EU-Außenbeauftragter Josep Borrell begibt sich auf schwierige Diplomatenmission nach China.
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Erst war es eine Corona-Infektion des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, die seine Reise nach Peking im April verhinderte. Im Juni war es schließlich die chinesische Seite, die ein Treffen in Peking absagte: Zwei Tage bevor Borrell den damaligen Außenminister Qin Gang in Peking hätte treffen sollen, kam die Absage, ebenfalls aus "gesundheitlichen Gründen", wie es von chinesischen Behörden hieß. Doch dass dahinter ominösere Gründe steckten, wurde in den darauffolgenden Wochen deutlich: Qin Gang wurde seitdem nicht mehr gesehen, mittlerweile hat sein Vorgänger und mächtigster Außenpolitiker in Peking Wang Yi wieder das Ruder übernommen.

Peking hat seit der Aufhebung der strengen Covid-Politik die allgemeine Reisediplomatie längst wieder aufgenommen. In den nächsten Wochen und Monaten soll es zu diversen hochrangigen Treffen kommen, unter anderem Ende des Jahres auch zu einem EU-China-Gipfel: Konkreten Termin gibt es noch keinen. Klar ist aber, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Chinas Präsident Xi Jinping und EU-Ratspräsident Charles Michel dabei zusammenkommen wollen. Es sei an der Zeit, dass China Europa "ernster nimmt", wie Borrell im Vorfeld der Reise zur "South China Morning Post" sagte. China solle außerdem aufhören, Europa bloß durch die Linse der eigenen Rivalität mit den USA zu sehen. Die EU habe keine "versteckte Agenda", so Borrell: Die EU treffe unabhängige Entscheidungen.

Nach ersten Treffen zwischen Wirtschaftstreibenden und Polit-Analysten am Donnerstag soll Borrell am Freitag mit seinem Amtskollegen Wang Yi zusammentreffen. Gemeinsam werden die zwei Chefdiplomaten den zwölften "EU-China Strategic Dialogue" hosten, gefolgt von einer Pressekonferenz. Am selben Tag noch wird Borrell eine Rede an der renommierten Peking-Universität halten.

Insgesamt sind die EU-China-Beziehungen bekanntlich nicht in einer Hochphase. Längst vergangen sind die Tage des Hypes um die zweitgrößte Weltwirtschaft; in den letzten Jahren wuchs in Europa eher die Skepsis gegenüber dem asiatischen Riesen. Da sind einerseits die Berichte über gravierende Menschenrechtsverstöße, unter anderem in Xinjiang. Da ist andererseits eine zunehmend aggressive Außenpolitik unter Xi, die kleinere Staaten weltweit wirtschaftlich abhängig macht.

Kritische europäische Stimmen

So ist zum Beispiel Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock eine jener europäischen Stimmen, die schon lange an vorderster Front unverblümt kritische Töne gegenüber dem größten Handelspartner der EU anschlägt. Mittlerweile stimmen aber auch andere ein, unter anderem ließ von der Leyen im März mit einer richtungsweisenden, kritischen Rede von sich hören, in der sie von "distanzierteren und schwierigeren Beziehungen" mit China sprach. China würde "zu Hause repressiver und im Ausland energischer" werden. Italien hat wiederum im Sommer als erstes europäisches Land angekündigt, aus dem chinesischen Projekt "Neue Seidenstraße" auszusteigen.

Während Frankreichs Präsident im Zuge seiner Peking-Reise im April zwar Gastgeber China Honig ums Maul schmierte, schert auch Frankreich in der Sache kaum aus der europäischen China-Politik aus. Macrons öffentlichkeitswirksamer Aufruf nach mehr europäischer Solidarität bescherte dem französischen Präsidenten allerdings einen pompösen Empfang. Ganz anders als von der Leyen, der zeitgleich eher die kalte Schulter gezeigt wurde. Ihre Rede mit der Ansage zum "De-Risking" löste in Peking Naserümpfen aus. Dieses neue Schlagwort im Umgang mit China soll betonen, dass man am offenen Markt eben eine gewisse Resilienz aufbauen will. China sieht das anders: Die USA würden europäische Politik und Unternehmen drängen, sich alternative Partner zu China zu suchen.

Vor allem der Technologiesektor ist immer enger mit weltweiten Sicherheitsinteressen verwoben. Was die USA schon seit Jahren mit Handelsschranken vormachen, wird nun auch immer stärker in Europa sichtbar. Als die EU im September angekündigte hatte, Wettbewerbsuntersuchungen zu chinesischen Subventionen für Elektroautos durchzuführen, war Peking alles andere als erfreut.

Taiwan, Ukraine, Nahost

Und doch: Vor Borrells Ankunft ließ Peking wissen, dass sein Besuch "die gesunde und stabile Entwicklung zwischen China und der EU" fördere. Es gäbe ein "breites Spektrum an gemeinsamen Interessen". Mit Differenzen müsse man angemessen umgehen, so tönte es aus dem Außenministerium. In der Tat wartet vor allem geopolitisch eine Vielzahl an schwierigen Themen auf die Diplomaten. Da ist auf der einen Seite die Situation um die – aus Pekings Sicht – abtrünnige Insel Taiwan. Da ist aber vor allem auch Pekings Position bezüglich des Ukrainekriegs. Borrell wird wohl vor allem weiter darauf pochen, dass China an Russland keine Waffen liefern solle. Chinas Präsident Xi gilt als einer der wenigen mächtigen Staatsmänner, der noch an Wladimir Putins Seite steht. Den Angriff auf die Ukraine hat das Land nicht verurteilt.

Seit vergangener Woche kam mit der Eskalation im Nahen Osten ein weiteres Konfliktthema aufs Tableau. Während sich Borrell betont solidarisch mit Israel zeigte und die Angriffe der Hamas aufs Schärfste verurteilte, nimmt Peking auch im aktuellen Konflikt keine Seite ein: Peking rief alle Seiten dazu auf, die "Feindseligkeiten sofort zu beenden". Außerdem forderte das Land zu humanitärer Hilfe für die Palästinenser auf, Peking tritt außerdem für eine Zweistaatenlösung ein.

Unterschiedliche Perspektiven werden somit die Gespräche in China dominieren. Per X (vormals Twitter) gab Borrell nach einem Treffen mit Wissenschaftern am Donnerstag in Schanghai an: "Mein Besuch in China ist auch dazu da, um die chinesische Sicht zu hören. Unser Austausch zeigt, dass die Diskussion weitergehen muss." (Anna Sawerthal, 13.10.2023)