Bub mit Brille hält sich ein Auge zu und kneift das andere zusammen.
Atropin-Augentropfen können eine fortschreitende Kurzsichtigkeit bei Kindern verlangsamen. Studienergebnisse aus Asien legen nahe, dass sie präventiv verabreicht diese vielleicht sogar verhindern oder verzögern können.
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Häufig bemerken es die Kinder mit Beginn der Schule. Die ersten Buchstaben an der Tafel, die man eigentlich lernen sollte, sind irgendwie nicht gut zu erkennen. Das könnte bereits ein Anzeichen von Kurzsichtigkeit sein. Schuld ist ein zu langer Augapfel. Die Lichtstrahlen können somit nicht mehr auf der Netzhautebene fokussiert werden, sondern treffen davor auf. Wenn das Augenwachstum dann noch weiter voranschreitet, nimmt auch die sogenannte Myopie, also Kurzsichtigkeit zu. Das bedeutet für die Kinder nicht nur, dass sie eine Brille tragen müssen. "Das Risiko für Augenerkrankungen im Alter, wie etwa Netzhautablösung, grüner oder grauer Star oder Erkrankungen der zentralen Netzhaut wird deutlich höher", erklärt Christian Simader, Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie in Wien. Denn je größer der Augapfel wird, umso dünnwandiger wird er auch.

Da sich das Risiko einer Augenerkrankung vor allem mit steigender Fehlsichtigkeit erhöht, ist es wichtig, das zu schnelle Wachstum des Augapfels zu reduzieren. Ganz zum Stillstand bringen kann man es derzeit zwar noch nicht, aber verlangsamen. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie der Experte erklärt: "Es gibt spezielle Brillengläser und Kontaktlinsen, die Kinder tragen können und die dafür sorgen, dass Kinder, die beispielsweise bei minus acht Dioptrien landen würden, nur minus fünf Dioptrien erreichen." Voraussetzung dafür ist, dass man so früh wie möglich damit beginnt.

Erste Ansätze bereits vor mehr als hundert Jahren

Der Nachteil bei Brille und Kontaktlinsen ist allerdings, dass, sobald die Kinder sie nicht (mehr) tragen, der therapeutische Effekt nicht (mehr) vorhanden ist. Darum greifen Augenärztinnen und Augenärzte auch häufig zu Atropin-Augentropfen. Auch sie können eine fortschreitende Myopie verlangsamen. "Der Vorteil bei den Augentropfen ist, dass man sie nur einmal abends geben muss", sagt Simader.

Weiters können die Atropin-Augentropfen additiv zu den optischen Methoden gegeben werden. Allerdings muss bei den meisten Kinder über Jahre hinweg täglich abends getropft werden, was vermutlich nicht alle Kinder so gern über sich ergehen lassen – vor allem, wenn sie noch etwas kleiner sind. Nebenwirkungen gibt es dafür kaum, wie der Augenarzt berichtet. "Manchmal kann es zwar vorkommen, dass Kinder lichtempfindlicher werden oder in der Nähe nicht mehr scharf sehen. Das verschwindet jedoch wieder, wenn man die Tropfen absetzt oder sie niedriger dosiert."

Der Wirkstoff Atropin wird aus dem Gift der Tollkirsche gewonnen und wird in der Augenheilkunde häufig eingesetzt, um das Auge etwa nach einer Operation ruhigzustellen – oder auch, um die Pupille zu erweitern, wenn die Netzhaut untersucht werden soll. Erste Ansätze, dass Atropin bei Kurzsichtigkeit helfen könnte, fanden Forscherinnen und Forscher übrigens bereits vor mehr als hundert Jahren.

Präventiv eingesetzt könnte Kurzsichtigkeit verhindert werden

In Österreich ist mittlerweile jeder und jede Dritte kurzsichtig. Myopie wird aber auch global gesehen immer mehr zum Problem. Vor allem im asiatischen Raum steigt die Zahl der Kursichtigen besonders schnell an. Und die Wahrscheinlichkeit, höhere Werte zu entwickeln, steigt, je früher eine Kurzsichtigkeit beginnt. Denn: Vor allem während des Wachstums im Kindes- und Jugendalter wächst auch der Augapfel stetig weiter. Fachleute sind also auf der Suche, um das zu schnelle Wachstums des Augapfels genau in dieser Zeit zu verlangsamen oder sogar zu verzögern. Neue Daten aus Asien zeigen, dass Atropin-Tropfen dies ermöglichen könnten. Um eine Verzögerung erreichen zu können, müssten die Tropfen jedoch präventiv gegeben werden, also bereits bei Kindern, die noch keine Kurzsichtigkeit entwickelt haben.

