Kennen Sie Nikolai Denkov, Evika Silinja und Luc Frieden? Noch nie gehört? Kein Problem. Sie befinden sich in Gesellschaft einer großen Mehrheit in Europa, die diese Namen nie besonders wahrgenommen haben.

Die drei sind die Regierungschefs und -chefinnen von Bulgarien, Lettland und Luxemburg. Außerhalb ihrer Länder werden auch nur wenige wissen, welche politischen Positionen sie bei den wichtigsten EU-Entscheidungen haben. Dabei sind auch sie es, die bei EU-Gipfeln mitentscheiden, wie etwa enge Beziehungen zur kriegführenden Ukraine gestaltet werden; oder wie hart die EU Russland gemeinschaftlich sanktioniert.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán
Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat sich längst als politischer Bösewicht auf der EU-Bühne etabliert.
IMAGO/JONAS ROOSENS/ANP

Ganz anderes ist das bei Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident ist in aller Munde. Er hat es geschafft, sich auf der europäischen Bühne als der politische Bösewicht schlechthin zu etablieren. Zynisch, populistisch, teils verlogen schafft er es, den Eindruck zu erwecken, dass sein wirtschaftlich wie politisch relativ unbedeutendes Land mit nicht einmal zehn Millionen Einwohnern die 26 Partnerstaaten mit 430 Millionen Menschen vor sich hertreibt. Er spielt das inzwischen virtuos. Und Medien quer durch den Kontinent spielen gerne mit.

Wie bei James Bond ist es nicht nur der gute Geheimagent 007, der für volle Kassen sorgt, wenn er die Welt rettet. Es sind die Bösewichte, die faszinieren, wenn sie die Welt zerstören wollen. Beim jüngsten EU-Gipfel ließ sich das schön beobachten. Die Weltpolitik ist aber kein spannender Kinofilm, sondern der Globus ist angesichts zweier Kriege in einer explosiven Lage.

Trübe Aussichten

In der Ukraine stehen die Menschen vor dem zweiten Kriegswinter. Es gibt Zweifel, ob sie dem Druck und den ständigen Angriffen der russischen Armee standhalten können. In Gaza entscheidet sich die Zukunft Israels oder ob der Konflikt mit den Palästinensern in der Region weiter eskaliert.

Die Aussichten sind trübe. In den USA mehren sich die Stimmen, die die Finanzhilfen für die Ukraine infrage stellen. Und der russische Präsident hat zuletzt unmissverständlich klargemacht, was er vorhat: Er will keine Friedensverhandlungen, sondern seine Kriegsziele umsetzen, das souveräne Land unterwerfen, es "neutralisieren".

26 Staats- und Regierungschefs der EU bestätigten ihre Linie zur Ukraine,
IMAGO/Christian Spicker

Daneben ist es erfreulich, dass 26 Staats- und Regierungschefs der EU sich vom Obstruktor Orbán nicht irritieren ließen. Sie bestätigten ihre Linie zur Ukraine und bauten sie sogar aus: Beitrittsverhandlungen werden gestartet, was die Möglichkeiten der Unterstützung vergrößert, auch wenn die Ukraine noch lange nicht EU-Mitglied wird. Umfassende finanzielle Hilfe von 50 Milliarden Euro bis 2027 wurde fix zugesagt. Und: Die Sanktionen gegen Russland werden erneut verschärft.

Neu ist: Sie sind entschlossen, das auch ohne Ungarn gegen den Willen Orbáns durchzuziehen. Er ist vollkommen isoliert. Dass er den Raum verließ, unter Druck verlassen musste, um eine einstimmige Abstimmung zu Beitrittsgesprächen zu ermöglichen, spricht Bände.

Orbán ist draußen vor der Tür. Seine Ankündigung, die 50-Milliarden-Hilfe über das EU-Budget zu verhindern, ist leer. Sollte er sich weiter querlegen, werden die 26 das Geld technisch anders aufbringen, durch zwischenstaatliche Abkommen. Traurig ist das alles für die Ungarn selbst. Ihr lauter Anführer zertrümmert gerade den Ruf seines Landes in Europa und beim Nachbarn Ukraine. (Thomas Mayer, 15.12.2023)