Sora bot der SPÖ eine Strategie an, wie Andreas Babler Kanzler werden könnte. Für den ORF ist das ein Ausschließungsgrund für eine Zusammenarbeit mit den Meinungsforschern.
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Günther Ogris hatte den falschen E-Mail-Verteiler erwischt. Ein fataler Fehler mit schwerwiegenden Folgen für den Meinungsforscher und sein Institut Sora. Der ORF kündigte in der Folge die Zusammenarbeit mit Sora auf. Das Meinungsforschungsinstitut hatte seit vielen Jahren für den ORF gearbeitet und war fixer Bestandteil an jedem Wahlabend, wenn alle auf die erste Hochrechnung warteten.

Mehr als 800 Menschen hatten überraschend Post von Ogris erhalten, ein Strategiepapier für die SPÖ für das Wahljahr 2024. Glaubt man allen beteiligten, dann hatte Ogris auf eigene Faust ein solches Strategiepapier erarbeitet, verfasst und der SPÖ dann präsentiert und angeboten – aber nach der Präsentation falsch verschickt.

Blockiererpartei ÖVP

In dem Papier entwickelt Ogris Strategien, wie die SPÖ stärkste Partei werden könnte, wie deren Chef Andreas Babler Kanzler werden könne, wie man ihn im Duell gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl positionieren könnte ("Liebe oder Hass") und wie man die ÖVP als Blockiererpartei schlechtmachen könnte.

Für den ORF ist das in der Tat untragbar. Dass Ogris hier allein gehandelt hat, Sora derzeit gar nicht für die SPÖ arbeitet und diesen Auftrag wahrscheinlich nicht bekommen hätte, spielt da keine Rolle. Der ORF muss jeden Anschein einer Parteilichkeit vermeiden. Es gibt ohnedies genügend und gute Anlässe, dem ORF Parteilichkeit zu unterstellen, aber wenn das so offensichtlich daherkommt, muss er reagieren.

Verhaberung als Folklore

Das ist aber nicht nur ein Problem des ORF und von Sora. Und auch keines, das nur die SPÖ betrifft. In Österreich ist die Verhaberung ein fixer Bestandteil der politischen Folklore. Das spielt in den Journalismus hinein, der vielfach längst nicht so unbefangen ist, wie er sich darstellen möchte, und da gehören auch die Meinungsforschungsinstitute dazu. Das Problem: Österreich ist wohl zu klein, um die notwendigen Trennlinien klar zu ziehen. Meinungsforschungsinstitute arbeiten gleichzeitig für politische Parteien und für Medien.

Das ist im Grunde genommen unvereinbar. Denn es ist schwer vorstellbar, dass hier keine Synergieeffekte genutzt werden: dass Medien mögliche Effekte für Parteien untergejubelt werden, dass man den Einfluss der Parteien zugunsten der Medien nutzt – oder umgekehrt. Und selbst wenn das nicht passieren sollte: Die Möglichkeit an sich stellt schon einen Ausschließungsgrund dar. Oder sollte einen darstellen. Aber Meinungsforschungsinstitute sind auch auf möglichst viele Auftraggeber und eine breite Streuung angewiesen.

Auch wenn es wehtut, den Meinungsforschungsinstituten, den Medien und den Parteien: Alle drei Seiten müssen in Zukunft noch viel stärker darauf achten, hier nicht in einen Interessenkonflikt zu geraten. Ein erster Schritt wäre die totale Transparenz. Die Meinungsforscher müssen nicht nur den Auftraggebern, sondern auch der Öffentlichkeit offenlegen, für wen sie sonst noch arbeiten. Denn eines kann nicht in unserem Interesse liegen: dass die Öffentlichkeit hinters Licht geführt wird. Das wird auf Dauer nicht funktionieren und zerstört das Vertrauen in die Politik, in die Medien und damit auch in die Demokratie. Das kann niemand wollen. Information ist in einer Demokratie eines der höchsten Güter, sie darf nicht benutzt, verfälscht oder gar manipuliert werden. Nur totale Transparenz kann uns vor Missbrauch schützen. Das müssen sich alle drei Einrichtungen klarmachen, Parteien, Umfrageinstitute und die Medien. Sonst verlieren sie das wertvollste Gut, auf dem ihr Erfolg aufbaut: Vertrauen. (Michael Völker, 27.9.2023)