Bei der sogenannten LAMP2-Studie wurden 353 Kindern im Alter von vier bis neun Jahren verschiedene Konzentrationen von Atropin-Tropfen täglich verabreicht. Eine Gruppe bekam 0,01-prozentiges Atropin, eine andere 0,05-prozentiges und eine weitere bekam Placebo-Tropfen. Die Ergebnisse: Nach zwei Jahren wurden 53 Prozent aus der Placebo-Gruppe kurzsichtig. Sie entwickelten also auf einem Auge eine Kurzsichtigkeit von mindestens einer halben Dioptrie. Ähnlich war die Zahl bei der Gruppe mit 0,01-prozentigem Atropin. Nur bei der Gruppe, die eine höhere Dosierung, also 0,05 Prozent tropften, waren es nur 28 Prozent. Die Augentropfen konnten also bei einem Teil der Kinder eine sich entwickelnde Kurzsichtigkeit verhindern. In den nächsten Jahren wollen die Forschenden beobachten, ob dieser Effekt auch bestehen bleibt. Auch ist noch nicht bekannt, wie Atropin bei den Kindern genau wirkt.

Dunkle Augen könnten höhere Dosierung benötigen

Ob Atropin-Tropfen in Zukunft bei Kindern präventiv eingesetzt werden könnten, ist derzeit noch nicht sicher. Dafür braucht es noch weitere Studien. Ein Faktor für den Erfolg könnte auch die Augenfarbe sein. Denn die Iris hat die Eigenschaft, Atropin zu binden und somit auch zu neutralisieren. Je dunkler die Augenfarbe, desto stärker ist auch dieser Effekt. Da die Studie im asiatischen Raum durchgeführt wurde und dort ein Großteil der Menschen eine dunkle Augenfarbe hat, wäre es möglich, dass bei Kindern mit einer hellen Augenfarbe bereits eine geringere Dosierung ausreicht.

Augenarzt Simader kann sich jedoch gut vorstellen, dass die Tropfen in Zukunft noch vor der Diagnose Myopie gegeben werden könnten. Allerdings wird es dafür eine genauere Abklärung brauchen: "Ich glaube nicht, dass sie zum Einsatz kommen werden, wenn der Verdacht einer Kurzsichtigkeit besteht, weil vielleicht beide Elternteile kurzsichtig sind. Das wird zu wenig sein. Aber die Diagnostik wird immer besser. Mit neuen Technologien, die im Vorfeld bereits abschätzen können, ob das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Myopie entwickeln wird oder nicht, könnte eine präventive Behandlung Standard werden – positive Studienergebnisse vorausgesetzt."

Bis dahin können Eltern jedoch jetzt schon etwas tun, um Kurzsichtigkeit bestmöglich vorzubeugen. Markus Gschweidl, Bundesinnungsminister der Augen- und Kontaktlinsenoptiker, warnt in einer Aussendung der WKO vor zu viel Nah-Sehen. "Ein zu kurzer Leseabstand und zu lange Bildschirmzeiten können bei Kindern einen negativen Einfluss auf das Augenlängenwachstum nehmen. Es begünstigt die Entwicklung von Myopie, also das übermäßige Augenwachstum, und erhöht das Risiko von Folgeerkrankungen im Erwachsenenalter, wie zum Beispiel Netzhautablösung und Makuladegeneration." Außerdem raten Fachleute immer dazu, genügend Zeit im Freien zu verbringen. Mindestens zwei Stunden sollten es pro Tag sein. Und wenn die Kinder lesen oder am Bildschirm sitzen, sollten genügend Pausen eingebaut werden, in denen sie den Blick in die Ferne schweifen lassen – Gleiches gilt übrigens auch für Erwachsene. Zudem sollten regelmäßige Seh-Checks beim Augenarzt nicht fehlen. Gerade der Schulbeginn eignet sich dafür besonders gut. (Jasmin Altrock, 13.09.2023)