Die Zeiten sind ungewiss – nicht einmal seines Schreibtischs kann man sich noch sicher sein. Denn in vielen Unternehmen, die in den letzten Jahren das Büro und damit auch die Unternehmenskultur modernisiert haben, wurde auf Shared Desks umgestellt. Ein eigener Schreibtisch ist in diesen Unternehmen Geschichte, stattdessen suchen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue ihren Arbeitsplatz aus. Vor dem Heimgehen wird der Tisch leergeräumt. Wer weiß, wer hier morgen arbeitet?

In vielen Unternehmen gibt es heute eine "Clean Desk Policy": Am Ende des Tages muss der Schreibtisch abgeräumt werden, Persönliches wandert in einen Spind.
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Für Gewohnheitstiere, die sich auf ihrem Arbeitsplatz ein Familienfoto aufgestellt und eine Topfpflanze herangezüchtet haben, klingt das wie ein Albtraum. Corona dürfte den Trend der geteilten Schreibtische aber noch einmal beschleunigt haben. Denn in vielen Unternehmen hat das Homeoffice während der Pandemie so großen Anklang gefunden, dass viele auch künftig öfter von zu Hause aus arbeiten wollen.

Das bedeutet, dass im Büro heute deutlich weniger Menschen sitzen als vor der Pandemie. "Viele Unternehmen stehen vor der Situation, dass die Hälfte oder drei Viertel der Arbeitsplätze leer sind", sagt Sabine Zinke vom Beratungsunternehmen M.O.O.CON. Zu jenen Menschen, die wegen der Arbeit im Homeoffice im Büro fehlen, kommen auch noch jene, die gerade in Urlaub, in Teilzeit, in Besprechungen oder auf Dienstreisen sind.

Daraus entsteht in vielen Unternehmen die Überlegung, das Büro anders zu nutzen: für Kollaborationen und Besprechungen nämlich, und nicht für wild aneinandergereihte und ohnehin nur wenig genutzte Schreibtische. Eine bessere Nutzung der Büroflächen mache auch aus Gründen der Nachhaltigkeit Sinn, sagt Büro-Expertin Zinke – und genau diese Nachhaltigkeit werde von "einer nicht zu vernachlässigenden Gruppe" auch eingefordert.

Spielregeln gesucht

Die Akzeptanz für solche Konzepte sei in jenen Unternehmen gut, wo Homeoffice Standard ist, sagt die Expertin. Häufig würden die Shared Desks gleich mittels Homeoffice-Regelung abgesegnet: "Mit der Zustimmung zum Homeoffice stimmt man also auch den Shared Desks zu", sagt Zinke.

Psychologinnen und Psychologen sehen die modernen Bürowelten deutlich kritischer. "Man muss sich jeden Tag aufs Neue einen Platz suchen, der den eigenen Bedürfnissen entspricht", sagt die Linzer Psychologin Barbara Perfahl: "Das ist einfach anstrengend." Noch dazu, weil es bei einem Arbeitsplatz nicht nur um die Schreibtischfläche geht. Sondern auch darum, wo sich dieser im Raum befindet, aber auch, wie es mit Nähe und Distanz zu anderen Menschen ausschaut und wie man diesen sozialen Abstand regulieren kann.

Beim privaten Arbeitsplatz sei vielen Menschen wichtig, diesen zu personalisieren, sich Privatsphäre zu schaffen und vor anderen Blicken zu schützen: "Bei Flex Desks geht das nicht", sagt Perfahl. Das Grundproblem: "Man vergisst bei der Planung, dass die tief in uns verankerten Grundstrukturen bei Weitem nicht so fortschrittlich sind, wie die neuen Büros." Die Flexibilität der Menschen werde überschätzt – und letztendlich leide darunter auch die Arbeitsqualität.

Einige Fallstricke

Der Umstieg auf Shared Desks beinhaltet tatsächlich Fallstricke. So ist laut Zinke wichtig, dass das Verhältnis zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den zur Verfügung stehenden Schreibtischen stimmt. "Wir versuchen, das immer so zu gestalten, dass man auch spontan entscheiden kann, ins Büro zu kommen", sagt sie. Schwierig werde es, wenn man sich vorab für einen Schreibtisch anmelden muss oder gar nicht genau wisse, ob im Büro gerade ein Platz frei sei.

Und es brauche Spielregeln, etwa dazu, ob der Schreibtisch schon bei mehrstündiger Abwesenheit geräumt werden muss, um Platz zu schaffen – oder immer erst abends. Außerdem ist es nicht realistisch, dass sich jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin jeden Tag aufs Neue irgendwo im Büro einen Platz sucht. Daher seien Homebases sinnvoll, also ungefähre Bereiche, in denen Abteilungen zusammensitzen – allerdings mit fluiden Grenzen.

Es sei völlig in Ordnung, wenn jemand jeden Tag aufs Neue am gleichen Platz sitze – es dürfe gleichzeitig aber auch nicht sozial geächtet werden, wenn sich einmal der Kollege oder die Kollegin auf diesen Platz setzt.

Trügerische Sicherheit

Eine weitere Voraussetzung: Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter braucht Platz, um persönliche Gegenstände zu verstauen. In vielen Unternehmen werden daher Locker aufgestellt, manche stellen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch eigene Taschen zur Verfügung, in denen sie Laptop, Block und Kugelschreiber mit sich herumtragen können. "Aber die Menschen, die mobil arbeiten, haben ihren Laptop sowieso immer dabei", sagt Zinke, wirklich gebraucht würden die Spinde am Ende also oft nicht – übrigens so wie die Rollkästen, die früher neben dem eigenen Schreibtisch standen.

Aber wohin mit dem Familienfoto? "Das hat sich ein bisschen erledigt", sagt Zinke. Die meisten hätten die Fotos heute ohnehin digital bei sich. Letztendlich, sagt die Expertin, ist es in unsicheren Zeiten vielleicht auch nur eine trügerische Sicherheit, in der man sich mit eigenem Schreibtisch wiegt: "Ich würde andersrum argumentieren", sagt sie. "Man kann sich viel sicherer fühlen, wenn der Arbeitgeber Ressourcen effizient ausnutzt und nachhaltig wirtschaftet." (Franziska Zoidl, 5.5.2023)