Spielorte St. Pölten
In Sara Ostertags Inszenierung von Ilse Aichingers "Die größere Hoffnung" geht es um das Überleben während des Wiener Nazi-Terrors.
Luiza Puiu

Für Abwechslung sorgt das Landestheater Niederösterreich immer wieder durch seine handverlesenen Gastspielprogramme aus der ersten Liga. Frank Castorf, Luk Perceval, Martin Wuttke oder Michael Thalheimer machten mit ihren Arbeiten hier schon halt. Zu den Sprechtheatertrouvaillen der aktuellen Spielzeit gehört niemand Geringerer als Christoph Marthaler mit seinem Apothekerinnen-Abend Das Weinen (Das Wähnen) vom Schauspielhaus Zürich.

Die 2020 inmitten der Lockdown-Ära verspätet herausgekommene Inszenierung bietet alles, was man von der Marke Marthaler kennt und erwartet: singende Schauspielerinnen, die Feier sinnfreier Satzgebilde, Präzision, Slapstick und Trost.

Trost auch deswegen, weil hier die verheißungsvollen Vorgänge in einer Apotheke Heilung für allerlei Wehwehchen versprechen. Manch eine der fünf Darstellerinnen muss gar nicht weit nach St. Pölten anreisen: Elisa Plüss gehört inzwischen dem Burgtheater-Ensemble an, Olivia Grigolli jenem des Schauspielhauses Graz. Als einziger Mann im Bunde auf der Bühne tritt Magne Håvard Brekke als Patient in Erscheinung, der seine Gebrechen wenig erfolgreich vorbringt.

Erstmals Sláva Daubnerová

Umsichtig konzipiert sind auch die Eigenproduktionen des seit 2016/17 von Marie Rötzer geleiteten Hauses. So konnte sich das Theater die Uraufführungsrechte für Ilse Aichingers Die größere Hoffnung (1948) sichern, keine Kleinigkeit. Die Inszenierung von Sara Ostertag, die am 1. Dezember Premiere hatte, wurde nicht nur im STANDARD als "triumphal" bewertet.

Aichinger erzählt vom Überleben während des Nazi-Terrors in Wien. Dafür errichtet Ostertag, die ihrerseits für ihre fulminante Bühnenarbeit von Ágota Kristófs Das große Heft auf der Longlist des Berliner Theatertreffens 2020 gelistet war, "ein Oratorium der besseren, weil poetischen Einsicht", so die Rezension. Mittendrin agiert Sängerin Mira Lu Kovacs als Chorführerin der kindlichen Widerstandsgeister.

Erstmals am Landestheater inszeniert im kommenden März die Slowakin Sláva Daubnerová. Die in Bratislava ausgebildete, vielfach ausgezeichnete und auch in Deutschland bereits engagiert gewesene Regisseurin widmet sich dem Trojanischen Krieg. Mit Euripides’ Die Troerinnen – in einer Fassung Jean Paul Sartres und Übersetzung Hans Mayers – fragt die auch als Opernregisseurin und Performerin aktive Daubnerová danach, wann denn ein Krieg tatsächlich zu Ende sei und welche Gesellschaft aus der langen Zeit der Kriegshandlungen am Ende hervorgehe.

Idee des Holzpferds

Immerhin haben die Griechen die Stadt Troja zehn Jahre lang belagert – bis ihnen die Idee mit dem Holzpferd kam, die bekanntlich den Wendepunkt herbeiführte. Am Wort sind hier die Frauen, die die zerstörte Stadt ausspuckt: Trojas Königin Hekabe, deren hellseherische Tochter Kassandra und auch Helena, nach deren Entführung aus Griechenland der Krieg begonnen wurde, sowie Andromache, die Witwe Hektors, die ihren geraubten kleinen Sohn sucht.

Das Landestheater in St. Pölten ist in den letzten Jahren auch ein Ort für Theaterschaffende aus Ungarn geworden. Zum zweiten Mal – nach den Drei Schwestern in der letzten Spielzeit – inszeniert nun im April die Regisseurin und Co-Leiterin des Katona-József-Theaters Budapest, Kriszta Székely, in St. Pölten. Sie nimmt sich des vielschichtigen Krimiplots aus Friedrich Dürrenmatts häufig gespielter Anstaltskomödie Die Physiker an. (Margarete Affenzeller, 12.1.2024)