Sophie Passmann übt sich in ihrem neuen Essay in schonungsloser Selbstbeobachtung.
Sophie Passmann übt sich in ihrem neuen Essay in schonungsloser Selbstbeobachtung.
Christian Werner

Bekannt geworden ist Sophie Passmann mit ihrem Buch "Alte weiße Männer", in dem sie diese direkt nach ihrem Wohlbefinden im Patriarchat fragt. Ziemlich gut, waren die wenig überraschenden, aber dennoch interessanten Antworten. Verrieten sie doch viel über das Selbstverständnis so mancher angeblich progressiver und meist mächtiger Männer. Ihr neues Buch "Pick me Girls" ist ein Essay darüber, was der anhaltende Schönheitsdruck, widersprüchliche Erwartungen und das männliche Maß als Maß aller Dinge mit Mädchen und jungen Frauen machen.

Passmann analysiert entlang einer schonungslosen Selbstbeobachtung, wie Frauenverachtung sich auch in jungen Frauengenerationen fortschreibt, ihr Gefühl "nicht passend" zu sein oder zu meinen, es sei doch gut, nicht so zu sein "wie andere Frauen", eben ein "Pick me Girl" zu sein. Diese Formen der Abwertung dekliniert die Autorin, Satirikerin und Moderatorin unter anderem an der Popkultur und sozialen Medien durch und bleibt trotz ihrer Analysen eines übermächtigen, sexistischen Kapitalismus kritisch gegenüber ungenutzten Handlungsspielräumen für Frauen. Und sei es nur, sich doch bitte eigene Hobbys zu suchen statt die des Boyfriends zu übernehmen.

STANDARD: Sie schreiben in Ihrem Buch über die Begleiterscheinungen des Prozesses, eine Frau zu werden. War Ihnen schon vor der Arbeit an Ihrem neuen Buch klar, dass das auch für Sie ziemlich hart war?

Passmann: Ich hatte eine Ahnung, wie es ist, als Frau durch die Welt zu gehen. Letztlich waren aber die Jahre am intensivsten, die mich zu dem Buch hingeführt haben – und nicht das Aufschreiben. Dieses ständige Sich-selbst-Hinterfragen, die Ratlosigkeit. Das Buch rauszubringen habe ich als Katharsis wahrgenommen, es fühlt sich wie das Beenden eines Denkprozesses an. Ich habe meine Teenagerzeit und die spezifischen Phänomene, die mit dem Frauwerden zu tun haben, durchgedacht und auf eine Art abgehakt.

STANDARD: War geplant, dass Ihr neues Buch derart persönlich wird?

Passmann: Ich war schon immer sehr von persönlichen US-amerikanischen Essays fasziniert. Diese Mischung aus theoretisch-essayistischem Schreiben und persönlichem Unterbau, das gibt es in Deutschland nicht so oft. Es ist nicht so, dass ich mich nicht getraut hätte, früher über meine Zweifel und Traurigkeit zu schreiben. Vielmehr wusste ich noch nicht, welche Dinge wie wichtig sind. Zu entscheiden, was im Buch wie viel Raum bekommt, war eine große Aufgabe für mich. Vor ein paar Jahren war mir noch nicht klar, dass Körperlichkeit und Essstörungen so einen großen Platz einnahmen. Damals hätte ich gesagt, das war halt mein Ding. Ich brauchte die letzten drei, vier Jahre, um zu verstehen, dass das sehr viele Frauen kollektiv erleben oder bei ihren Töchtern sehen. Es ist nichts, was mich ausmacht. Ich wollte um Gottes willen keine Biografie schreiben, sondern einen gut gebauten, persönlichen Essay, der eine These hat.

STANDARD: Diese These dreht sich zentral um den Begriff "Pick me Girls". Was ist das?

Passmann: Der Begriff kommt von der Gen Z und ist auf Tiktok aufgetaucht. Ich leih mir den jetzt wie so eine peinliche Tante auf einem Familienfest. Ein "Pick me Girl" ist eine Frau, die von sich behauptet, anders als andere Frauen zu sein. Es kommt tatsächlich von dieser Aufforderung: Nimm mich. Diese Frauen stoßen Klischees von sich weg, die Männer in der Regel mit allem Weiblichen assoziieren. Sie interessieren sich nicht für Make-up, nicht für Kleidung, halten keine Diät, sind aber natürlich trotzdem superschlank. Sie sind die Illusion der mühelosen, perfekten Frau, die alles, was ein heterosexueller Mann sich von einer Frau wünschen könnte, der Theorie nach erfüllt – ohne dabei auch nur den Anschein zu erwecken, dass das Arbeit machen könnte. Es ist die perfekte Frauenhülle. Aber was heißt dieses "Ich bin anders als andere Frauen" eigentlich? Was ist an anderen Frauen so schlimm, dass man es toll finden kann, dass eine Frau nicht so ist wie andere Frauen?

STANDARD: "Schön sein" hat innerhalb sozialer Netzwerke noch einmal eine neue Dimension bekommen. Wie erklären Sie den Drang, sich selbst etwa auf Instagram ständig herzuzeigen?

