Die Idee klang vielversprechend: Junge Muslime absolvieren ihr Theologiestudium in Österreich. Mit ihrem Abschluss schwärmen sie dann in die heimische Moscheenlandschaft aus, um Imam zu werden. Das sollte zwei Vorteile mit sich bringen: einen "Islam österreichischer Prägung", wie es die rot-schwarze Bundesregierung einst ausdrückte, und damit einen Gegenpol zu radikalen Strömungen, die ausländische Prediger aus ihren Herkunftsländern in so manche Gebetshäuser tragen.

Ein entsprechender Studiengang startete im Herbst 2017 an der Universität Wien. Nun zeigt sich aber: Der Plan ging nicht auf – zumindest noch nicht. Die Mehrheit der etwa 250 Prediger kommt nach wie vor aus dem Ausland. Fast keiner hat laut der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) ein Theologiestudium in Österreich absolviert – konkret vier an der Zahl. Drei davon machten ihre Imam-Ausbildung aber eigentlich schon zuvor im Ausland. Bliebe nur eine Person übrig, die ihre Anfänge als Geistlicher tatsächlich hierzulande absolviert hätte. Weitere 36 aktive Imame sollen eine Religionspädagogikausbildung aus Österreich vorweisen können.

Ermin Šehić.
Der Religionspädagoge und nebenberufliche Imam Ermin Šehić hat zumindest einen Teil seiner Ausbildung in Österreich absolviert.
© Christian Fischer

Aber warum will praktisch niemand von den derzeit 220 eingeschriebenen Studierenden am Theologieinstitut der Universität Wien Imam werden? Wer nach Gründen dafür sucht, findet sich schnell in einer seit vielen Jahren aufgeheizten Debatte wieder.

Theologieprofessur fehlt seit Jahren

Auf der einen Seite steht Ednan Aslan. Der Professor für islamische Religionspädagogik an der Universität Wien sieht das Problem bei den einzelnen Moscheeverbänden. Deren Imame bräuchten eine "Ideologiegarantie" aus den jeweiligen Herkunftsländern, egal ob etwa aus der Türkei oder aus Bosnien, wie er dem STANDARD per Mail mitteilt. "So wie Absolventinnen ohne Kopftuch als Lehrerinnen nicht eingestellt werden, werden unsere Theologieabsolventen ohne ideologische Nähe nicht eingestellt", kritisiert Aslan. Den Zahlen der IGGÖ traut Aslan nicht, solange sie nicht offiziell und nachprüfbar veröffentlicht würden, was für Kirchen eine Selbstverständlichkeit sei. "Ich kenne keinen Imam, der in Österreich ausgebildet wurde."

Dass zu einem hohen Anteil Frauen am Wiener Theologieinstitut eingeschrieben sind, sollte nach Aslans Meinung keine größere Rolle spielen. Es gebe dennoch genügend männliche Absolventen, die Imame werden könnten. "Außerdem haben wir in jeder Moschee Frauen, die auch Theologinnen brauchen. Wenn die Moscheen Frauen und Männer trennen, dann haben die Frauen ein Recht auf einen weiblichen Imam", sagt Aslan. "Warum müssen immer nur die Männer die Frauen unterrichten, es sollte endlich auch umgekehrt möglich sein."

Aus Sicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft, in der die türkischen Verbände den Ton angeben, liegt das Problem am Studium selbst – und an Aslan. Ein Abschluss in islamischer Theologie allein befähige niemanden dazu, Imam zu werden, heißt es dort. Fertigkeiten wie Predigten zu halten oder einen Bestattungsritus durchzuführen seien für einen Prediger unerlässlich, an der Praxis mangle es im Studium allerdings. Dieses biete vor allem Grundlagen. Und das Institut habe durch polarisierende Projekte Aslans in den vergangenen Jahren "erhebliches Vertrauen in der muslimischen Zivilgesellschaft und in den Gemeinden verloren". Etwa wegen der "Islam-Landkarte", die Aslan vor ein paar Jahren gemeinsam mit Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) präsentiert hat.

Hinzu kommt ein Mangel an Professuren. Seit 2007 gibt es nur einen Professor, der alle Fächer für das gesamte Studium der Religionspädagogik abdecken muss. Viele Jahre schon fehlt zudem eine Professur im Bereich der islamischen Theologie. Die Stelle wurde ausgeschrieben. Bis der Job vergeben ist, wird der Bedarf mit Lehraufträgen abgedeckt.

