Seit einem Jahr tobt Krieg in Europa. Allerorts wird darüber diskutiert, was er für die Sicherheitspolitik des Kontinents bedeutet. In Österreich hingegen ist die Regierung augenscheinlich immer noch der Überzeugung, die "Zeitenwende", wie sie in Deutschland genannt wird, betreffe sie nicht. Die Aufstockung der Mittel für die Landesverteidigung ist zwar ein richtiger Schritt, aber zu wenig.

Hält die Neutralität für identitätsstiftend: Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).
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Die russische Aggression gegen einen souveränen Staat bedeutet eine Zäsur. Sie erfordert einen öffentlichen Austausch über ihre Folgen auf die heimische Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Das beinhaltet auch eine Debatte darüber, ob Neutralität noch zeitgemäß ist und wenn ja, wie sie konkret gelebt werden kann. Diese Diskussion verweigert die Regierung aber partout – zumeist mit dem Hinweis, die Bevölkerung stehe eindeutig hinter der Neutralität.

Ein Klischee wie Berge und Lipizzaner

Das ist mutlos. Denn Neutralität ist ein hohler Begriff, hinter dem sich viele verstecken. Für Europaministerin Karoline Edtstadler ist sie "identitätsstiftend" – und damit ein Klischee wie Berge und Lipizzaner. Dass Edtstadler behauptet, die Neutralität habe "Freiheit, Wohlstand und Frieden" gebracht, ist nicht nur verklärend, sondern auch historisch nicht akkurat: Den Krieg beendeten andere für uns, den Wohlstand haben die USA und später die EU gebracht, vom Sicherheitsnetz der Nato profitieren wir weiterhin, zumal Österreich nicht verteidigungsfähig ist. Auch das könnte man mal offen aussprechen. (Anna Giulia Fink, 22.2.2023)