Im Community-Artikel präsentiert Jurist Peter Wolkerstorfer drei südkoreanische Anwaltsserien und untersucht ihr Spannungsverhältnis zur Realität.

Sie tragen klingende Titel wie Extraordinary Attorney Woo, One Dollar Lawyer, Legal High oder etwas schlichter Law Cafe – die Rede ist von koreanischen Gerichtsdramen, oder wie sie von ihren internationalen Fans genannt werden – Legal-K-Dramas. Bei diesen nicht zuletzt durch Streamingdienste auch international bekannt gewordenen Serien handelt es sich um ein Genre des K-Drama, also von in Korea produzierten Sendereihen aus dem Bereich der populären, leichten Unterhaltung.

K-Dramen wie der Kassenschlager Squid Game wurden in den letzten Jahren weltweit beliebt und sind ein Hauptelement der Hallyu, der koreanischen Welle, also jener Bewegung der koreanische Populärkultur, die sich seit den 2000ern rund um den Globus verbreitet. Neben TV-Serien umfasst die Hallyu etwa auch Popmusik (Stichworte Twice oder Blackpink), Filme (beispielsweise Parasite) und Comics (genannt Manhwa).

Beliebte Anwaltsserien

Ein Genre dieser K-Dramen sind eben die eingangs erwähnten Gerichts- oder, genauer gesagt, Anwaltsserien. Dabei spiegeln diese Anwaltsserien nur einen Teil des Facettenreichtums des K-Drama wider: Koreanische Serien gibt es als Historiendramen, romantische Episodenfilme oder auch als Arztserien, wie etwa Hospital Playlist, eine Serie über fünf koreanische Ärzte aus dem Jahr 2020. Das Genre der Anwaltsserien erfreut sich dabei insbesondere großer Beliebtheit, weil es oftmals Action, Witz und Esprit, aber auch Romantik miteinander vereint, meist in Gestalt eines als Rechtsanwalt tätigen Protagonisten, der sich durch verschiedenste Intrigen, Karriereumwege und Liebesabenteuer kämpfen muss, um sich vor Gericht wie auch im Privaten zu beweisen.

Plakat einer Anwaltsserie
Auch in Korea erfreuen sich Anwaltsserien, wie etwa die auf dem Plakat beworbene Serie "Lawless Lawyer", großer Beliebtheit. Diese bieten mehr als nur oberflächliche Unterhaltung.
Foto: Studio Dragon

Als Seher fragt man sich angesichts der teils haarsträubenden Verstrickungen und kuriosen Fälle, mit denen es Anwälte und Anwältinnen in diesen Dramatisierungen oftmals zu tun bekommen, wie denn Leben und Wirken echter koreanischer Juristen und Juristinnen aussehen mögen und welche Rolle reale Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen im koreanischen Justizsystem und in der koreanischen Gesellschaft spielen. Nachfolgend sollen in aller Kürze exemplarisch drei Anwaltsserien analysiert werden und anhand dieser ausgewählten Beispiele juristische Hintergründe und gesellschaftliche Zusammenhänge dargestellt werden.

Doch zuerst wird an dieser Stelle näher auf die Fragen eingegangen werden, wie man überhaupt Rechtsanwalt in Korea wird und welche Rechte und Pflichten mit der Ausübung dieses Berufes einhergehen.

Der Weg der Ausbildung

Um einer der zehntausenden – vielfach männlichen – Rechtsanwälte in dem ostasiatischen Land zu werden, bedarf es einer soliden juristischen Grundausbildung. Diese wird von staatlich akkreditierten Universitäten an deren juridischen Fakultäten angeboten und ist seit mehr als einem Jahrzehnt nach US-amerikanischem Vorbild modelliert. Kritiker und Kritikerinnen erkennen bereits in diesem Grundausbildungssystem zwei Schwachstellen: Zum einen wird bemängelt, dass das Prestige der Universität, an der ein Jurist oder eine Juristin die Ausbildung erhält, oftmals mehr Einfluss auf den künftigen Karriereweg hat als die eigentliche Qualität der Ausbildung. Zum anderen wird moniert, dass die amerikanisierte Form des Studiums nicht zur vielfach von deutschen und japanischen Rechtstraditionen beeinflussten koreanischen Rechtskultur passe.

