Der Biologe tut es. Die Modedesignerin tat es. Die Flugbegleiterin denkt noch darüber nach, ob sie wieder soll: grün wählen. Christian Kollinsky, Maria Fürnkranz-Fielhauer und Sophie Frank leben oder arbeiten im siebten Wiener Gemeindebezirk. Neubau, wie der Stadtteil heißt, ist die Hochburg der Grünen. Dort erzielte die Partei 2001 erstmals in Österreich eine relative Mehrheit und stellt seitdem den Bezirksvorsteher. Bei der Nationalratswahl 2015 bekamen die Grünen im Siebten 41 Prozent der Stimmen. Glaubt man Umfragen, droht der Partei am 15. Oktober ein Absturz. Doch warum sind so viele Grünwähler plötzlich skeptisch?

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Fehlende Themenvielfalt

Fürnkranz-Fielhauer entwirft, näht und verkauft ihre Kleider, Shirts und Hosen in einer kleinen Boutique in der Westbahnstraße. Die Grünen habe sie schon öfter gewählt, aber auch andere Parteien. Wofür die Grünen stehen? "Natürlich Umweltpolitik", sagt die Designerin prompt. Das Thema hätten mittlerweile aber "eigentlich alle Parteien" für sich erkannt. Sie zuckt mit den Schultern: "Was anderes verbinde ich gar nicht so mit ihnen." Gerade im Bildungsbereich seien ihr inzwischen mehr Positionen der Neos bekannt.

Auch eine Umfrage des Instituts Market für den STANDARD hat Anfang des Jahres ergeben, dass die Grünen mehr als andere Parteien mit Anstand, Umweltschutz und Menschenrechtsfragen – ihren ureigenen Themen – in Verbindung gebracht werden. "Die Grünen haben sich eine Spur zu wenig weiterentwickelt", findet Fürnkranz-Fielhauer.

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Die Flugbegleiterin Frank trägt roten Lippenstift und eine Brille mit kreisrunden Gläsern. Sie möchte die Grünen eigentlich wieder wählen, ganz überzeugt ist sie noch nicht. Sie wünsche sich, dass die Ökopartei mehr für junge Leute kämpfe, "die selbst etwas auf die Beine stellen wollen". So sieht das auch Fürnkranz-Fielhauer: Als Selbstständige fühle sie sich von der Politik oft allein gelassen. Hinter "den Kreativen" stehe überhaupt keine Partei, bei den Grünen wäre "der richtige Platz", findet sie – doch erobern würden die ihn nicht.

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Grüne Stärken

Der thematische Fokus der Grünen wird gleichzeitig aber auch als Stärke empfunden – vor allem bei jenen, denen Umweltschutz besonders wichtig ist, wie dem Biologen Kollinsky. Er hat lange im Ausland gelebt, zuletzt in der Türkei: Wenn man sehe, wie wenig in anderen Ländern auf Umweltbelange Rücksicht genommen wird, erkenne man erst wieder, wie wichtig die Thematik sei. Da gehe es schließlich um "die Zukunft unseres Planeten, um Nachhaltigkeit". Auch Demokratie und Menschenrechte würden hierzulande inzwischen als Selbstverständlichkeit wahrgenommen – er habe jedoch erlebt, wie schnell solche Grundfesten erschüttert werden können. "Es braucht eine Partei, die das weiterhin auf der Agenda hat", sagt er.

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Im Wahlkampf wollen sich die Grünen vor allem auf Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung konzentrieren. Sie fordern einen Stopp der staatlichen Subventionierung von Öl, Gas und Kohle, eine Erbschafts- und Schenkungssteuer ab 500.000 Euro und "verbindliche Frauenquoten. Darüber hinaus sollen bis Oktober die Schwerpunkte Bildung und Europa sowie die Abgrenzung zur FPÖ thematisiert werden.

Personalquerelen

Zuerst der Ausschluss der renitenten Parteijugend, dann der Rücktritt von Grünen-Chefin Eva Glawischnig, schließlich der Ab- und Alleingang des Urgesteins Peter Pilz: "Mir taugt das nicht", sagt Fürnkranz-Fielhauer. Dass sich die Grünen ständig mit sich selbst beschäftigen, finde sie "schwierig". Die Personalquerelen seien für sie einer der Hauptgründe, warum sie bei der kommenden Wahl im Herbst vielleicht "taktisch" wähle. Kollinsky werde der neuen Liste von Pilz zwar nicht seine Stimme geben, ihn bei den Grünen aber sehr wohl vermissen: "Den hätte man halten sollen", kritisiert er.

Neue Doppelspitze

Vor rund drei Monaten installierten die Grünen erstmals in der Geschichte der Partei ein Führungsduo: Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl ist Ulrike Lunacek, die seit drei Jahren als Vizepräsidentin des EU-Parlaments fungiert, Parteichefin wurde Ingrid Felipe, die stellvertretende Landeshauptfrau Tirols. Fürnkranz-Fielhauer gefällt, dass mit Lunacek eine Frau und begeisterte Europäerin antritt. Die Grünen sind die einzige Partei, die mit einer weiblichen Kandidatin ins Rennen geht. Auch Frank freue sich über "frischen, weiblichen Wind". Der Führungswechsel liege jedoch erst so kurz zurück: Mit dem neuen Duo müsse sie sich genauer auseinandersetzen, bevor sie wisse, ob die beiden "wirklich die Richtigen" sind.

(Text: Katharina Mittelstaedt, Videos: Maria von Usslar, Grafik und Zeitleiste: Sebastian Kienzl, 28.8.2017)