Es ist schrecklich, was in Israel (und in Gaza) passiert. Ein Albtraum, unbeschreiblich und unfassbar. Und genau das ist eine Frage, der wir uns stellen müssen: Was können, was müssen wir beschreiben, was können, was müssen wir für uns fassbar machen?

Auch für uns, drei Flugstunden entfernt, ist der Terror in Israel Realität.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Für die Menschen in Israel ist dieser Albtraum Realität. An die tausend Tote, auch Jugendliche und Kinder, auch Babys, die, so muss man es sagen, abgeschlachtet wurden. Hunderte verschleppte Geiseln, manche davon schon ermordet. Was den anderen bevorsteht, mag man sich nicht ausmalen. Es gibt Berichte über Misshandlungen und Vergewaltigungen. Die Hamas-Terroristen verschicken Videos von Erschießungen, von schweren Grausamkeiten, um die Hinterbliebenen, die Menschen in Israel zu demütigen. Sie demütigen damit die ganze Welt, auch sich selbst. Diese Erniedrigung betrifft alle.

Die Entmenschlichung, zu der die Hamas-Terroristen unter "Allahu akbar"-Rufen und Anfeuerungen imstande sind, entlarvt nicht nur deren Glauben und Ideologie: Was ist das für ein Gott, der das gutheißen könnte? Was ist das für eine Gesellschaft, die sich und anderen das antut? Was treibt sie dazu? Und nein, es gibt dafür keine Entschuldigung.

Die Grausamkeit und der Schrecken

Es sind Fragen, an denen man verzweifeln kann. Viele tun das. Konkret in Israel, wo dieser Albtraum für die bedrohten Menschen, für die Überlebenden, Angehörigen und Freunde stattfindet. Auch für uns, drei Flugstunden entfernt, ist dieser Terror Realität, mit der viele nicht umgehen können. Der Krieg gegen die Ukraine, die Grausamkeit und der Schrecken, denen die Menschen dort ausgesetzt sind, haben uns, nur 1.000 Kilometer entfernt, zugesetzt. Und jetzt das Massakrieren in Israel. Viele schalten ab, blättern um, wechseln das Thema. Es sei zu viel.

Es sei in Ordnung, sich nicht zu viel zuzumuten, lautet ein guter oder gut gemeinter Ratschlag. Aber das geht nicht. Wir können die Augen nicht verschließen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Wir müssen zu begreifen versuchen, was dort geschieht. Wir müssen unsere Vorstellungskraft belasten. Wir können nicht einfach abschalten und wegschauen, weil wir das Glück haben, weit genug entfernt zu sein. Wir sind betroffen. Es gibt Freunde, Verwandte, Bekannte in Israel.

Unter uns, hier in Wien, leben Menschen, die den Terror gutheißen, die mit den Tätern sympathisieren. Auch damit müssen wir uns auseinandersetzen und überlegen, wie wir es mit diesen Menschen halten wollen.

Unmögliche Entscheidungen

In Israel ist es ein Überlebenskampf. Für den Staat und für die Menschen. Wie geht man vor, wenn die Hamas in Gaza Geiseln hält, sie als Schutzschilde missbraucht, ihre Ermordung androht? Man kann sich die Entscheidungszweige kaum durchdenken.

Es ist eine Frage, was man sich zumutet. Man muss nicht jedes Video anschauen, mit dem die Hamas ihren Terror auch in den sozialen Medien verbreitet, man muss nicht jeden Bericht lesen, jedes Interview hören. Aber wir müssen zu begreifen versuchen, was da passiert, und auch, warum. Wir können nicht abschalten, weil wir den Tod und das Leid nicht ertragen. Wir sind in einer privilegierten Situation. Wir müssen nur Mitgefühl haben. Wir müssen uns interessieren. Nicht nur fühlen, sondern auch denken. Und entscheiden, auf welcher Seite wir stehen. Und dazu stehen. (Michael Völker, 11.10.2023)