Hartwig Löger Prozess
Hartwig Löger sagte als Zeuge beim Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus.
APA/HELMUT FOHRINGER

Es ist ein Segen, dass nicht jeder frühe Berufswunsch in Erfüllung geht. Als Chefpilot hätte Hartwig Löger bei seinem Erinnerungsdilemma womöglich auf einen falschen Knopf gedrückt und eine Karriere mit einem Absturz finalisiert, der ein glanzvoller Aufstieg noch bevorstehen sollte. Im Versicherungswesen, wo noch immer Ruhm zu erwerben ist. Erst als ihn der Menschenfischer Sebastian Kurz von dort herausholte, stellte sich bei ihm das Gefühl ein, überfordert zu sein. Das konnte sich nur an den hohen moralischen Anforderungen eines Bundeskanzlers entzündet haben, denen man sich ausgesetzt sieht, wenn dieser sich für eine Postenbesetzung immer nur en passant interessiert, aber partout nie verrät, wen er eigentlich haben will. Wie soll man da als Chefpilot im Finanzministerium arbeiten!

Selbstdiagnose

Möge ein hohes Gericht darüber entscheiden. Bereits entschieden ist, dass Löger mit seiner Selbstdiagnose "Erinnerungsdilemma", leider mit einiger Verspätung, nicht nur das politische Wort des Jahres geprägt, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur österreichischen Seelenkunde geleistet hat. Er muss sich dieses Verdienst allerdings mit Alfred Gusenbauer teilen, der seinen Rücktritt als Aufsichtsratchef der Strabag damit begründete, seine gleichzeitige Tätigkeit als Aufsichtsratschef im Signa-Konzern könnte von zarten Seelen in einem sozialdemokratischen Erinnerungsdilemma als "Reputationsschaden" empfunden werden. Von anderen auch.

Erinnerungsdilemmata bleiben so etwas wie eine österreichische Nationaleigenschaft, vor allem dann, wenn schon wieder einmal ein Reputationsschaden vorliegt. Man muss die diesbezüglich unrühmliche Vergangenheit nicht einmal völlig ruhen lassen, wenn man an den aktuellen namens Herbert Kickl denkt. Seine immer unverhohlener ausfallenden Anknüpfungen an die Hochblüte der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft – Stichworte Volkskanzler und Journalisten im Schwitzkasten – sollten eigentlich nach demnächst achtzig Jahren demokratischer Republik, in der Wiederbetätigung strafbar ist, jedes Dilemma bezüglich seiner Wählbarkeit ausschließen.

Versprechen der Erlösung

Davon sind wir weit entfernt. Sechzehn Prozent der Österreicherinnen und Österreicher glauben an Jesus, aber dreißig Prozent glauben, wenn die Umfragen annähernd korrekt sind, an Kickl. Das hat weniger mit der zeitlichen Distanz zu ihrem jeweiligen Wirken zu tun als vielmehr damit, dass eine Vertröstung auf das Jenseits gegen das Versprechen der Erlösung aus einem türkisen Diesseits in vielen Wählerinnen und Wählern nichts ausrichtet. Da mögen aktuelle Versprechen inhaltsleer, frühere blaue Leistungen noch so schädlich gewesen sein – noch herrscht das Erinnerungsdilemma.

Und doch ist es schön zu sehen, dass selbst in dieser dunklen Welt noch ein Lichtlein brennt. Das Fleisch gewordene Erinnerungsdilemma Elisabeth Köstinger, vormals Landwirtschaftsministerin der Regierung Kurz, hat endlich eine ihren intellektuellen Talenten angemessene Betätigung gefunden. Sie wird künftig im Universitätsrat der Wiener Modul-University dem Thinktank Mathias Corvinus Collegium mit ihrem Rat zur Seite stehen. Und indirekt damit Viktor Orbán, dem die Privatuniversität geistesverwandt sein soll. Jeder Reputationsschaden ist damit ausgeschlossen. (Günter Traxler, 21.12.2023)