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Sind Globalisierungskritiker Clowns, oder haben sie recht? Und wo wurde die Clownnase hergestellt?

Foto: REUTERS/FRANCOIS LENOIR

In ihrem Kommentar "Warum Protektionismus (langfristig) schädlich ist" (der STANDARD, 1. 2. 2017) geben die drei WU-Professoren Badinger, Crespo Cuaresma und Oberhofer jenen vielen recht, die meinen, dass die Argumentation der Mainstream-Ökonomen für Freihandel mit dafür verantwortlich ist, dass Globalisierung und Außenhandel in den Bevölkerungen so sehr verpönt wurden, dass Politiker mit Gegenpositionen, für Abschottung und Protektionismus damit Wahlen und Referenden gewinnen. Sie haben natürlich recht, wenn sie meinen, dass Österreich, aber auch viele Entwicklungsländer vom freieren Außenhandel profitiert haben. Weniger richtig liegen sie mit ihrer Behauptung, dass die vier Freiheiten der EU (von Kapital, Personen, Gütern und Dienstleistungen) nicht nur schützenswert sind, sondern "in die Welt getragen) werden müssen.

Globalisierung und damit das Dogma vom absoluten Nutzen des Freihandels hat jedoch nicht nur positive Auswirkungen: Wie die drei feststellen, gibt es Gewinner und Verlierer. Letztere, so meinen sie, sind dies nur aufgrund mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Sie tun so, als ob Handel immer nur zwischen gleich großen und gleich starken und gleich entwickelten Ländern stattfände. Die Wahrheit ist gänzlich anders: kleine, schwache, im Entwicklungsprozess nachhinkende Länder können aufgrund dieser, auch geografischer, klimatischer und kultureller Umstände nie mit großen hochentwickelten Ländern konkurrieren, müssen sich daher als Anhängsel dieser Großen positionieren – und zahlen dafür mit Ausbeutung ihrer Bodenschätze, Arbeitskraft und Umwelt. Im Gegenzug ziehen die Großen und Reichen insgesamt deutlich mehr Kapital aus den Entwicklungsländern ab, als diese (strukturell kapitalschwach) erhalten.

Oder: Vielfach sind Umwelt- und Klimakosten des Welthandels beklagt worden, die auf exzessive Handelsströme zurückgehen, die durch die mangelnde Umweltkostenbelastung der Transportleistungen zurückgehen: Die Kosten tragen wir alle, effizient im Sinne des Gesamtwohls ist dies nicht.

Oder: Grenzüberschreitender Warenverkehr, und damit auch die Auslagerung von Teilen der hochkomplex gewordenen, oft über die ganze Welt verstreuten Wertschöpfungsketten, ist oft durch Lohnkostenunterschiede motiviert. Die Endfertiger in reichen Ländern lagern Teile ihrer Produktionskette in "Billiglohnländer" aus und setzen dann die Teile zusammen. Verlierer sind in diesem Fall die Arbeitnehmer jener Unternehmen, die früher im eigenen, "reichen" Land produziert haben.

In allen entwickelten Staaten gibt es massive Rebellion, auch geschürt und verstärkt durch rechtspopulistische Parteien gegen "Globalisierung". In Österreich macht sich dies im Volksbegehren gegen Ceta, TTIP und Tisa Luft. Dabei spielen die beiden Ersteren eine ganz besondere Rolle, insofern sie keine "Freihandelsabkommen im traditionellen Sinne" darstellen, bei denen es primär um Zollabbau und Abbau von Kontingenten ging. Sie wollen weit darüber hinaus, nach dem Muster des europäischen Binnenmarktes, vor allem Standards abbauen, die von den Proponenten als Handelshemmnisse gesehen werden. Offenbar auch von den drei blauäugigen WU-Ökonomen.

Deren Totschlagargument lautet: Kennzeichnungspflicht: Der Kunde ist König, wenn er den Beipackzettel entziffern kann, dann kann er "wählen": als höchstes Gut. Offenbar gibt es keine Marketingkampagnen, keine Fern-seh- und Internetbeeinflussungen, nein, wenn der Kunde nur nachfragt, dann gibt es halt auch "niedrigere" Standards: selbst schuld!

Außenhandel ist sowohl für kleine Länder wie Österreich, aber auch für die Weltentwicklung wichtig. Aber er muss fair sein: zu den Verlierern, in der Aufteilung der Handelsgewinne zwischen Profit und Lohn, gegenüber Umwelt und Klima durch adäquate "Wegekostenbesteuerung", gegenüber den kulturellen Unterschieden und Werten der vom Handel betroffenen Bevölkerungen, gegenüber den nunmehr bekannt gewordenen Steuerentziehungen vieler Unternehmen und fair gegenüber Unternehmen und Staaten im Streitbeilegungsverfahren. Für die Reduzierung des Auslagerungsmotivs Lohn- und Umweltkosten könnte man globale Fonds einrichten, in die ein Großteil der Handelsgewinne aus dem Auslagerungstitel fließt und die dann zur Kompensation der Verlierer und zur rascheren Angleichung der Produktionsbedingungen in den Zielländern führt.

All das würde zu einer Reduzierung der Handelsströme weltweit führen, aber weiterhin die Interessen der Bevölkerungen und der Umwelt schützen. Würde ein solches Programm verwirklicht, würde damit auch den Antiglobalisierungsgegnern Wind aus den Segeln genommen und Vertrauen in die Politik wiederhergestellt. Auch die Ökonomen könnten diese Argumente ernst nehmen und damit ein wenig zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit unserer Zunft beitragen.

Und wenn wir schon dabei sind: Die Dogmatisierung der vier Freiheiten des EU-Binnenmarktes sollte aufgrund der Antiglobalisierungsstimmung raschest entdogmatisiert werden. Wir sehen, dass die Umsetzung des freien Kapitalverkehrs die größte Finanzkrise seit den 1930er-Jahren mit ausgelöst hat; dass die Personenfreizügigkeit aufgrund der miesen Lebensumstände der neu hinzugekommenen EU-Länder in den Aufnahmeländern massive soziale und politische Verwerfungen hervorruft; dass überbordender Freihandel die Ungleichgewichte in der EU exorbitant verstärkt hat.

Die diesen Freiheiten zugrunde liegenden Prinzipien sind ja richtig, aber: Es muss auch Schutzklauseln geben, es muss auf die sozialen Auswirkungen Rücksicht genommen werden. Die "Freiheit auszuwählen", wie sie die drei Professoren propagieren, garantiert nicht "die größtmögliche individuelle Freiheit" jeder einzelnen, und schon gar nicht das größte Wohl der Gesellschaften. (Kurt Bayer, 2.2.2017)