Hinter den Kulissen gärt es. In Handel und Industrie ist von politischem Kleingeld die Rede, das aus dem von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) einberufenen Gipfel gegen teure Lebensmittel geschlagen werden soll. Supermärkte fühlen sich zu Unrecht allein vor den Karren gespannt. Entsprechend gering war ihre Bereitschaft, im Vorfeld Zugeständnisse zu signalisieren, die allein auf ihre Kosten die hohe Inflation bremsen sollten.

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DER STANDARD

Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will und WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik sehen die Schuld für hohe Preise in den Kosten für Energie, Miete, Steuern und nicht in der Branche. "Der Wettbewerb ist perfekt", so Will in der "ZiB 2". Auch Rainer Trefelik, Obmann der Handelssparte in der Wirtschaftskammer, sieht keinen Handlungsbedarf bei Transparenz oder Wettbewerb. Auch im Energiesektor gebe es keine Preistransparenz, vergleicht Trefelik.

Am Montag will Rauch ab 8.30 Uhr innerhalb von rund zwei Stunden ausloten, was hinter den gestiegenen Preisen für Lebensmittel steckt und welchen Handlungsspielraum die Regierung hat, um vor allem einkommensschwache Haushalte in Österreich zu entlasten.

Flankiert wird Rauch von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP). Ihnen gegenüber sitzen Sozialpartner, Vertreter aus Industrie und großen Handelskonzernen sowie soziale Organisationen.

Weniger Verschwendung

Was sich abzeichnet, sind mögliche Erleichterungen für karitative Einrichtungen und Appelle rund um den Dauerbrenner Lebensmittelverschwendung. Angesichts des stark gestiegenen Bedarfs an billigen bis kostenlosen Nahrungsmitteln geraten Sozialvereine zusehends in die Bredouille.

Im Schnitt geben die Österreicher zwölf Prozent ihrer Haushaltsausgaben für Lebensmittel aus.
Foto: Imago

Die Zahl an Sachspenden aus dem Lebensmittelhandel sei im Vorjahr um mehr als die Hälfte gesunken, rechnet Alexandra Gruber, Geschäftsführerin der Wiener Tafel, im STANDARD-Gespräch vor. Kooperationen mit der Landwirtschaft hätten zwar einiges davon wettgemacht. Doch um Tausende armutsgefährdete Menschen in Österreich weiter zu versorgen, müsse die Weitergabe von Waren vereinfacht werden.

Es brauche Förderungen, um bessere Brücken zur Landwirtschaft zu schlagen und Lebensmittel vor dem Verderb zu retten, die aufgrund kleiner Makel nicht im Supermarkt landen, betont Gruber. "Hier schlummert Riesenpotenzial."

Weniger Spenden, mehr Suppenküchen

Nötig seien aber auch steuerliche Eingriffe, um Warenspenden günstiger zu machen. Gruber stellt darüber hinaus neue Apps infrage, über die sich überschüssige Lebensmittel im Supermarkt günstiger erwerben lassen. Diese seien gut für Schnäppchenjäger – Einrichtungen für Obdachlose hätten davon aber wenig. Allein die Wiener Tafel versorgt 28.000 Menschen in knapp 100 Sozialeinrichtungen, sagt Gruber. "Wir brauchen dringend Hilfe."

Konzerne wie Rewe betonen, Spenden in Summe nicht reduziert zu haben. Verantwortlich für Lebensmittelverschwendung sieht sich der Handel nicht. Dieser sei nur für neun Prozent des noch genießbaren Essens verantwortlich, das im Müll lande. Für ein Drittel sorgten Verarbeiter und Gastronomen – für rund 60 Prozent Konsumenten.

Rainer Will, Sprecher des Handelsverbands, sagte in der "ZiB 2" des ORF, der Wettbewerb zwischen den Supermarktbetreibern Rewe, Spar, Hofer und Lidl in Österreich sei "perfekt". Die Preisunterschiede zu deutschen Lebensmittelhändlern erklärte er unter anderem mit den 14 Monatsgehältern, die hierzulande bezahlt werden.

Rainer Will in der "ZiB 2".
ORF

Forderungen der Caritas mit Blick auf den Teuerungsgipfel gehen weit über den Lebensmittelhandel hinaus. Die Sozialhilfe müsse reformiert werden, die Mindestpensionen gehörten erhöht, das Arbeitslosengeld deutlich angehoben und Bildung als Schlüssel zur Armutsbekämpfung ernst genommen, appelliert Caritas-Präsident Michael Landau. Es sei inakzeptabel, dass immer mehr Mindestpensionisten und Mindespensionistinnen vor Suppenküchen anstehen müssten.

Neue Warenkörbe

Weiteres großes Thema am Montag ist die Frage der Nachvollziehbarkeit von Preisen. Die Landwirtschaft wird für Fairness und Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette plädieren. Ein Baustein dafür könnte aus ihrer Sicht ein fixer repräsentativer Warenkorb sein. Dieser soll Einkaufs- wie Verkaufspreise ausgewählter Produkte regelmäßig messen. "Damit wird sichtbar, ob und in welchem Umfang sinkende landwirtschaftliche Erzeugerpreise beim Konsumenten ankommen", ist Totschnig überzeugt, der darüber hinaus "Stabilität und Perspektiven auf den Energiemärkten" einfordert.

Ein ähnliches Ansinnen verfolgt die sogenannte Preisdatenbank, die politisch zuletzt wieder ins Spiel gebracht wurde. Tagesaktuell soll diese quasi auf Knopfdruck die Kosten aller Konsumgüter ablesen lassen.

