Foto: Das N91

Jörg Pribil

Foto: Nokia
Elf Millionen Stück aus der iPod-Familie soll Apple im Weihnachtsquartal 2005 abgesetzt haben, die Verkaufserwartung liegt 2006 bei über 40 Millionen Exemplaren. Inzwischen wartet der Markt noch immer auf das bereits im Frühjahr des Vorjahres unter Fanfarenklängen vorgestellte Nokia Musikhandy N91. Kommt Nokia zu spät zur großen Musikparty? "Ich sehe das ganz anders", sagt naturgemäß Jörg Pribil, Nokia-Geschäftsführer Österreich und Schweiz, im Gespräch mit dem Standard . Denn erstens "haben wir bereits enorm viele MP3-taugliche Musikgeräte am Markt", und zweitens "helfen uns Trends wie der iPod, denn der Gesamtmarkt ist viel fach größer", sagt Pribil.

Warum

Aber warum braucht Nokia länger als Apple, mit entsprechenden Angeboten auf den Markt zu kommen? "Wir wollen nicht mit proprietären Systemen am Markt sein" – also einem Nokia-only-Angebot – "sondern breit aufgestellt sein. Es dauert auch länger, weil wir Musik nicht nur auf einem Gerät haben wollen. Und wir haben eine Plattform, die zukunftssicher ist" – die Kooperation mit Microsoft – "aber wie immer wird der Konsument entscheiden".

"Stehen erst am Start"

Pribil sieht eine Parallele zum Fotohandy, "da wurde uns auch gesagt, das geht nie. Nächstes Jahr sind unsere Handys mit Drei-Megapixel- Kameras Digicams ebenbürtig. Auch am Musiksektor wird uns das gelingen. Wir stehen erst am Start und iPods werden nicht die einzigen glückselig machenden Geräte sein." "Am Start" stehen Nokia und die Mobilfunkindustrie auch bei zwei weiteren Entwicklungen: Bei Mobile E-Mail, die durch den Blackberry des Hersteller RIM (Research in Motion) popularisiert wurde, und bei TV-Angeboten am Handy. "Es hat bei Blackberry genau ein Gerät gebraucht, um den Erfolg von RIM einzustellen, den Communicator 9300i", argumentiert Pribil: Diese jüngste Communicator-Version hat das "Push"-Mailsystem (Mail wird wie eine SMS zugeschickt) von Blackberry lizensiert.

TV

Und TV am Handy? Bis zur Primetime des Fernsehens am Handy wird es noch ein paar Jahre dauern, glaubt Pribil, "wir reden von 2008 bis 2010, weil TV eine sehr traditionelle Macht ist". Aber "das ,old news business‘ wird sich auf grund des neuen Terminals für Fernsehen wandeln. Die TV-Anstalten sehen darin eine Chance, ihre Kunden neu zu binden, weil kein anderes Gerät eine solche Emotionalisierung hat wie das Handy." Zwei unterschiedliche Technologien sind derzeit am Markt: Einerseits TV über das UMTS-Netz, andererseits mithilfe eines eigenen digitalen TV-Tuners im Handy. Wie berichtet wird das erste Nokia- Gerät mit einem TV-Empfänger 2006 auf den Markt kom men. "Wir wissen nicht, was sich durchsetzt, darum integrieren wir alles in einem Gerät. Das ist wie bei Wireless LAN auf Handys, das wir auch inzwischen einbauen. Bevor es wer anderer macht, machen wir es lieber selbst."

Experiment

Pribil räumt ein, dass manche dieser Technologien quasi als Experiment auf den Markt kommen, wie das vor einigen Jahren propagierte "Visual Radio". Dabei empfängt das Han dy über einen Radioempfänger eine Radiostation, während über Internettechnologie am Display zusätzliche Information zum Programm angezeigt werden kann. "Ich sehe keine kommerziellen Angebote, nur Versuche. Auch bei Push to Talk" – mit dem Handys ähnlich wie Walkie-Talkies funktionieren – "oder dem dynamischen Adressbuch" – das am Display an zeigt, ob ein Gesprächspartner gerade erreichbar ist – "geht nichts weiter. Es gibt vieles, was nicht vom Fleck kommt."

Ein Bauchladen mit nicht verwendeten Funktionen?

Laufen Handys dadurch Gefahr, einen Bauchladen an nicht verwendeten Funktionen mitzuschleppen und ihre Benutzer zu verwirren? "Wir agieren in einem globalen Markt und tun uns schwer, in die Menüs einzugreifen, auch wenn es in einzelnen Länder sinnvoll wäre, einzelne Dienste herauszunehmen", sagt Pribil. "Das ist ein relevanter Punkt, zu dem wir uns viel überlegen, weil das kostet uns und den Betreibern Geld. Wir wollen in den nächsten zwölf bis 24 Monaten deutliche Verbesserungen erreichen, wie die Aktualisierung von Menüs über das Funknetz." (Das Gespräch führte Helmut Spudich, DER STANDARD Printausgabe, 4. Jänner 2006)