Die Hürden für den Nachwuchs

Ermin Šehić ist eine seltene Ausnahme. Der gebürtige Bosnier hat zumindest einen Teil seiner Ausbildung in Österreich absolviert. Er ist einer der 36 Religionspädagogen, die als Imam arbeiten. Šehić ist aber nur bedingt ein taugliches Beispiel. Seine Imam-Ausbildung machte der Mittvierziger ursprünglich in Bosnien, vertieft hatte er sie in Jordanien. In Österreich ließ er sich Anfang der 2000er-Jahre zum Religionslehrer ausbilden und studierte Jahre später Religionspädagogik. Ende 2023 wurde er erster Imam der Islamischen Religionsgemeinde Wien und ist seither auch im Imame-Rat der IGGÖ vertreten. Šehićs Weg zum Imam begann also weit vor seinem Studium in Österreich.

Sein Geld verdient Šehić wie viele seiner Imam-Kollegen zudem in erster Linie als Religionslehrer, "weil es ein abgesicherter Beruf ist", erzählt er. Diese Sicherheit fehle als Imam oft. Es sei von Moschee zu Moschee unterschiedlich, wie viel Gehalt bezahlt werde. Einen Kollektivertrag für Prediger gibt es nicht. Die finanzielle Aussicht könnte das Zögern von Nachwuchsimamen erklären. Das ist aber nicht die einzige Hürde.

Ednan Aslan.
"Ich kenne keinen Imam, der in Österreich ausgebildet wurde", moniert der Professor für islamische Religionspädagogik, Ednan Aslan.
APA/ Georg Hochmuth

Die einzelnen Gemeinden suchen sich ihre Imame logischerweise selbst aus. Šehić beschreibt im Gespräch eine vielfältige Moscheenlandschaft. Das Spektrum reiche von konservativen bis moderneren Strömungen des Islam. Da muss ein Imam erst einmal hineinpassen. Auch die Ethnie spielt bei der Auswahl des Imams für viele Moscheen noch eine große Rolle. Laut IGGÖ habe das mit der ersten Migrationsgeneration zu tun, in der Deutsch oft nicht gut gesprochen wird und die daher einen Prediger der Muttersprache vorzieht. Dann gibt es Gebetshäuser, in denen der Imam als "Allrounder" für alles zuständig ist, und andere, in denen der Prediger nur das Freitagsgebet hält und sich den Rest mit anderen Geistlichen aufteilt. In dieser Gemengelage wird ein junger Theologe Anfang 20 wohl auch nicht so schnell als angehender Imam aufgenommen und vor allem: ernst genommen.

"Man muss ein bisschen Geduld haben", sagt Šehić. Er empfiehlt aber ohnehin, nach dem Studium erst einmal Erfahrungen zu sammeln, etwa in der Seelsorge. "Da kann man sich ein bisschen einarbeiten und ein Gefühl dafür bekommen, wie gut man selbst mit Menschen arbeiten kann." Imam zu sein sei kein Beruf, sondern eine Berufung, die einem eine gewisse Opferbereitschaft abverlange.

Finanzierung eingestellt

Was in Österreich derzeit aber vor allem fehlt, ist eine praktische Ausbildung, die an das Studium anschließt. Diese Lücke kompensieren derzeit die Verbände teilweise selbst. Der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker leitete bis 2019 einen praxisorientierten Universitätslehrgang für Imame und Seelsorger. Die Finanzierung dafür sei aber eingestellt worden, sagte Lohlker dazu einmal in einem Interview mit dem ORF.

Dabei brächte eine solche Ausbildung Vorteile: "Wenn Imame in persönlich seelsorgerischen Tätigkeiten ausgebildet sind und in sozialpolitischen Belangen Ratsuchenden mit entsprechendem Know-how weiterhelfen können, vom Arbeitsmarktservice bis zu Erziehungsfragen, wäre gesamtgesellschaftlich ein großer Schritt getan", erklärte Lohlker. Einen politischen Umsetzungswillen für einen solchen Lehrgang sah er nicht. Es sei nicht politisch verwertbar, kein Skandal, sondern schlicht praktische Arbeit. (Jan Michael Marchart, 18.3.2024)