Die Personalvertretung der Polizei fahre "mit dem Innenminister Schlitten", und es gebe ein Teilversagen rechtsstaatlicher Kontrolle bei der Polizeiarbeit, sagt Philipp Sonderegger.

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Seit 2016 die Aktion "Gemeinsam sicher" gestartet wurde, laufen in der Polizei Bemühungen, bürgernäher zu werden. Hier ähnelt die Initiative anderen vergleichbaren Projekten in weiteren europäischen Ländern – nicht jedoch mit der laut verkündeten Absicht, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu steigern.

Philipp Sonderegger, Mitglied des Menschenrechtsbeirats in der Volksanwaltschaft, hat starke Zweifel, dass das überhaupt geht. Darin sei sich die Fachwelt einig. Wichtig sei mehr Bürgernähe dennoch.

STANDARD: Die Aktion "Gemeinsam sicher" soll das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung heben. Funktioniert das?

Sonderegger: Nein, das ist ein großer Fehler bei der Umsetzung von Community-Policing. Die Exekutive kann die Bevölkerung vor Kriminalität schützen, aber nicht ihr Sicherheitsgefühl bessern, da ist sich die Fachwelt einig. Sicher fühlt man sich, wenn man den Alltag souverän gestalten kann und gelingende Beziehungen hat.

STANDARD: Also ist die Aktion verkehrt aufgestellt?

Sonderegger: Was dieses Ziel angeht, schon. Die Polizei ist mit dieser Aufgabe überfordert. Zum Glück hat die Aktion Gemeinsam sicher andere Meriten.

STANDARD: Welche?

Sonderegger: Eine konsequente Ausrichtung der Polizei auf die Bürger. In einer Situation, in der die institutionelle Kontrolle der Polizei schwach ist, ist das besonders wichtig.

STANDARD: Warum ist die Kontrolle schwach?

Sonderegger: Weil die Personalvertretung der Polizei mit dem Innenminister Schlitten fährt und wir ein Teilversagen der rechtsstaatlichen Kontrolle haben. Das Antifolterkomitee des Europarats hat 2015 kritisiert, dass von 600 Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei nur fünf angeklagt wurden. Auch sind die Arbeitsbedingungen für Polizisten wegen Ressourcenmangels schlecht.

STANDARD: Ist da mehr Bürgernähe nicht schlicht überlastend? Zumal die Polizei ja gleichzeitig auch aufrüstet, etwa für Demoeinsätze.

Sonderegger: Die Aufrüstung der Polizei ist potenziell gefährlich. Kürzlich wurden Langwaffen oder Hubschrauber angeschafft. Das bringt den einfachen Beamten für ihre Arbeit wenig. Aber andererseits gibt es den scheidenden Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, der sich sehr bemüht, die Polizei bürgernah zu gestalten.

STANDARD: Das klingt nach Widersprüchen im System. Sind Bürgernahe und Aufrüstung prinzipiell vereinbar?

Sonderegger: An sich schon. In vielen Staaten Europas ist die gewöhnliche Sicherheitspolizei bürgernah orientiert, während es für robustere Einsätze spezielle Einheiten gibt. Das wirkliche Problem ist der immer lautere Ruf der Politik nach Law and Order, in Österreich wie anderswo. (Irene Brickner, 9.8.2017)