Das Studium allein macht jedoch noch keinen Anwalt oder eine Anwältin – um eine Berufszulassung zu erlangen, ist des Weiteren noch die Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung erforderlich. Nach einer an diese Prüfung anschließenden praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin im Ausmaß von sechs Monaten kann der frischgebackene Anwalt oder die frischgebackene Anwältin dann eigene Mandate übernehmen. Einmal zugelassen, bedarf es keiner Erneuerung der Zulassung, welche ein Vertretungsrecht vor allen Gerichten, in allen Fachgebieten und in der gesamten Republik Korea umfasst.

Geregelt ist dies alles sowie die Ausübung der Anwaltei im Gesetz über die Rechtsanwaltschaft. Weitere Berufspflichten ergeben sich aus dem Ethikkodex der koreanischen Rechtsanwaltskammer, bei der alle in Korea zugelassenen Anwälte und Anwältinnen verpflichtend Mitglied sind und der auch die Disziplinarhoheit über den Berufsstand obliegt.

Realität und Vorstellungen

Was die Rolle der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen in der koreanischen Gesellschaft betrifft, ergibt sich ein zwiespältiges Bild: In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es vielfach nur die beiden Extreme von reichen, erfolgreichen und makellos schönen Wirtschaftsanwälten und Wirtschaftsanwältinnen aus der Seouler Großkanzlei auf der einen Seite und vom am Hungertuch nagenden, aber idealistischen Pflichtverteidigern und Pflichtverteidigerinnen aus der tiefen Provinz auf der anderen Seite.

Während die Wahrheit hier wohl irgendwo in der Mitte zu finden sein wird, hat der Gesetzgeber eine klare Vorstellung von der Rolle des Anwalts und der Anwältin in der demokratisch organisierten Gesellschaft. So statuiert das Rechtsanwaltsgesetz gleich zu Beginn in seinem Artikel 1, dass sich Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen um nichts weniger als den Kampf für soziale Gerechtigkeit zu bemühen hätten und als Rechtsvertreter für die Einhaltung der Menschenrechte streiten sollen. Der sich aus diesem Berufsverständnis ergebende Konflikt mit der gelebten anwaltlichen Praxis als unternehmerisch agierende Wirtschaftstreibende in einem globalisierten, schnelllebigen Umfeld ist oftmals der Stoff, aus dem koreanische TV-Dramen gestrickt sind.

Recht trifft Action

Bei der ersten hier vorzustellenden Produktion handelt es sich um ein Drama rund um die Themen späte Gerechtigkeit und Vergangenheitsbewältigung. Zugleich ist diese unter dem Titel Lawless Lawyer veröffentlichte Serie die actionlastigste der drei hier rezensierten Dramen. In Lawless Lawyer kämpft der frühere Gangster und nunmehrige Anwalt Bong Sang-pil gegen die Mörder seiner als Menschenrechtsanwältin tätig gewesenen Mutter.

LAWLESS LAWYER - OFFICIAL TRAILER [Eng Sub] | Lee Joon Gi, Seo Ye Ji, Lee Hye Young, Choi Min Soo
➡ Watch full episodes of Lawless Lawyer: https://www.viki.com/tv/35833c-lawless-lawyer About Lawless Lawyer (무법변호사): Whatever gets the job done. Bong Sang Pil (Lee Joon Gi) grew up living the gangster life, full of tough physical fights and evading the law.
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Dabei trifft er auf die von Idealismus getriebene Anwaltskollegin Ha Jae-yi, die nach einer im Affekt begangenen disziplinären Verfehlung aus der pulsierenden Metropole Seoul in die Provinz verschlagen wird. Antagonistin der beiden Hauptdarsteller ist eine Richterin am lokalen Bezirksgericht, die scheinbar in Zusammenhang mit Bong Sang-pils Vergangenheit steht. Am Ende decken die beiden Protagonisten eine großangelegte Verschwörung auf und können die Verantwortlichen für die Gewalttaten der Vergangenheit zur Rechenschaft ziehen, jedoch nicht ohne zuvor in spannungsgeladenen Actionsequenzen mit ihren Widersachern zu kämpfen.

