Es war einmal eine Zeit, da schien es in den österreichisch-tschechischen Beziehungen nur zwei Themen zu geben: Das eine kreiste um die sogenannten Beneš-Dekrete, um Enteignung und Abschiebung von großen Teilen der deutschsprachigen Zivilbevölkerung aus der Nachkriegstschechoslowakei. Das andere betraf die Kernkraft im Allgemeinen und den Bau des südböhmischen AKWs Temelín im Besonderen.

Tschechien könnte künftig auf Mini-AKWs setzen.
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Letzteres droht nun erneut das bilaterale Verhältnis zu belasten. Die tschechischen Pläne, den Energiemix mehr in Richtung Kernkraft zu trimmen, werden in Österreich mit Besorgnis wahrgenommen. Unschöne Erinnerungen kommen hoch: Hierzulande hatten manche sich von der Samtenen Revolution des Jahres 1989 beim Nachbarn wohl auch eine Energiewende erwartet. Als diese ausblieb, war der Weg von der Vertretung legitimer Sicherheitsinteressen zu Grenzblockaden wegen des vermeintlichen "Schrottreaktors" nicht mehr weit.

Viel Porzellan wurde damals zerschlagen. Gekittet werden konnte es nur mühsam. Im Fall der Nachkriegsvergangenheit etwa von jungen Tschechinnen und Tschechen, die vormachten, wie man vor der eigenen Tür kehrt, und sich dem Gedenken an die deutschsprachigen Landsleute ihrer Großeltern widmeten. Und im Falle Temelíns durch langwierige politische Verhandlungen über Transparenz und Reaktorsicherheit.

Heute sind die bilateralen Beziehungen zum Glück auf einem völlig anderen Niveau. Die Außenminister beider Länder unternehmen sogar gemeinsame Reisen – im Juli etwa ins kriegsgebeutelte Kiew. Auch wenn Prag darauf pocht, seinen Energiemix selbst zu bestimmen, und auch wenn Wien seine Antiatompolitik fortführen wird: Die Verantwortlichen auf beiden Seiten sollten verhindern, dass Scharfmacher die Debatte bestimmen – und das moderne, von gegenseitigem Respekt getragene Verhältnis wieder in die 1990er katapultieren. (Gerald Schubert, 7.11.2022)