Französisches Modell

Erwogen wird zudem das französische Modell, das VP-Finanzminister Magnus Brunner ins Rennen schickt. In Frankreich einigten sich Händler darauf, Preise für einzelne Lebensmittel ein Quartal lang nicht anzuheben. Das Risiko dabei: Macht der Handel damit Verluste, wird er andere Produkte verteuern.

Auch Warenkörbe haben etliche Haken. Die Dokumentation der Einkaufs- und Verkaufspreise des Handels zeigt nur ein Puzzleteil von vielen. Um echten Einblick in die Kalkulationen der Lebensmittelbranche zu erhalten, müssten neben Supermärkten auch Produzenten und Bauern samt Vorlieferanten ihre Kosten offenlegen. Diese auf Dauer dazu zu zwingen, bedingt harte Markteingriffe.

Essen ist kein Sprit

Was – anders als bei Sprit – Preisvergleiche erschwert, ist die Vielfalt an Lebensmitteln. Kleine Änderungen in der Rezeptur haben große Wirkung auf die Preise, deren Transparenz mit der steigenden Auswahl an Lebensmitteln sinkt.

Der Verwaltungsaufwand, der allein hinter der Kontrolle dutzender Nudelvariationen steckt, sollte nicht unterschätzt werden, warnen Handelsexperten. Die Gefahr sei groß, dass die Kosten für derartige Datenbanken erst recht auf Konsumenten überwälzt würden.

Reduziert die Regierung den Einkaufskorb auf wenige Produkte, riskiert sie, günstigen Handelsmarken Vorschub zu leisten. Das wiederum spielt mehr Geschäft in die Hände der Supermärkte. Diese werden mit eigenen Labels zu Produzenten und bauen ihre Verhandlungsmacht aus.

Kehrseite der Transparenz

"Es gibt keine einfachen Lösungen", resümiert Wifo-Experte Franz Sinabell. Höhere Transparenz könne auch das Gegenteil dessen bewirken, auf das sie abziele. Dann etwa, wenn diese zu weniger Wettbewerb auf dem ohnehin stark konzentrierten Lebensmittelhandel führe.

Sinabell schlägt vor, stattdessen mehr Daten über Preisweitergaben entlang der Wertschöpfungsketten zu sammeln und von Fachleuten auswerten zu lassen. Das sei zwar "weniger sexy" als viele andere diskutierte Ideen, aber ein wichtiger Hebel, um Preispolitik zu verändern.

Licht ins Dunkel der Gebarung der Branche bringen will die Wettbewerbsbehörde. Seit Oktober prüft sie die Einkaufs- und Verkaufspreise des Lebensmittelhandels über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Das Ergebnis der Analyse sollte bis Jahresende auf dem Tisch liegen.

Was nicht kommt

Dass sich die Regierung zu seiner Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel durchringt, gilt als unwahrscheinlich. In der gesamten Lebensmittelbranche überraschte bisher nur Rewe als Befürworter. Für nicht weniger unrealistisch halten viele Wirtschaftsforscher einen Preisdeckel für wichtige Grundnahrungsmittel. Länder wie Ungarn bezahlten den scharfen Eingriff in den freien Markt mit einer EU-weiten Lebensmittelrekordinflation.

Katharina Koßdorff, Chefin des Verbands der Lebensmittelindustrie, erhofft sich vom heutigen Gipfel eine Versachlichung der Debatte: Viele Rohstoffe wurden knapper, die Nachfrage sei auch aufgrund hoher Förderungen stabil geblieben. Dass Preise in der Folge durch die Decke gingen, liegt für sie auf der Hand.

80 Prozent der Lebensmittelkosten machten Energie, Rohstoffe, Logistik und Verpackung aus. Die Löhne, die um bis zu zehn Prozent stiegen, seien noch nicht eingerechnet, sagt Koßdorff. Selbst wenn Kosten für Energie und einzelne Rohstoffe nun sinken, habe das infolge langer Lieferverträge keine unmittelbaren Effekte auf Endverbraucherpreise.

Mehl allein macht kein Brot

Meist dauere es bei verarbeiteten Produkten einige Monate, bis Preisveränderungen an die Konsumenten weitergegeben werden, gibt Sinabell zu bedenken. Wobei der Agrarkostenanteil nicht überschätzt werden dürfe: Bei den meisten Lebensmitteln mache dieser nur noch zwei, drei Prozent aus. Brot etwa werde anders als früher tiefgekühlt, mehrfach aufgebacken, vielerorts weit transportiert.

Was die Haushaltsausgaben der Bevölkerung in Österreich betrifft, so haben Lebensmittel im Schnitt über die Jahre stark an Gewicht verloren. Sie liegen hinter Wohnen & Energie, Verkehr & Mobilität sowie Freizeit an vierter Stelle. Im Ranking der Preistreiber sieht das Wifo diese an dritter Stelle hinter Energie und Sprit.

Im EU-Vergleich verteuerten sich Lebensmittel hierzulande im März im Jahresabstand um 14,6 Prozent. Österreich liegt damit im unteren Drittel – hinter Deutschland mit fast 23 und Frankreich mit mehr als 17 Prozent kostspieligerem Essen. (Verena Kainrath, 8.5.2023)

Dieser Artikel wurde um 9.00 Uhr um die Aussagen von Handelsverbandsobmann Rainer Will und WKÖ-Handelsobmann Rainer Trefelik ergänzt.