Untermalt wird das Geschehen von markigen Rap-Sounds, die es durchaus zu Recht in einen eigenen Soundtrack geschafft haben. Obwohl sich Lawless Lawyer zuerst wie eine Thrillerserie mit der einen oder anderen obligatorischen romantischen Verstrickung ansieht, kommen auch tiefgründige Themen zur Sprache. So wird insbesondere die Frage nach dem Zugang zum Justizsystem für einfache Bürger und Bürgerinnen kritisch gestellt, aber auch der Umgang mit möglichen Kollusionen zwischen Politik und Justiz in der noch verhältnismäßig jungen koreanischen Demokratie ist Thema in Lawless Lawyer. Realitätsnah sind die gezeigten Szenen dieser Serie jedoch kaum, würde das Vorgehen der beiden Gerechtigkeit suchenden Anwälte doch jedem Disziplinarverantwortlichen der koreanischen Rechtsanwaltskammer Schauer über den Rücken jagen.

Ein kritischer Blick

Deutlich realitätsnähere Einblicke gewährt da hingegen die unter dem englischen Titel bekannt gewordene Produktion May it please the court mit Jung Ryeo-won als Anwältin Noh Chak-hee in der Hauptrolle. Noh, eine junge, erfolgreiche Rechtsanwältin mit besten Perspektiven auf eine Kanzleipartnerschaft wird infolge einer Intrige von ihrem Arbeitgeber, der renommierten Seouler Großkanzlei Jangsan, fallen gelassen und muss sich als Pflichtverteidigerin durchschlagen. Dabei stößt sie auf den abgebrühten Pflichtverteidigerkollegen Jwa Si-baek, mit dem sie nicht nur eine Reihe unterschiedlicher, spannender Kriminalfälle löst, sondern in dessen Gefolge sie auch in eine Mordserie verwickelt wird, die sich zu einem veritablen Polit- und Justizskandal entwickelt.

May it Please the Court | English Trailer | Disney Plus
⭐ Watch May it Please the Court on Disney Plus ⭐ ▶️ Disney Plus: The first five episodes now have English dubbed. Enjoy! Noh Chakhee, the ace lawyer with the highest winning rate in the big law firm, Jangsan, becomes a public defender of Jeongha overnight
Dubbed UK

Dass May it please the court mehr zu bieten hat als nur flache Unterhaltung, wird spätestens in der dritten Episode des K-Dramas deutlich: In dieser Folge verteidigt Noh den intellektuell beeinträchtigten Lee Guidong, einen Patienten einer stationären Psychiatrie. Lee wird vorgeworfen, einen Mitpatienten im Streit um eine Packung Chips so unglücklich verletzt zu haben, dass dieser an den Verletzungen verstarb. Während Noh Chak-hee, anfangs aus nicht immer redlichen Motiven, versucht, für ihren Mandanten eine medizinische Behandlung im Sinne einer "Therapie statt Strafe" zu erwirken, zeigt sich, wie schwierig der Umgang mit psychisch kranken Angeklagten auch für das koreanische Justizsystem ist – ein Thema, das sich so ungesehen auch auf die österreichische Rechtslandschaft ummünzen ließe, wie etwa die jüngsten Reformversuche im Bereich des Maßnahmenvollzugs zeigen.

Auch an anderer Stelle zeichnet May it please the court ein Bild von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen, wie es aus dem oben zitierten Artikel 1 des koreanischen Rechtsanwaltsgesetzes modelliert sein könnte, nämlich als Verteidiger der Grundrechte und Garant für einen fairen Zugang zum Rechtsystem für alle Koreanerinnen und Koreaner. Dabei wird auch nicht mit Kritik gespart, etwa jener am System der "billable hour", also einer Verrechnungsmethode, die in vielen Jurisdiktionen üblich ist und bei der nach geleisteter Arbeits(viertel)stunde und nicht nach tatsächlicher, inhaltlicher Leistung abgerechnet wird.

Parodie mit Tiefgang

Dass das Genre Legal Drama im asiatischen Film nicht unbedingt in Korea erfunden wurde, zeigt die Serie Legal High aus dem Jahr 2019. Bei dieser Produktion handelt es sich um ein Remake eines preisgekrönten japanischen Werkes aus den frühen 2010ern, die einen komödienhaften Einblick in das Wirken von Anwälten und Anwältinnen gibt.

