Ich habe mir den Hals komplett aufgeschlitzt. Das klingt jetzt brutal, aber so war es. Das lässt sich nicht anders beschreiben. Ich bin durch die Kurve gezogen, wollte herausbeschleunigen und bin gegen ein stehendes Auto gefahren. Die Wucht hat die Heckscheibe zerbrochen. Ich ging zu Boden, ich lag dort am Asphalt. Und ich wusste, dass ich nicht mehr aufstehen würde. Neben meinem Hals hatte sich eine Blutlacke gebildet, mein Blut rann quer über die Straße. Ein Mechaniker hat mir den Hals zugehalten, mit bloßen Händen. Ich habe ihm noch meine Blutgruppe genannt. Dann war ich weg.

Neun Tage verbrachte Marco Friedrich im Spital. Er will noch heuer zurück in den Sattel.
Foto: Privat

Mein Name ist Marco Friedrich, ich bin 24 Jahre alt und seit 2017 professioneller Radrennfahrer. Ich mag die Lust am Leiden. Ich liebe es, Grenzen auszuloten. Darum bin ich Rennfahrer geworden, darum habe ich diesen Weg eingeschlagen. Nichts macht mir mehr Spaß als ein Zeitfahren, ein kurzer steiler Anstieg oder ein Sprint aus einer dezimierten Gruppe. Nichts kann diesen Nervenkitzel während eines Rennens ersetzen. Als ich vor Jahren in das berühmte Velodrome von Roubaix eingebogen bin, wusste ich, das ist mein Ding. Ich brauche dieses Kribbeln.

Zusammengeflickt

Ich habe zwei Liter Blut verloren. Meine Teamkollegen mussten mitansehen, wie ich ausrinne. Das war bestimmt kein schöner Anblick. Ich habe noch das Klicken der Rettungsbahre mitbekommen, den Rest kenne ich nur aus Erzählungen. Die Rettungskräfte und das Ärzteteam in Tschechien haben mir das Leben gerettet. Ich muss mich bei jedem Einzelnen bedanken. Sie haben die Blutung im allerletzten Moment gestoppt und mich im Spital zusammengeflickt. Eine Arterie im Halsbereich war durchtrennt, ich musste notoperiert werden. Das war ein ziemliches Massaker.

Der Radsport ist gefährlich, das ist keine Überraschung. Es kommt vor, dass man auf die Schnauze fällt. Man fällt nicht auf die Matte, man fällt nicht in den Schnee. Da ist nur Asphalt. Wir tragen einen Helm, der Körper ist die Knautschzone. Mit diesem Risiko muss man als Profi umgehen können, das nimmt dir keiner ab. Ich akzeptiere das, so ist das Geschäft. Mich hat es schon früher geschmissen, aber nie so heftig. Das war mein erster schwerer Unfall. War es auch der letzte? Vermutlich nicht. Ich bin nicht naiv.

Einen Tag später wurde ich aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt. Ich sah Ärzte, das Pflegepersonal und meine Eltern. Ich wusste, dass ich einen Unfall hatte, danach war eine Lücke in meinem Kopf. Die Ärzte haben mich aufgeklärt, über den Eingriff, die Schwere der Verletzungen. Neben der durchtrennten Arterie habe ich mir einen Halswirbelbruch und eine Nervenwurzelstörung zugezogen. Mein linker Arm und die Schulter sind taub. Ich fühle nichts. Ein Teil der Schulter könnte taub bleiben. Es gibt Schlimmeres, damit kann ich leben.

Den Veranstaltern mache ich keinen Vorwurf. Die Rettungskette hat funktioniert. Und so ein Rennen vollständig abzusichern, ist quasi unmöglich. Vor dem Start wird man an die Straßenverkehrsordnung erinnert. Man wird daran erinnert, dass man sich am rechten Fahrbandrand halten soll. Man wird darauf aufmerksam gemacht, dass Dritte auf den Kurs gelangen könnten. In meinem Fall war das Auto kurz zuvor auf die Strecke gefahren und ist am Straßenrand stehengeblieben. Der Unfall, das hat mir mein Team versichert, ist aufgrund unglücklicher Umstände passiert. Das nehme ich so hin.

Marco Friedrich auf seinem Rennrad. Er fährt für das Team Felbermayr-Simplon Wels.
Foto: Mario Stiehl

Der Crash ist jetzt mehr als zwei Wochen her. Schmerzfrei bin ich bei weitem nicht. Die ersten Tage habe ich große Schritte gemacht, nun geht es spärlich voran. Wenn ich ein paar Minuten stehe, wird es kritisch. Dann tut alles weh. Der Wirbel, die Schulter, der Arm. Ich bin aufs Bett angewiesen – und auf meine Eltern. Ich bin vorübergehend zu ihnen gezogen. Für die alltäglichen Dinge brauche ich Hilfe. Kochen, Geschirr abwaschen, das geht gar nicht. Meine Eltern befüllen mir den Teller, ich bin nicht allein.

Das ist mein Plan

Die Ärzte sagen, mit dieser Radsaison wird es nichts mehr. Ich glaube das nicht. Ich kann mir vorstellen, heuer noch das eine oder andere Rennen zu fahren. Das ist zumindest mein Plan, darauf arbeite ich hin. Ich trage jetzt sechs Wochen ein Korsett am Hals, danach überlegen wir die nächsten Schritte. Ich habe keine Angst, wieder Rennen zu fahren. Meine Ziele haben sich nicht verändert. Ich will Klassiker gewinnen und irgendwann bei der Tour de France starten. Wann es so weit sein soll? Im Radsport heißt es immer: so schnell wie möglich.

Wenn man die ganzen Nachrichten von Familie, Freunden und Kollegen liest, wird einem erst richtig bewusst, wie kritisch die Situation war. Es stand mehr als nur meine Karriere auf dem Spiel. Die ersten Tage im Krankenhaus waren emotional, ich war aufgewühlt. Das hätte auch anders ausgehen können, das war eine enge Geschichte. Ich will nicht verdrängen, was passiert ist. Man kann nicht ändern, was passiert ist. Aber es ist gut, wie es ist. Ich bin am Leben. (Protokoll: Philip Bauer, 4.6.2022)