sechs Monate für die Mission verpflichten, Urlaub von der De-facto-Front zwischen Israel und der Hisbollah nehmen, so sind die Uno-Regeln. Im Normalfall reicht das, um sich zu regenerieren, sagt Ertl, der in einem früheren Leben Heeressportler und Kickboxer war. Auf die Ereignisse des 7. Oktober habe man allerdings sehr restriktiv reagiert, auch im Glauben, dass die Lage vielleicht nicht lange anhalte. Mittlerweile aber sind Monate ins Land gezogen, man müsse daher mehr Rücksicht auf die Durchhaltekraft nehmen. Will heißen: Besuche von UN-Truppen anderer Staaten seien derzeit immer erlaubt und nicht, wie sonst, nur am "internationalen Tag". Auch, darauf, dass Sport zum Ausgleich möglich sei, lege man Wert.

Was die Kämpfe angeht, hat Ertl in den vergangenen Monaten eine Wellenbewegung wahrgenommen. "Wir hoffen, dass es derzeit der Sturm vor der Ruhe ist", sagt er zu den laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe für Gaza.

Politische Feuerteufel

Freilich ist nicht sicher, ob das auch im Norden wirklich für Ruhe sorgen würde. Zwar hat sich die Hisbollah schon bisher nie vollständig an die Resolution gehalten. Seit dem 7. Oktober aber fehlt den Bewohnerinnen und Bewohnern im Norden des Landes das Vertrauen in die Sicherheit, um andernfalls wieder zurückzukehren. Die Hisbollah sagt umgekehrt, sie würde den Beschuss Israels einstellen, wenn Israel den Feldzug im Gazastreifen beende. Nicht bereit wäre die Miliz aber vermutlich für den Gesichtsverlust, den eine Erfüllung des israelischen Ultimatums für einen Rückzug hinter den Litani, bedeuten würde.

Alexander Schallenberg und sein Amtskollege Abdallah Bou Habib.
AP/Bilal Hussein

Ob sich die Hisbollah zurückziehen sollte, wollte auch der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib bei einer Pressekonferenz mit seinem österreichischen Amtskollegen Alexander Schallenberg nicht eindeutig kommentieren. Er verwies auf die israelische Besatzung libanesischer Gebiete – mutmaßlich der Sheeba-Farmen, die Israel 1967 besetzte und die auch Syrien beansprucht, sowie einige Orte entlang der (nicht offiziell festgelegten) Grenze. Sollte dies passieren, sei er zuversichtlich, dass auch die Hisbollah ihre Angriffe einstellen werde, fügte er hinzu. Die Hisbollah, die im komplizierten konfessionell-politischen System Libanons auch politische Partei ist, stellt mehrere Minister in der Regierung und rund ein Dutzend Abgeordnete. Weitere Gruppen sind mit ihr verbündet.

Schallenberg wiederum sagte, die Provokationen beider Seiten würden sich bisher in Grenzen halten – und er hoffe, dass das so bleibe. Wichtig sei es, einen Flächenbrand zu vermeiden, in dessen Zentrum auch der Libanon landen könne. "Ich glaube, es gibt zu viele Akteure in der Region, die glaube, sie können mit Feuer spielen ohne sich zu verbrennen." Zu diesen würden die Hisbollah zählen, aber auch die jemenitischen Huthis. Österreich sei sich bewusst, dass der Libanon an der Frontlinie sei und Unterstützung brauche. (Manuel Escher aus Beirut, 29.2.2024)