Karl Nehammer
Überraschte mit Koalitionsansage knapp ein Jahr vor der Wahl: Kanzler Karl Nehammer.
APA/Georg Hochmuth

Jetzt wird es kompliziert, ja verwirrend, was die Parteivorsitzenden der ÖVP und der SPÖ momentan an apodiktischen Koalitionsansagen abliefern. Also: Die ÖVP wird ganz sicher nicht mit der FPÖ nach der Wahl eine Regierung bilden – solange Herbert Kickl dort Parteichef ist. Das sei definitiv, sagt Kanzler und Parteichef Karl Nehammer.

Und mit dieser Sozialdemokratie unter dem neuen Parteichef Andreas Babler, der die SPÖ nach den Worten des ÖVP-Generalsekretärs Christian Stocker "von Südkorea nach Nordkorea führt", mit diesen Marxisten sei ebenfalls kein Staat zu machen. Eine sozialistische Partei, die eine Erbschafts- und Vermögenssteuer einführen will: no way.

Bei diesem Steuerthema klinken sich auch die Neos aus, was wiederum eine rot-grün-pinke Ampelkoalition schier unmöglich macht. Aber das ist wieder ein anderer Zweig der Verwirrung.

Also bleiben für die Volkspartei noch die Grünen und Neos. Das wird für eine Regierungsmehrheit nicht reichen. Also: Was will die ÖVP jetzt genau?

Die SPÖ wird laut Parteichef Andreas Babler weder mit der FPÖ noch mit dieser dem Turbokapitalismus verfallenen ÖVP eine Koalition schmieden. Definitiv. Bleiben also wieder nur Grün und Neos, eventuell noch die Kommunisten und die Bierpartei, falls die den Sprung ins Parlament schaffen. Aber alles reicht – aus jetziger Sicht – ebenso nicht für eine Mehrheit. Also: Was will die SPÖ jetzt genau?

Koalitionsaussagen

Mit ihren Festlegungen knapp ein Jahr vor der Wahl sorgen SPÖ und ÖVP jedenfalls für allgemeine Ratlosigkeit. Und Verärgerung. Denn jeder weiß: Nach der Wahl schaut die Welt wieder ganz anders aus. Wenn die ÖVP Dritte werde, gehe sie in Opposition, hat es einmal geheißen. Und dann wurde der Dritte, ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, plötzlich Kanzler unter Jörg Haider, mit dem damals auch keiner wollte. Man hatte dann doch, welche Überraschung, einen Modus der Zusammenarbeit gefunden. So geht halt Realpolitik.

Um in der Gegenwart zu bleiben: Was waren die definitiven Koalitionsaussagen vor der Landtagswahl in Salzburg oder Niederösterreich letztlich wert?

Es ist ein Irrweg, den SPÖ und ÖVP strategisch einschlagen, wenn sie ihre politische Identität, ihr Profil insbesondere mit der Abgrenzung zum politischen Gegner zu schärfen versuchen. Und FPÖ-Chef Herbert Kickl dabei zu einem fast übermächtigen Gegner aufblasen – dem Nehammer eine ÖVP als "FPÖ light" gegenüberstellen will.

Wählerinnen und Wähler dürfte aber weniger interessieren, wer der bessere "Anti-Kickl" ist oder wer welche Koalitionen ausschließt. Wichtig ist, wie die heimische Politikerelite gedenkt, Österreich im Umfeld globaler Krisen und Verwerfungen durch die nächsten Jahre zu dirigieren. Das muss den Schwerpunkt der politischen Ansagen bilden. US-Präsident Joe Biden sagte beim Nato-Gipfel in Vilnius, der Klimawandel sei "die größte Bedrohung für die Menschheit überhaupt. Er ist real, ernst, wir haben nicht mehr viel Zeit." Das muss auf der Agenda stehen, wie auch die Sorgen der Jungen angesichts einer dystopischen Zukunft, die neue Arbeitsrealität in der KI-Welt, die Herausforderungen der Migration, die sozialen Konflikte oder die Gesundheitsversorgung. Und nicht eine Beziehungskiste, wer mit wem nicht kann. Oder verwirrende Koalitionsfestlegungen – die später nach der Nationalratswahl ohnehin nicht eingehalten werden können. (Walter Müller, 14.7.2023)