Wer in England in einer Drogerie shoppt, hat dort nicht nur Duschgel und Taschentücher zur Auswahl, sondern auch Schmerztabletten und Nasensprays. In Österreich ist und bleibt das ausgeschlossen: Das neue Apothekergesetz ändert nichts daran, dass nur Apotheken Medikamente verkaufen dürfen – egal ob rezeptpflichtig oder nicht. Und auch ihr De-facto-Gebietsschutz mit strengen Bedarfsprüfungen bleibt bestehen.

Vor allzu großer Konkurrenz müssen sich die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten also weiterhin nicht fürchten – zumindest abseits des Onlinehandels, der von den Bedarfsprüfungen nicht erfasst ist. Sie sind damit nicht die einzige Berufsgruppe in Österreich: Auch die Anzahl an Notarinnen und Notaren, die Erbschaften abwickeln und Verträge beglaubigen, ist staatlich geregelt. Ähnliches gilt für Rauchfangkehrer, Trafikantinnen und Glücksspielanbieter.

Begründet wird das meist mit dem Schutz von Konsumenten: Ein strenges Reglement soll die Qualität des Angebots garantieren. Kritiker sehen dagegen eine fragwürdige Einschränkung des Wettbewerbs, schließlich gelten auch für andere Berufsgruppen wie Ärztinnen oder Anwälte strenge Regeln, ohne ihre Anzahl zu begrenzen. Geht es also eher um die Absicherung alter Privilegien? Und wie verträgt sich der Schutz ganzer Branchen mit Innovation und Digitalisierung?

Klagen gegen Konkurrenz

Ein aktuelles Beispiel des Widerspruchs zwischen Alt und Neu ist das Start-up Notarity, bei dem Dienstleistungen von Notaren online gebucht und auch erledigt werden können. Die Österreichische Notariatskammer (ÖNK) sieht darin Probleme und hat Klage gegen die Gründer eingereicht. Unter anderem bemängelt man, dass Notarity als "Generalanbieter" für Dienstleistungen auftritt, die nur Notare erbringen dürfen. Bedenken äußerst die ÖNK gegenüber dem STANDARD etwa auch in puncto Preisfestsetzung und Geheimhaltung.

Notarity Team
Das Start-up Notarity ermöglicht es, Termine bei Notaren online zu buchen und abzuwickeln. Nun wurde das Team von der Notariatskammer geklagt.
(c) Alexander Schindler

Notarity-CEO Jakobus Schuster entgegnet, dass es sich bei vielen der angesprochenen Punkte um Formalitäten handelt, die man rasch aus dem Weg räumen kann. Kern der Klage sei der Vorwurf, das Standesrecht zu verletzen – und hier betont er, dass das Start-up lediglich als Vermittler auftritt, die Beglaubigung machte der Notar.

Auch die Pharmazeuten haben sich viele Jahre gegen Online-Anbieter wie die Shop-Apotheke gewehrt. Doch deren Bestand ist EU-rechtlich abgesichert. Eine Wettbewerbsklage der Apothekerkammer scheiterte im Jahr 2018.

Ausgleich für Leistungen?

Die Kammer selbst hält es jedenfalls für notwendig, die Anzahl der Apotheken durch Bedarfsprüfungen zu regeln. Das Argument: Apotheken sind laut Gesetz verpflichtet, eine Reihe an Aufgaben zu übernehmen. Sie müssen etwa ein Labor zur Herstellung von Arzneimitteln einrichten, ein Lager aufrechterhalten und ganzjährig mindestens sechs Tage in der Woche geöffnet haben.

"All diese Dienstleistungen werden nicht separat vergütet, sondern müssen aus den Verkaufserlösen gedeckt werden", heißt es auf Anfrage des STANDARD. Für die Apotheken müsse deshalb ein "gewisses Versorgungspotenzial" bestehen. Zudem sorge das System für eine sinnvolle geografische Verteilung. In Ländern ohne Bedarfsprüfung wie Deutschland konzentrieren sich die Apotheken oft auf wirtschaftlich besonders rentable Standorte wie Innenstädte, so das Argument.

Hanno Lorenz, Ökonom beim wirtschaftsnahen Institut Agenda Austria, kann das nicht nachvollziehen. Auch Branchen wie die Lebensmittelindustrie müssen strenge Auflagen erfüllen, ohne dass die Anzahl der Anbieter staatlich reguliert ist. Und schon jetzt sei es so, dass Apotheken nur dann betrieben werden, wenn sie rentabel sind. Treten Versorgungslücken auf, helfe die Bedarfsprüfung wenig. Zudem gebe es andere Wege, darauf zu reagieren – etwa mit gezielten Förderungen.

Markus Raunig, Vorstandsvorsitzender bei Austrian Startups, sieht Klagen wie jene gegen Notarity als Schutz angestammter Berufsgruppen und Gefährdung junger Unternehmen. Das sei nicht nur in puncto Wettbewerb bedenklich, es verhindere auch Innovation und schade letztlich dem Kunden.

"Kultur des Beschützens"

In Österreich gebe es eine Kultur des Beschützens etablierter Marktteilnehmer, sagt Raunig. Darunter falle neben dem Gebietsschutz und dem Standesrecht auch die Gewerbeordnung. Die Regulierung, so Raunig, fungiere oft als Eintrittsbarriere und müsse infrage gestellt werden – was aber am Widerstand jener scheitern kann, die durch die Regulierung geschützt werden.

Dass der Schutz angestammter Rechte nicht in Stein gemeißelt ist, zeigt jedenfalls das Beispiel der Bestatter. Im Jahr 2002 wurde der Markt liberalisiert. In Wien gibt es statt eines Unternehmens nun 27 verschiedene. Die Sorgen vor der Liberalisierung waren nachvollziehbar, haben sich zum Großteil aber nicht bewahrheitet, heißt es vonseiten der Kammer: "Die Konkurrenz hat das Geschäft der Bestatter belebt." (Jakob Pflügl, Stefan Mey, 4.11.2023)