Linz – Dagmar Hochmayr-Neumann ist hörbar zufrieden. Soeben ist die erste Einzelausstellung der 47-jährigen Oberösterreicherin höchst erfolgreich über die Bühne gegangen. Schauplatz war der Botanische Garten in Linz – und die Resonanz auf die Vernissage Insektenschwarm & Blütenstaub überaus positiv. Dagmar Hochmayr-Neumann hat damit erstmals auch öffentlich den Beweis angetreten, dass das große Gesummse und Gebrummse auch völlig lautlos über die Bühne gehen kann. Dann nämlich, wenn Insekten in detailverliebter Handarbeit gestickt wurden.

Dagmar Hochmayr-Neumann ist leidenschaftliche Insektenstickerin. Zu ihren Kreationen zählen unter anderem Käfer und Schmetterlinge.
Dagmar Hochmayr-Neumann ist leidenschaftliche Insektenstickerin. Zu ihren Kreationen zählen unter anderem Käfer und Schmetterlinge.
Dagmar Hochmayr-Neumann

Sticken für den Laufsteg

Nadel und Faden begleiten die Frau aus der Ortschaft Scharten in Oberösterreich eigentlich schon ihr ganzes Leben. Bereits im Elternhaus wurde "regelmäßig kreuzgestickt", und somit war auch Hochmayr-Neumanns beruflicher Werdegang quasi vorgezeichnet. Nach dem Abschluss an der Modeschule in Ebensee folgte ein Studium an der Linzer Kunstuni, ­natürlich in der Fachrichtung Textil.

Mit dem Uni-Abschluss in der Tasche ­verschlug es die Frau in die Hochburg der ­heimischen Stickkunst: Vorarlberg. Heute ist Hochmayr-Neumann Chefdesignerin bei der renommierten Stickerei Hoferhecht in Lustenau und entwirft hauptsächlich Luxusmode für die Haute Couture und Prêt-à-porter. "Wir arbeiten unter anderem für Chanel und Dior. Unser größter Markt ist aber Nigeria. Dort gelten Stickereien als Luxusgut. Die Hautevolee trägt mit Vorliebe unsere Stoffe." Doch neben der glitzernden und schnelllebigen Modewelt wuchs in der Textilkünstlerin in den vergangnen Jahren immer mehr der Drang, sich Projekten abseits der flotten Stiche zu widmen. Und manchmal braucht es eben für eine kreative Neuausrichtung nur einen Blick vor die Haustüre.

Das statische Gewusel in der Stickerei als ideale Konfrontationstherapie für Entomophobiker.
Das statische Gewusel in der Stickerei als ideale Konfrontationstherapie für Entomophobiker.
Dagmar Hochmayr-Neumann

Keine Perfektion

Die Objekte der künstlerischen Begierde finden sich heute am Wegesrand. "Unscheinbar, klein und dabei so wunderschön, zart und kostbar", findet Hochmayr-Neumann. In monatelanger Arbeit fertigt die Künstlerin ihre Insekten an. Auf Leinwänden aus Tüll tummeln sich die filigranen Tiere dann zwischen skizzenhaften Pflanzen.

"Die Insekten zeichne ich zunächst vor, dann wird gestickt, danach entsteht in unzähligen Schattierungen das Motiv", erläutert sie. Man könne gegenüber dem Zeichnen viel dreidimensionaler arbeiten. "Fast wie ein Relief. Die Bilder werfen je nach Tageszeit und Lichtquelle einen anderen Schatten." Wobei es nie um Perfektion geht: "Wenn das Blatt im Original angeknabbert ist und Löcher hat, dann wird das so gestickt." Alles wird übrigens per Hand gefertigt, die Tülllandschaften sind bis zu 90 mal 160 Zentimeter groß.

Aber warum eigentlich gerade Insekten? Hochmayr-Neumann: "Mir geht es – mit Blick auf das große Artensterben – darum, die Insekten vor den Vorhang zu holen, ihnen eine Plattform zu geben. Insekten sind so kostbar, werden aber viel zu wenig beachtet."

Alle
Alle "Insekten" sind handgefertigt.
Dagmar Hochmayr-Neumann

Stabiler Geduldsfaden

Die 47-Jährige stickt dennoch nicht völlig selbstlos: "Die Arbeit an den Insekten beruhigt mich ungemein. Ich sticke jeden Abend zwei bis drei Stunden, das ist wie eine Meditation für mich." Es sei viel mehr als ein ­reines Handwerk: "Ich bin eigentlich ein ungeduldiger Mensch, aber das Sticken wirkt unglaublich entschleunigend."

Das ist wohl auch der Grund, warum die Werke allesamt unverkäuflich sind: "Ich hänge zu sehr an meinen Insekten und Pflanzen. Ich arbeite Monate daran, da wächst einem ­alles so ans Herz. Selbst von der kleinsten Florfliege könnte ich mich nicht trennen."

Doch es braucht beim Insektensticken auch einen gewissen Mut zum Scheitern. Hochmayr-Neumann: "Ich wollte einmal eine grüne Blattlaus sticken, das hat überhaupt nicht funktioniert." Und ohne Sympathie geht sowieso gar nichts: "Eine Zecke würde ich nie sticken." (Markus Rohrhofer, 1.11.2023)