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Endstation? In Experimenten mit Neuroprothesen versucht man Patienten mobil zu machen.

Foto: APA/dpa/Jörg Carstensen
Bei Christopher Reeve waren es die ersten beiden Halswirbel, die bei einem Reitunfall zerschmetterten, sein Zentralnervensystem verletzten und den als Superman berühmt gewordenen Schauspieler zum Schwerkranken machten. Zu einer Querschnittlähmung kommt es immer dann, wenn Rückenmark gequetscht oder abgetrennt wird. Je weiter oben die Wirbelsäule verletzt wird, desto schlimmer ist es, sind die obersten Halswirbel betroffen, können Patienten nicht einmal selbstständig atmen, sofern sie überhaupt überleben.

Die akute Verletzung allein ist allerdings längst nicht das einzige Problem. In den ersten beiden Wochen nach einem Unfall breitet sich der Schaden nämlich weiter aus. In dieser Phase nimmt nämlich die Zerstörung der Nerven erst ihren Lauf. "Durch die mit der Verletzung verbundenen Schwellung werden weitere Nervenbahnen geschädigt", erklärt Herbert Resch, Vorstand der Salzburger Universitätsklinik für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie.

Fatale Eigendynamik

Entzündungen oder Ödeme lassen das Rückenmark bis zum Eineinhalbfachen seiner normalen Größe anschwellen. Da es aber durch die knöcherne Umgebung keinen Platz hat, sich auszubreiten, verursacht es einen stark zerstörerischen Druck. Dadurch kann unter Umständen dann auch die Isolationsschicht der eigentlich noch intakten Nervenfasern verloren gehen, die dann keine Stromimpulse mehr leiten, obwohl sie es prinzipiell könnten.

Ein weiteres Handicap: die Narbenbildung im Rückenmark, die durch die Schwellung noch verstärkt wird. Die Narbe, an sich ein Reparaturgewebe, versucht zwar zu heilen, ist aber nicht in der Lage, Nervenfasern wieder herzustellen. "Ganz im Gegenteil, sie blockiert sogar das eventuelle Auswachsen von Nervensträngen", weiß Resch. Auch im Nervenfett, dem Myelin, finden sich Moleküle, die ein Nachwachsen beschädigter Nervenfasern hemmen.

Doch genau in diesem Punkt sieht die Forschung Potenzial. Mit der finanziellen Unterstützung von Stiftungen wie der "Christopher and Diana Reeve Foundation" oder "Wings for Life" arbeitet man an der Entwicklung neuer pharmakologischer Wirkstoffe, die die Nerven in der Phase der nachträglichen Schadensausweitung schützen sollen. Als Nebenwirkung kennt man die Nervenschutzfunktion bereits vom Dialysepräparat EPO (Erythropoetin).

Stoppschilder ausschalten

Das durchaus realistische Ziel ist es, die Funktionen des Rückenmarks unmittelbar nach der Verletzung durch weiterentwickelte oder neue Wirkstoffe nachhaltiger bewahren und sogar wiederherstellen zu können. Bei einer klinischen Studie in der Schweiz versucht man auch jene Moleküle auszuschalten, die das Wachstum der abgerissenen Nervenfasern verhindern.

Die Pionierarbeit dazu haben die Schweizer Wissenschafter Martin Schwab und Lisa Schnell bereits Anfang der 90er-Jahre geleistet - bis dahin hatte das Dogma geherrscht, verletztes Rückenmark könne niemals repariert werden. Sie konnten erstmals gelähmte Ratten wieder zum Laufen bringen. Was im Tiermodell funktioniert, soll nun auch in die Phase des klinischen Versuchs gebracht werden. In eine andere Richtung gehen Forschungsprojekte, die chronisch Querschnittgelähmte unterstützen sollen.

Mobilisierung

Ein Team rund um Gernot Müller-Putz an der TU Graz versucht Gliedmaßen mit Gedanken zu bewegen. Mit einem so genannten Brain-Computer Interface (BCI) wird durch Analyse der Gehirnströme ein Steuersignal generiert und an eine Neuroprothese für die Hand geschickt.

Am Wiener Wilhelminenspital wird mit Elektrostimulation gearbeitet. Einerseits werden die Muskeln spastisch gelähmter Patienten stimuliert, wodurch unangenehme Krämpfe vermindert werden. Mit Gehhilfen können manche Patienten sogar kurze Strecken gehen. Andererseits kann bei Patienten mit schlaffer Querschnittlähmung, in deren Muskeln gar keine Nerven mehr vorhanden sind, der Muskelabbau und Wundsitzen verhindert werden. Bis eine teilweise Heilung des verletzten Rückenmarks möglich sein wird, sind noch etliche Forschungsschritte und Geldmittel nötig. Doch die Prognose "unheilbar" verliert gerade ihre Endgültigkeit. Querschittlähmung hat neue Heilperspektiven. (DER STANDARD, Printausgabe, Marietta Türk, 9.7.2007)