Wien – Außenminister Alexanders Schallenberg (ÖVP) hat am Sonntagvormittag vor überzogenen Hoffnungen auf einen Machtwechsel in Russland gewarnt und diesen als potenziell gefährlich charakterisiert. Zwar sieht auch er das Image des russischen Präsidenten Wladimir Putin nach der Revolte vom vergangenen Wochenende "angekratzt", es gebe "Risse im russischen Gebälk". Allerdings könnte das eine Reihe von Folgeerscheinungen habe, die aus westlicher Sicht nicht erfreulich seien – von steigender Repression im Inland bis zu einem Wandel in der russischen Politik, bei dem man sehr vorsichtig sein müsse, was man sich wünsche.

Pressestunde: Situation in Russland
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Es gelte zu bedenken, dass mögliche Nachfolger des Präsidenten der westlichen Welt nicht unbedingt freundlicher gesinnt sein müssten, sagte Schallenberg in der ORF-"Pressestunde" auf Fragen von Alexandra Föderl-Schmid ("Süddeutsche Zeitung") und Peter Fritz (ORF). Er verwies dabei auf Söldnerchef Jewgeni Prigoschin und den früheren russischen Staatschef und nunmehrigen Vizeleiter des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew. Dieser hat Europa immerhin schon mehrfach mit einem Atomkrieg gedroht.

Pressestunde: Kommunikation in der Russland-Politik
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Keine letzte Klarheit konnte Schallenberg in dem Gespräch in mehrere Verwirrungen der vergangenen Tage bringen. So hatte er selbst vor einigen Tagen von "informellen Gesprächskanälen" mit Moskau gesprochen, was Russland selbst danach eilig und auch etwas sarkastisch zurückwies – man habe von den informellen Gesprächen "etwas überrascht" erfahren. Der Außenminister selbst wollte sich auf die Frage nicht einlassen. Man habe in Moskau "eine funktionierende Botschaft" – und damit sei im Grunde alles gesagt. Auch, was genau Kanzler Karl Nehammer mit seinem Instagram-Posting über "innerrussische Konflikte auf österreichischen Boden" meinte, war nach Schallenbergs Erklärungsversuchen nicht restlos klar. 

Rechtsstaat für Kneissl

Auch auf die "Medienberichte, es gebe da eine Villa" kam Schallenberg zu sprechen. Gemeint ist damit jenes Chalet in Kitzbühel, über das DER STANDARD zuletzt ausführlich berichtet hat. Er selbst habe dazu keine Informationen, so Schallenberg, es handle sich aber auch nicht um sein Ressort. Sollten die Berichte stimmen, müsste man diesen nachgehen und anschließend Konsequenzen ziehen. Es sei aber wichtig, dass man auch im Umgang mit Vermögenswerten den Boden des Rechtsstaates unbedingt achte. Gleiches gelte laut Schallenberg auch für die Staatsbürgerschaft der einstigen Außenministerin Karin Kneissl, die von 2017 bis 2019 auf einem FPÖ-Ticket in der Regierung von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz saß. Von ihren Äußerungen distanzierte sich Schallenberg zwar "klar", dennoch sehe das Staatsbürgerschaftsrecht sehr strenge Grenzen vor. Dem Minister sei nicht bewusst, dass Kneissl im Sold eines anderen Staates stünde.

Pressestunde: Position zu Ex-Außenministerin Karin Kneissl
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Für "unerträglich" hält der Außenminister indes das "Spielen mit der Nuklearkeulen und der Sicherheit des von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja. Dies und wiederkehrende Drohungen mit Atomwaffen seien Beleg, dass Österreichs Einsatz gegen nukleare Bewaffnung der richtige Weg sei. Es habe hier "vor drei Jahren noch große Aufregung in sozialen Medien gegeben", als er auf die Gefahren durch Massenvernichtungswaffen "hingewiesen habe", so Schallenberg offenbar unter Verweis auf das vom Außenministerium veröffentlichte Simulationsvideo eines Atomschlags gegen Wien. Nun hätten auch viele andere entsprechende Sorgen.

Sky Shield trotz Neutralität

Österreichs geplante Mitgliedschaft beim Luftraum-Verteidigungssystem "Sky Shield" stehe, so Schallenberg, nicht im Widerspruch zur Neutralität. Österreich wäre das erste Nicht-Nato-Mitglied, das bei der "European Sky Shield Initiative" (ESSI) teilnehmen will – allerdings verweist der Außenminister darauf, dass auch Schweden, das noch nicht Mitglied der Allianz ist, beitreten möchte. Zudem sei das wichtige Nato-Mitglied Frankreich nicht dabei, was ebenfalls dagegen spreche, dass es sich bei "Sky Shield" um eine Angelegenheit der Nato handle. Das Wesentliche bei der Initiative sei vielmehr der europäische Pfeiler. Primär gehe es dabei um Informationsaustausch. 

Pressestunde: Beteiligung an "Sky Shield"
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Was könnte Österreich zum "Pooling und Sharing" aber eigentlich beitragen? Schallenberg meint, Österreich verfüge über eine sehr gute Luftraumüberwachung und könnte Informationen beitragen. Das sei nicht dasselbe wie die Mitgliedschaft in einer Allianz, sondern Informationsaustausch unter Nachbarn. Im Sinne der österreichischen Sicherheit sei es wichtig, "dass wir nicht sofort 'Nein!' bellen" – an sinnvollen Initiativen könne man teilnehmen.

Äpfel und Birnen in der Migration

Bei der Diskussion über Migration sieht Schallenberg wiederum "Äpfel und Birnen vertauscht". In der EU gebe es "wirklich Durchbrüche", was Verfahren in Drittstaaten und die Visa-Kontrollen an den Außengrenzen betreffe, lautet das Lob des Außenministers für jüngste Kompromisse auf Ebene der Innenminister. Im Rahmen des Europäischen Rats gehe es aber um anderes – nämlich darum, dass Polen und Ungarn einer Formulierung zur Gipfelerklärung nicht hätten zustimmen können. Man solle hier aber gelassen bleiben, ein politischer Konsens sei nötig. Zudem müsse es dringend "weniger Emotionalität" in der Debatte geben, mahnte der von der ÖVP entsandte Minister an, der auch Kritik am geplanten Treffen mit Serbiens Premier Aleksandar Vučić und Ungarns Premier Viktor Orbán zurückwies. Immerhin "können wir uns auch hier unsere Partner nicht aussuchen". Man müsse aber auch mit Nordmazedonien, Griechenland, Albanien und anderen sprechen.

Pressestunde: Bruchlinie in der EU beim Thema Migration
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Was heiße das aber in Bezug auf Ungarn? Werde man Orbán auffordern, Grenzen zu schützen und endlich auch selbst Asylsuchende zu registrieren, statt sie weiterzuschicken? Natürlich, meint Schallenberg, "Sie legen hier die Finger auf die Wunden". Aber um Orbán derartiges mitzuteilen, müsse man sich ja mit ihm treffen. (wisa, mesc, 2.7.2023)