Jahrelang wurde verhandelt, im vergangenen Dezember gab es eine vorläufige Einigung. Doch auf den letzten Metern kommt es bei der Lieferkettenrichtlinie noch einmal zu ungeplanten Verzögerungen. Auf Druck mehrerer Länder, darunter Deutschland und Österreich, wurde die finale Abstimmung im EU-Rat vorerst verschoben.

Im Fokus der Kritik stand zuletzt vor allem die Sorge von Wirtschaftsvertretern, die Anforderungen des Gesetzes würden zu einer übermäßigen Belastung führen und seien für kleinere Unternehmen nicht bewältigbar. Doch wozu würde die geplante Richtlinie die Unternehmen eigentlich genau verpflichten?

Näherinnen und Bangladesch
EU-Unternehmen sollen künftig besser darauf achten, unter welchen Bedingungen ihre Zulieferer produzieren. Im schlimmsten Fall sollen Strafen und Schadenersatz drohen.
APA/AFP/MUNIR UZ ZAMAN

Direkt erfasst wären Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro. In Risikosektoren wie der Textilbranche gilt eine Schwelle von 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Umsatz. Indirekt betroffen wären aber auch Klein- und Mittelbetriebe, weil größere Konzerne ihre Pflichten vertraglich an ihre direkten Zulieferer weitergeben werden.

Im Entwurf der Richtlinie wird das berücksichtigt. Demnach müssen kleinere Betriebe von größeren Vertragspartnern unterstützt werden – zum Beispiel finanziell oder mit Schulungen und Datenbanken.

Nach der Richtlinie wären Unternehmen in erster Linie dazu verpflichtet, Kontrollsysteme einzurichten, um negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt bei ihren Zulieferern zu erkennen und zu verhindern. Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz müssten Unternehmen nicht nur ihre direkten Zulieferer unter die Lupe nehmen, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Das kann etwa über die Anpassung von Verträgen passieren, stichprobenartige Kontrollen und ein Beschwerdesystem, an das NGOs oder Betroffene Hinweise schicken können.

Ausstieg "letztes Mittel"

"Es gibt in der Debatte ein massives Missverständnis auf allen Seiten", sagt Christian Richter-Schöller, Rechtsanwalt bei Dorda. "Es geht nicht darum zu garantieren, dass in der gesamten Wertschöpfungskette keine negativen Auswirkungen auf Umwelt- oder Menschenrechte vorkommen. Das ist gar nicht möglich." Unternehmen müssen laut dem Anwalt nur eine "tunlichst mögliche Sorgfalt" anwenden, um negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu verhindern.

Kommt es tatsächlich zu Verstößen, müssen Unternehmen darauf reagieren und Abhilfe schaffen. Der Ausstieg aus einer Geschäftsbeziehung ist in der Richtlinie aber als das "allerletzte Mittel" vorgesehen, sollten wirklich keine Verbesserungen beim Zulieferer möglich sein. Und selbst in diesem Fall sieht der aktuelle Verhandlungsentwurf eine interessante Ausnahmeregelung vor: Demnach muss die Geschäftsbeziehung nicht beendet werden, wenn die Beendigung noch schwerere Folgen hätte als ihre Beibehaltung.

Das lässt einen weiten Interpretationsspielraum offen und führt – zugespitzt formuliert – zu schwierigen Abwägungsfragen: Wäre Kinderarbeit in einer Fabrik eine schwerere Folge als die Verarmung eines Stadtviertels infolge der Beendigung der Geschäftsbeziehung?

"Die Richtlinie hat nicht das Ziel, dass plötzlich massenhaft Lieferantinnen und Lieferanten delistet werden", erklärt Richter-Schöller. "Im Vordergrund steht die gemeinsame Arbeit an der Verbesserung, nicht der Austausch eines problematischen Partners gegen einen weniger problematischen." Legistisch könne man hier aber sicher noch nachschärfen. Möglich wären etwa genauere Definitionen oder Beispiele zur Orientierung.

Leitfaden für Prüfungen

Bei Verstößen gegen die Richtlinie drohen Strafen von bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes. Die genaue Ausgestaltung bleibt den nationalen Gesetzgebern überlassen. Abgesehen davon können Geschädigte Schadenersatz verlangen. Hier gibt es jedoch Haftungserleichterungen, erklärt Katharina Häusler, Rechtsanwältin bei NHP. Unternehmen haften grundsätzlich nicht für Schäden, die allein von ihren Geschäftspartnern verursacht werden. Ausgenommen sind Fälle, in denen ein laufender Geschäftspartner Zusicherungen gemacht hat und völlig klar war, dass er diese Zusicherungen nicht einhalten kann.

Vor den Behörden und Gerichten wird sich freilich die Frage stellen, wie viel man Unternehmen abverlangen kann: Wie genau müssen sie hinsehen? Wann reichen vertragliche Zusicherungen aus, und wann müssen sie vor Ort prüfen?

Orientieren wird sich der Sorgfaltsmaßstab etwa an der Größe des Unternehmens und an der Komplexität der Lieferketten, sagt Richter-Schöller. In der Richtlinie ist zudem festgehalten, dass die EU-Kommission gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten und Stakeholdern "Guidelines" erarbeiten muss, um die Prüfpflichten zu konkretisieren. Letztlich sei aber offen, welchen Maßstab Gerichte und Aufsichtsbehörden genau anlegen. Bis sich eine Rechtsprechung herausgebildet hat, bedeutet das für Unternehmen Unsicherheit.

Verbesserungsbedarf sieht Richter-Schöller bei der Frage, welche Rechte die Richtlinie überhaupt schützt. Im Entwurf wird auf einen Anhang verwiesen, in dem dutzende völkerrechtliche Verträge aufgelistet sind. Die geschützten Rechte werden dabei nur "vage definiert", sagt der Anwalt. "Da müsste man nachbessern." Denkbar wären auch Safe-Harbour-Listen, in denen sichere Herkunftsregionen oder Lieferanten aufgelistet werden. (Jakob Pflügl, 13.2.2024)