Innsbruck/Rom/Wien – Italien hat nun auch offiziell die bereits beschlossene Klage gegen Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der Tiroler Antitransitmaßnahmen an die EU-Kommission geschickt bzw. diese darin aufgefordert, selbst ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Dies teilte das Ressort von Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) am Donnerstag auf APA-Anfrage mit. Zuvor hatte die "Tiroler Tageszeitung" von einem entsprechenden Schreiben berichtet.

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Über Verkehrsmaßnahmen lässt sich trefflich streiten. Italien wendet sich nun an die EU-Kommission.
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"Wie versprochen, wir haben den Worten in Sachen Transit Taten folgen lassen, zum ersten Mal in der italienischen Geschichte", erklärte Salvini, der schon seit langer Zeit massiv gegen die – seines Erachtens rechtswidrigen – Tiroler Maßnahmen auf der Brennerstrecke wie Lkw-Dosiersystem sowie Wochenend- und Nachtfahrverbot mobilisiert. Italien sieht den Grundsatz des freien Warenverkehrs verletzt.

Österreichs Amtsträger nicht überrascht

Die EU-Kommission hat nun drei Monate Zeit, um über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich zu entscheiden. Österreich erhält dabei Gelegenheit, eine Stellungnahme abzugeben. Die beteiligten Staaten können sich schriftlich und mündlich in einem kontradiktorischen Verfahren äußern. Gibt die EU-Kommission keine Stellungnahme ab oder sieht sie von einer Klage ab, kann Italien selbst direkt vor dem EuGH klagen.

In Wien und Innsbruck zeigte man sich angesichts des italienischen Schritts jedenfalls gelassen und wenig überrascht. "Wir haben gut argumentiert, unsere Maßnahmen sind rechtskonform, ja sogar EU-rechtlich notwendig. Das werden wir auch gegenüber der Kommission darlegen. Rechtlich bin ich also sehr entspannt", ließ Gewessler die APA wissen und betonte, hinter den Tiroler "Notmaßnahmen" zu stehen. Wer die Tiroler ernst nehme, "sollte am Verhandlungstisch nach einer Lösung suchen. Salvini macht damit die Probleme kein bisschen kleiner, sondern verzögert nur einmal mehr eine Verbesserung", richtete die Ministerin ihrem italienischen Amtskollegen aus. Und übte einmal mehr scharfe Kritik an diesem: "Salvini beweist mit diesem heutigen Schritt endgültig: Er steht für die Profite der Frächterlobby und nicht für die Menschen in der Region. Die Tirolerinnen und Tiroler leiden unter unerträglichen Zuständen: Stau, Lärm und schlechte Luft sind entlang der Brennerstrecke bittere Realität."

Auch Anton Mattle bekundete, dem Druck Salvinis "und seiner Transit-Lobby" nicht nachzugeben. "Ich stehe im Austausch mit dem Bundeskanzler, dem Außenminister, der Europaministerin und der Verkehrsministerin. Europarechtsexperten geben der Klage mit Verweis auf bestehende Vereinbarungen wie der Alpenkonvention, dem Weißbuch Verkehr oder dem Green Deal der Europäischen Kommission ohnehin wenig Chancen, mit der Maximalforderung – nämlich dem Aufheben aller Fahrverbote – wird sich Salvini nicht durchsetzen können", war der Landeshauptmann überzeugt.

SPÖ sieht "wüste Klagen", FPÖ "Angriff auf Bevölkerung"

Mattle betonte gleichzeitig, gesprächsbereit bleiben zu wollen – insbesondere beim mit Bayern und Südtirol paktierten "intelligenten Verkehrsmanagementsystem" bzw. "Lkw-Slotsystem" mit buchbaren Fahrten. In dasselbe Horn wie der Landeshauptmann stieß wenig überraschend Tirols Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ): "Die Tiroler Fahrverbote sind für die Entlastung der Bevölkerung und den Schutz der Umwelt unverzichtbar. Zunächst werden wir uns die konkreten Vorwürfe Italiens anschauen und ganz genau prüfen. Im Schulterschluss mit dem Bund werden wir unsere Argumente gegenüber der Europäischen Kommission vorbringen und die Maßnahmen verteidigen."

SPÖ-EU-Delegationsleiter und Abgeordneter Andreas Schieder sprach gegenüber der APA von "wüsten Klagen", die nichts bringen würden. "Ich zähle auf die EU-Kommission, hier endlich ihre Vermittlerrolle einzunehmen", sagte Schieder. Es brauche "endlich ein Einvernehmen aller Anrainerstaaten, damit wir zu einer nachhaltigen Lösung des seit Jahren immer größer werdenden Transitproblems kommen. Man kann den freien Warenverkehr nicht gegen die Gesundheit von hunderttausenden Tiroler:innen entlang der Brennerroute aufwiegen."

Tirols FPÖ-Obmann Markus Abwerzger nahm indes Land und Bund in die Ziehung. Der Schritt Italiens sei "der Beweis, dass die Bemühungen Österreichs und Tirols im Kampf gegen den Transit kläglich gescheitert sind", sagte Abwerzger in einer Aussendung. "Fakt ist, die EuGH-Klage Italiens gegen die Transitlenkungsmaßnahmen in Österreich ist ein Angriff der italienischen und internationalen Frächterlobby auf die Gesundheit und die Lebensqualität der Tiroler Bevölkerung", griff der FPÖ-Landesparteiobmann aber auch den südlichen Nachbarn scharf an. Er sah zugleich in der Klage aber auch eine Chance, "dass das Grundrecht auf Gesundheit innerhalb der EU gestärkt werden könnte." Nämlich dann, wenn es "Juristen und Experten gelingt, das Grundrecht auf Gesundheit mit der Warenverkehrsfreiheit auf eine Ebene zu stellen". (APA, 15.2.2024)