Inhaltlich dreht sich bei Legal High alles um die junge, noch etwas unerfahrene Anwältin Seo Jae-in. Die junge Seo hat es im Anwaltsberuf als Frau und aufgrund ihres ausgeprägten Gerechtigkeitssinnes, der so manchem Mandat entgegensteht, doppelt schwer. Auf Umwegen landet sie bei dem für seine Amoralität und seine Geldgier, aber ebenso für seine makellose Obsiegensquote bekannten Anwaltskollegen Go Tae-rim (brillant gespielt von Jin Goo). An seiner Seite verhandelt Seo Jae-in in sechzehn Episoden unterschiedliche Fälle, etwa aus den Bereichen Arbeitsrecht, Urheberrecht und um weitere Spannung in die Serie zu bringen, auch im Strafrecht. Dabei entdeckt die lernbegierige, stets lösungsorientierte Anwältin, dass sich hinter der geldgierigen, siegesversessenen Fassade ihres Chefs ein weicher, aber auch humoriger Kern versteckt.

Legal High - Korean Drama Trailer / Teaser (2019)
Korean Drama Trailer / Teaser Title: Legal High Director: Kim Jung-Hyun Writer: Park Sung-Jin Network: JTBC Release Date: February 8, 2019 -- Runtime: Fridays & Saturdays 23:00 STARRING: Jin Goo, Seo Eun-Su, Yoon Park, STORYLINE: Ko Tae-Rim (Jin Goo) is a la
Hungry

Legal High parodiert den Erfolgsdruck, der auf Anwälten im koreanischen Rechtssystem lastet, und behandelt zugleich brennende Themen wie rigide Strukturen in Großkanzleien, die in Korea nicht gesetzlich geregelte Honorierung von Rechtsanwälten oder die Abhängigkeit von Kanzleien von einzelnen, wirtschaftlich potenten Großmandanten. Ein weiteres Schwerpunktthema etwa ist die von den Protagonisten immer wieder eingesetzte Methode der "Litigation Public Relations", also jener Disziplin der Krisenkommunikation, bei der versucht wird, mithilfe von Medien und PR-Aktionen die öffentliche Meinung über einen Rechtsstreit zugunsten des eigenen Mandanten zu beeinflussen. Durch das Aufgreifen solcher Themen wird Legal High zu jener der drei hier beschriebenen K-Dramen mit dem meisten Tiefgang, und das trotz der augenscheinlich heiter-fröhlichen Machart der Serie.

Mehr als nur Unterhaltung

Alles in allem sind Legal High, May it please the court, Lawless Lawyer und andere koreanische Gerichtsserien reine Unterhaltungssendungen, doch auch wenn die genannten Anwälte selbst nach wüsten Schlägereien mit Taft-Frisur und strahlendem Anzug aus den rauchenden Ruinen entsteigen, versteckt sich hinter der perfekten Unterhaltungsoptik zu markigen Popklängen oftmals eine tiefergehende Facette – sei es die hinterfragende Betrachtung des koreanischen Rechtssystems oder auch die kritische Auseinandersetzung mit der koreanischen Gesellschaft als Ganzes.

Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle ein interessantes, weil medienübergreifendes Projekt der Autorin Elisa Wax. Unter dem Titel "K-Dramas explained by a Korean Lawyer" verfasste Wax ein kurzes Buch, dessen Handlung an ein Szenario eines K-Dramas angelehnt ist. Dabei werden die hinter den dramatischen Ereignissen stehenden Rechtsfragen von einem fiktiven koreanischen Rechtsanwalt beantwortet. Behandelt werden dabei Fragestellungen aus dem Zivilrecht ebenso wie Rechtsfragen rund um den in Südkorea nach wie vor für alle Männer obligatorischen Militärdienst.

Zum Abschluss sei kurz darauf hingewiesen, dass nicht nur die Inhalte der Legal-K-Dramas oftmals spannendes juristisches Material bieten: Ebenso sind die Hintergründe der Produktionen der Serien gespickt mit interessanten Rechtsfragen, etwa hinsichtlich der Arbeitsverträge von Schauspielern und Schauspielerinnen, des internationalen Schutzes der (übersetzten) Titel der Serien oder auch betreffend urheberrechtliche Fragestellungen. Aber diese Themen sollen an anderer Stelle diskutiert werden. (Peter Wolkerstorfer, 29.6.2023)