Musiker, Fotograf, Pokerspieler, Autor, Flüchtlingshelfer und zuletzt auch Bezirksrat: Götz Schrage unter Sexismusverdacht.

Foto: Corn

Wien – "Wir sind nicht die Fänger im Roggen, aber die Hüter der Frauen", steht auf dem Buchumschlag des Romans Der Schwärmer, den Götz Schrage im Jahr 2004 veröffentlichte. Schrage beschreibt darin seinen Wechsel zu den "Männern der Nacht", seine Zeit als Berufsspieler, in der er auch für Privatkasinos arbeitete und "sonderbare Jobs in sonderbaren Etablissements" annahm. Im Vorwort schrieb er: "Von Frauen verstehe ich definitiv am wenigsten. Keinen Fehler lasse ich aus, ich glaube, ich habe sogar neue erfunden."

Ein solcher Fehler, explizit niedergeschrieben, brachte den 56-Jährigen vergangene Woche in die Schlagzeilen der heimischen Boulevardmedien und entfesselte in den sozialen Medien des Internets einen Shitstorm, der gewaltig war. Der Vorwurf lautet: Sexismus. Letztendlich zeigte sich die SPÖ aber versöhnlich mit ihrem Bezirksrat.

SPÖ in Bedrängnis

Die Aufmerksamkeit, die Schrage widerfuhr, kam nicht nur für ihn selbst höchst unerwartet, sondern brachte auch die SPÖ, für die er sich seit Dezember 2015 als Lokalpolitiker im Bezirksrat von Wien-Neubau engagiert, in arge Bedrängnis. In einem Beitrag auf Facebook hatte Schrage zur Bestellung der neuen ÖVP-Generalsekretärin unter anderem folgende Zeilen verfasst: "Elisabeth Köstinger als neues Gesicht und neue Generalsekretärin einer neuen Bewegung? Aus autobiografischen und stadthistorischen Motiven möchte ich da schon anmerken, dass die jungen Damen der ÖVP Inneren Stadt aus den frühen 80er Jahren, die mit mir schliefen, weil sie mich wohl für einen talentierten Revolutionär hielten, genauso aussahen, genauso gekleidet waren und genauso sprachen."

Angeklagt und verurteilt

Zwei Tage stand der Text online, dann entdeckte ihn die Kronen Zeitung. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Schrage entschuldigte sich und löschte das Posting. Aber die Aufregung blieb. Tausende Kommentare im Internet wurden dazu verfasst, andere Medien griffen das "Sexismus-Posting" auf, Köstinger wurde in der Krone dazu interviewt. Und Schrage wurde kollektiv angeklagt, verurteilt und gesellschaftlich geächtet.

Neben den vielen negativen Reaktionen rückten aber auch viele aus, um die Aufregung einzuordnen und Schrage zu verteidigen. Darunter waren befreundete Funktionäre aus der SPÖ, aber auch Vertreter der Grünen, was diesen wiederum den Vorwurf einbrachte, Teil einer "rot-grünen Sexismus-Front" zu sein.

"Nicht akzeptabel"

SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar meldete sich zu Wort, der Kommentar sei sexistisch und nicht hinnehmbar. "Auch wenn der Kommentar inzwischen gelöscht wurde und der Funktionär sich entschuldigt hat, möchte ich klarstellen: Sexistische und herabwürdigende Postings sind nicht akzeptabel. Egal gegen wen und egal von wem."

Die SPÖ beschloss auf Bezirksebene zunächst: Schrage müsse von seiner politischen Funktion zurücktreten. Am Montag um 17.30 Uhr lief das Ultimatum aus. Schrage kam der "Einladung zum Rausschmiss" nicht nach, wurde am Montagabend aber nur verwarnt, er darf sein Mandat im Bezirksparlament von Neubau behalten und bleibt Parteimitglied. Nach einem langen abendlichen Gespräch mit der Bezirkspartei bekam er eine "zweite Chance", weil er sich "einsichtig" zeigte und anbot, als Fotograf ein Frauenprojekt zu unterstützen, wie die Vorsitzende der SPÖ Neubau, Andrea Kuntzl, in einer Aussendung bekanntgab.

