Die Europäische Union als Ganzes tut sich schwer, auf der Weltbühne als glaubwürdiger und starker außen- und sicherheitspolitischer Akteur aufzutreten. Das hat sich in vielen Konflikten und Krisen seit Jahrzehnten oft als trauriges Faktum erwiesen. Wenn es dann gar um einen heißen Krieg geht, werden die Defizite besonders deutlich sichtbar. Die jüngste Eskalation in Nahost ist dabei keine Ausnahme.

Wieder einmal gibt die EU, hier Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel, in einem Krieg kein starkes Bild ab.
AP/Omar Havana

27 Mitgliedsstaaten müssen wegen ihrer unterschiedlichen Geschichte und entsprechend widersprüchlicher nationaler Interessen im Grunde schon froh sein, wenn sie sich vor aller Augen nicht ständig öffentlich zerstreiten. Es mangelt an einem höheren Anspruch, der über einfache Länderziele hinausgeht. Dementsprechend gering ist dann das politische Gewicht der Gemeinschaft im Konzert globaler Diplomatie.

In genau diesem Kontext ist auch die Erklärung zu lesen, die die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel allgemein zur Lage in Nahost und konkret zur Militäraktion Israels gegen die Hamas zu Papier gebracht haben: Es fehlt ihr in einem entscheidenden Punkt an Klarheit.

Herumdrucksen statt klarer Kante

Zum einen vermeidet es die EU, auch drei lange Wochen nach dem pogromartigen Angriff gegen Israel mit 1.400 Massakrierten im Grenzgebiet zu Gaza, die Zerschlagung dieser Terrororganisation klar als Ziel zu benennen. Zum anderen fehlt im Text auch jede direkte Ansprache an Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, wonach diese Terrororganisation in keinerlei Hinsicht mehr als Vertreterin palästinensischer Interessen angesehen werden kann. Da drückt man sich herum.

Das ist insofern erstaunlich, als die EU selbst die Hamas bereits vor langer Zeit als terroristische Vereinigung definierte. Mit Terroristen macht man keine politischen Geschäfte. Daran sollte kein Zweifel bestehen.

Wären die Staats- und Regierungschefs einig und mutig, zwischen Tätern und Opfern, zwischen Ursache und Wirkung der Ereignisse am 7. Oktober deutlich zu unterscheiden, sie hätten das palästinensische Volk sogar explizit dazu aufrufen können, Israel bei der Beseitigung der Terrorführung in Gaza zu unterstützen. Dann könnte am Ende vielleicht wieder ein Friedensprozess aufgenommen werden.

Aber Ideen dieser Art gelten in der feingedrechselten Sprache der europäischen Diplomatie als undenkbar, wenn nicht gar als naiv. So ist nun im breiten Kompromiss der Regierungen eine Erklärung entstanden, der nur bei oberflächlicher Betrachtung eine befriedigende Antwort auf die Geschehnisse der vergangenen Wochen liefert.

Schon gut und richtig: Die Hamas und ihre brutale Terrorattacke werden darin "auf das Schärfste verurteilt", ebenso wie die Geiselnahmen und der Missbrauch von Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Israel wird jedes Recht auf Selbstverteidigung im Rahmen des Völkerrechts zugestanden. Es klingt jedoch ein wenig nach floskelhaften Selbstverständlichkeiten.

Druck auf Sánchez

Vor allem: Sehr schnell ist dann nur noch die Rede von humanitärer Hilfe und davon, dass die EU "jede Gewalt und Feindseligkeiten gegen alle Zivilisten" aufs Schärfste verurteilt – ganz so, als wären der dauernde Raketenbeschuss Israels durch die Hamas von Gaza aus und die Militäroperationen der israelischen Armee als gleichwertig und gleichermaßen völkerrechtswidrig zu betrachten. Von beiden Seiten werden unterschiedslos "humanitäre Korridore und Pausen" in den Kämpfen verlangt, damit Wasser, Nahrungsmittel, Medikamente an Zivilisten verteilt werden können.

Völlig zu Recht haben der deutsche und der österreichische Bundeskanzler, Olaf Scholz und Karl Nehammer, diese Art der Sichtweise und Opfer-Täter-Umkehr zurückgewiesen. Aber es gab beim Gipfel auch starke Regierungschefs wie den spanischen Premier Pedro Sánchez, der den Eindruck erweckte, er müsse vor allem die Palästinenser gegen völkerrechtswidrige israelische Attacken schützen. Er steht zu Hause unter Druck seines radikal linken Koalitionspartners Podemos, der Israel einen "Genozid" an den Palästinensern vorwarf.

Beim EU-Gipfel kam daher am Ende etwas die Trennschärfe zwischen der Einschätzung einer Terrororganisation und einem demokratischen Staat wie Israel abhanden. So entsteht der Eindruck, die EU sei vor der Hamas eingeknickt aus lauter Furcht, der Konflikt könnte sich ausweiten, mit negativen Folgewirkungen auf Europa. (Thomas Mayer, 27.10.2023)