Passmann: Schönheitsdruck war schon zur Zeit meiner Großmutter und meiner Urgroßmutter da. Es wird gern so getan, als wäre das in den Neunzigern erfunden worden, doch es gibt diesen enormen Druck bereits seit der Industrialisierung. Was sich aber durch soziale Netzwerke verändert hat, ist, dass Frauen denken, bei ihnen selbst ist es schlimmer als bei anderen. Sich selbst erlauben sie sich deshalb einen Diätplan, den sie bei anderen aber nicht für nötig erachten. Es ist ein wichtiger Pfeiler der Schönheitsindustrie, dass man sich selbst Dinge sagt, die man Freundinnen niemals sagen würde. Banale Schönheitseingriffe sind ein gutes Beispiel: Eine Freundin hat quasi dieselben Lippen wie man selbst, aber der würde ich nicht sagen, dass sie sich die Lippen aufspritzen lassen soll. Aber mir schon. So kann man im Sinne der sozialen Erwünschtheit so tun, als würde dieser Wettbewerb nicht mehr existieren – und kann heimlich weiter mitspielen. Dünne Körper werden noch immer als attraktiver angesehen. Es gibt Studien darüber, dass schlanke, attraktive Frauen mehr Geld verdienen und bessere Jobs bekommen. Paradoxerweise werden sie aber in der Regel für weniger intellektuell gehalten und von männlichen Kollegen und Chefs weniger ernst genommen. Der einzige Wandel, der passiert ist, ist, dass Leute nicht mehr sagen, sie wollen dünner sein, sie wollen jetzt gesünder sein. Das meint aber exakt das Gleiche.

Sophie Passmann,
Sophie Passmann, "Pick me Girls". € 23,50 / 224 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023
Kiepenheuer & Witsch

STANDARD: Es geht in Ihrem Buch auch darum, wie man unabhängig von dieser "Schablone Frau" werden kann. An der Schönheitsindustrie zeigt sich aber, dass wir es mit einer durchkapitalisierten Frauenfeindlichkeit zu tun haben. Erscheint Ihnen der Kampf gegen die engen Normen für Frauen manchmal ausweglos?

Passmann: Ich habe kein Rezept, wie wir den Kapitalismus abschaffen, falls Sie das hören wollen. Aber ich denke, in dem Prozess des Menschwerdens und im Herumwühlen in Erinnerungen steckt ein Teil der Lösung. Das ist der einzige Grund, warum ich mir rausgenommen habe, ein Buch zu schreiben, in dem es für meine Verhältnisse sehr menschelt. Ich denke, es gibt einen großen Batzen in diesem bestehenden System, in dem Frauen einen kulturellen Wandel für sich individuell erschaffen können, und der hat erst einmal nichts mit einem systemischen Wandel zu tun. Wir erleben etwa einen großen Wandel, was heterosexuelle Paarbeziehungen angeht. Seit Jahren gibt es Debatten über Care-Arbeit und wie die Arbeit in Beziehungen aufgeteilt wird. Früher oder später werden hetero- oder bisexuelle Frauen an den Punkt kommen, an dem sie sich fragen: Wollen wir denn überhaupt diese Art von Beziehung führen?

STANDARD: Was würde sich dann ändern?

Passmann: Wenn man männliche Anerkennung rausnimmt aus der Gleichung, gibt es andere Prioritäten im Leben, und man kann durchaus glücklich sein und vielleicht ein sehr viel schöneres Leben führen. Dann spielen Freundschaften eine größere Rolle, Frauensolidarität, Schwesternschaft – alles, was ohne männliche Anerkennung als Währung auskommt. Dafür müssen wir nicht warten, dass die richtige Partei an die Regierung kommt oder Gesetze verabschiedet werden. Niemand zwingt uns, schlechte Beziehungen mit Männern zu führen und unsere Leben um diese Männer herum zu bauen. Damit meine ich aber ausdrücklich keine toxischen und missbräuchlichen Beziehungen. Ich rede von Beziehungen, die wohl jede heterosexuelle Frau schon einmal geführt hat. Beziehungen, in denen sie etwa einfach mal die Hobbys des Partners übernimmt. Warum ertragen wir das? Weil wir gesellschaftlich beigebracht bekommen haben, dass eine Frau ohne einen Mann weniger wertvoll ist. Viele unserer Mütter waren finanziell und emotional abhängig, die konnten sich gar nicht trennen, weil sie keine eigene Rente haben oder ein Haus, das sie selbst abbezahlen könnten.

STANDARD: Sie schreiben, viele Frauen geben sich nicht viel Mühe, ein spannenderes Leben zu führen. Nutzen Frauen die Möglichkeiten, die die Frauenbewegung erkämpft hat, zu wenig?

Passmann: Ganz viele Frauen finden es sicher nicht cool, wenn ich das ausspreche, aber ich kenne so viele Frauen, die keine Hobbys haben, sich nicht für Popkultur interessieren, keine Leidenschaften haben. Ich glaube aber, dass es einen Anreiz dafür geben muss. Sie interessieren sich nicht per se weniger, sondern eine eigensinnige Frau, die ihrem eigenen Leben viel Priorität einräumt, ist in der Logik dieser männlichen Anerkennung weniger begehrenswert. Deshalb müsste die Währung der männlichen Anerkennung weniger relevant werden. (Beate Hausbichler, 9.9.2023)