Seinen Kommentar bezeichnet Schrage im Gespräch mit dem STANDARD selbst als "strunzdumm", die Aufregung, die über ihn hereinbrach, kann er aber nicht nachvollziehen. "Wie kann man mich wegen eines Sagers so hassen?", fragt er angesichts der Reaktionen, die er auslöste. Er sei kein Vollblutpolitiker, Facebook habe er als sein virtuelles Wohnzimmer begriffen, "das ist ja nicht das Zentralorgan der SPÖ". Er sagt: "Ich hab ein volles Leben, mir macht das nicht so viel aus." Er sagt aber auch: "Das ist schon dramatisch, was sich da abspielt."

Legendäre Band

Der gebürtige Deutsche hat ein höchst ungewöhnliches Leben hinter sich. Als Mitglied der Band Blümchen Blau landete er 1981 mit dem Lied Flieger einen Hit. Die legendäre Band, in der Schrage Schlagzeuger war, ritt auf der Neuen Deutschen Welle, löste sich nach zwei Jahren aber wieder auf. Schrage ist eigentlich Fotograf, er arbeite für die Arbeiter-Zeitung und vor allem in den Anfangsjahren für die Zeitschrift Wiener, ehe er in die Werbebranche wechselte. Dort fotografierte er große Kampagnen unter anderem für Visa, Generali, Kodak oder Bauwelt. Außerdem war er gefragter Porträtfotograf, Niederösterreichs Landeshautmann Siegfried Ludwig (ÖVP) schwor auf ihn. Schrage verdiente richtig gut, manchmal waren es 25.000 Schilling am Tag, erinnert er sich. Aber er war extrem alleine, sagt er. Mit 32 Jahren tauchte er in die Halbwelt und das Rotlichtmilieu ab, verkehrte mit Prostituierten, Zuhältern und Gaunern, verdiente sein Geld mit Pokerspielen.

Psychischer Zusammenbruch

Dann kam der psychische Zusammenbruch, Schrage litt an Panikattacken, zog sich zurück. Zwei Jahre verließ er die Wohnung nicht, fünf Jahre nicht den Häuserblock. Er machte eine Therapie und schloss wieder an das "brave Leben" von früher an. Schrage begann zu schreiben. Zur Präsentation seines Buches in einem Tschocherl ums Eck seiner Wohnung kamen auch die Bosse der Wiener Unterwelt, das war wie ein Echo aus vergangenen Tagen.

In seinem Bezirk arbeitete Schrage bei der Volkshilfe mit, gründete den Lernklub, in dem Kinder aus sozial schwachen Schichten gratis Nachhilfe bekamen, die meisten waren Migrantenkinder. Als die große Flüchtlingswelle kam, engagierte sich Schrage in der Betreuung gestrandeter Menschen, vor allem im Kurier-Haus, das zum Flüchtlingsquartier wurde. Schrage nutzte seine Netzwerke, vor allem auch über Facebook, und brachte dutzende Familien in Privatquartieren unter, nahm auch selbst eine Familie auf.

Postings gegen Strache

Die Partei kam auf ihn zu, er sei das "menschliche Antlitz der SPÖ-Neubau", hieß es, und so wurde Schrage Bezirksrat, ein kleines Licht im politischen Spektrum. Er legte sich über Postings mit der FPÖ und deren Chef Heinz-Christian Strache an und wurde mit Klagen eingedeckt. Seine Alltagsbeobachtungen, zumeist aus dem Bezirk, fasste er in kleine Geschichten. Politisch korrekt war er nie, wollte er nie sein.

Schillernde Figur

Auch Schrages mittlerweile verstorbener Vater Dieter war politisch aktiv, er war bei der SPÖ, wechselte dann zu den Grünen und war ebenfalls Bezirksrat in Neubau. Dieter Schrage war eine schillernde Figur, er war unter anderem Kulturreferent bei der Zentralsparkasse, Kurator und Vorstandsmitglied der Grünen Alternative Wien und ergriff als Vermittler mit der Gemeinde Wien für die Hausbesetzer und Punks in der Stadt Partei. Zuletzt war Schrage Sprecher der Grünen Senioren.

Ob seinem Sohn Götz auch eine derart lange politische Karriere beschieden sein wird, wird vor allem von ihm selbst und seiner Art, Geschichten zu erzählen, abhängen. Die SPÖ zeigte sich vorerst gnädig und versöhnlich. Schrage sucht bereits wieder Wohnungen für Flüchtlinge und hofft darauf, dass es in seiner kleinen Welt in Wien-Neubau wieder ruhiger wird und sich die Aufregung legen wird. Sicher ist das keineswegs. (Michael Völker, 30.5.2017)