Donald Trump hat Boris Johnson einst zum "Britain Trump" geadelt. Der Betroffene und dessen publizistischen Verteidiger – doch, die gibt es – wiesen den Vergleich milde zurück: Politisch hätten der nationalistische Amerikaner und der international denkende Engländer wenig gemeinsam. Die Vorgänge vom Freitag aber legen doch den Schluss nahe, dass es viele Parallelen gibt zwischen den narzisstischen Populisten beiderseits des Atlantiks.

Boris Johnson
Der ehemalige Regierungschef Boris Johnson.
EPA/TOLGA AKMEN

Gewiss werden Johnson keine kriminellen Handlungen zur Last gelegt. Auch hat er bisher nicht erkennen lassen, dass er die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie Großbritanniens ähnlich fundamental anzweifelt wie Trump seine Abwahl zugunsten des amtierenden Präsidenten Joe Biden. Doch enthält seine Rücktrittserklärung glatte Lügen und wilde Verschwörungstheorien. Wie Trump scheint Johnson in einem Universum zu leben, das mit der Realität wenig bis nichts zu tun hat.

Nichts weniger als "die Revision des Brexit" gehe mit seinem Ausschluss aus dem Unterhaus und damit aus dem überragend wichtigen Ort britischer Politik einher, schreibt Johnson. Das ist so lachhaft wie falsch. Premier Rishi Sunak hält eisern an dem Irrglauben fest, der EU-Austritt könne der Insel Vorteile verschaffen. Und Labour-Oppositionsführer Keir Starmer ist, je nach Lesart, zu klug oder zu feige, die Debatte über das Thema anzufachen. Johnson handelt wie die Apologeten des Kommunismus: eine tolle Idee, nur leider falsch umgesetzt. Kein Wort wahr: Der Brexit war von Anfang an eine miserable Idee, und jeden Tag werden den Briten die negativen Konsequenzen deutlicher. Den Integritätsausschuss des Parlaments denunziert Johnson als "kangaroo court", unterstellt den langjährigen Abgeordneten also Voreingenommenheit, ja korruptes Verhalten. Das ist so jämmerlich wie abscheulich. Das Gremium weist eine konservative Mehrheit auf; zudem unterliegt seine Entscheidung der Kontrolle der gesamten Parlamentskammer. Der persönliche Angriff gegen die Vorsitzende Harriet Harman und deren angeblich "anti-demokratisches" Vorgehen ist an Perfidie kaum zu übertreffen.

Was schon beim Rücktritt vom Amt des Premierministers deutlich wurde, fand sich am Freitag bestätigt: Johnson schreckt im Privatleben wie in der Politik vor glatten Lügen nicht zurück; alles und jeder wird seinem egoistischen Interesse untergeordnet; populistische Slogans ersetzen seriöse Politik, das Bohren dicker Bretter zum Wohl der Bürger ist viel zu langweilig. Insofern mutiert der einstige Liberalkonservative tatsächlich zum britischen Trump-Pendant. Hinzu kommt seine komplette Verachtung jeglicher politischer Konvention. Dabei wird das Königreich und seine Verfassung vielfach nur von Traditionen und Konventionen zusammengehalten. Diese zu ignorieren, ja verächtlich beiseitezuschieben, ist brandgefährlich.

Zurecht hat das Parlament sich seiner Stärke besonnen: Die Fraktion jagte Johnson vom Hof, der überparteiliche Ausschuss ließ ihm bombastische Sprüche und Schwindeleien nicht durchgehen. Ohne Boris Johnson wird die britische Politik langweiliger sein. Aber die Luft von Westminster lässt sich plötzlich viel freier atmen. (Sebastian Borger aus London, 10.6.2023)