Da wollen neuerdings viele rein: ATV-Entree in der Wiener Aspernbrückengasse.

Foto: ATV

Wien – Mediaprint, "Krone", "Kurier", die Fellners und nun auch noch "Heute": Warum plötzlich das Gedränge um den seit Jahren beständig zweistellig negativen Privatsender ATV – den Eigentümer Herbert Kloiber eigentlich nur ProSiebenSat1Puls4 verkaufen will? Eine Spurensuche nach schlüssigen Gründen, eine Interpretation ohne Gewähr.

Was ist wertvoll an ATV?

ATV ist in vielen TV-Kabelnetzen und Satellitenkanallisten und damit Fernbedienungen auf den allerersten Plätzen zu finden. Im klassischen Fernsehen ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

ATV ist als erster legaler österreichweiter Privatsender in praktisch allen Kabelnetzen (und eben weit vorne) präsent. Schon das ist, wie Austria 9 zeigte, ein bisschen Geld wert – ProSiebenSat1Puls4 übernahm diesen Kanal für eine Österreich-Version von Sixx.

Und ATV hat ein paar gut eingeführte Sendungsmarken für bestimmte Publika – von "Bauer sucht Frau" bis Martin Thürs "Klartext".

Was wollen Verlage nun (wieder) mit Fernsehen?

Überwiegend text- und fotobasierte Medienhäuser, Verlage also meist, bemühen sich intensiv um Bewegtbildinhalte und vor allem Bewegtbild-Werbeplätze auf allen Plattformen. Spotwerbeplätze im Videoumfeld sind in den vergangenen Jahren stark nachgefragt, insbesondere online und mobil. Daher auch die lange verhandelte APA-Videoplattform, die ORF-Nachrichteninhalte auf Zeitungsseiten ermöglicht.

Was will die Mediengruppe Österreich mit ATV?

Sie scheint sich schon länger für den Sender zu interessieren, als sie oe24.tv betreibt – der Kanal ging im September 2016 on air. Hauptgrund wohl: Die Mediengruppe startet ständig neue Medien insbesondere als Vermarktungs(kontakt)anlass, und da bietet sich Fernsehen/Bewegtbild an – siehe oben.

Was motiviert die "Krone", den "Kurier" und ihre gemeinsame Tochter Mediaprint?

Vom generellen Videowerbeinteresse abgesehen: "Kurier"-Herausgeber ist mit Helmut Brandstätter ein langjähriger Fernsehmacher (ORF, dann n-tv), der zuletzt selbst mit dem Deutschen Anleger Fernsehen einen Österreich-Kanal gestartet hätte – wenn der dortige Gutsherrneigentümer nicht just kurz davor das deutsche Mutter-DAF abgedreht hätte

Mediaprint-Berater in Sachen Bewegtbild ist Richard Grasl. Der wurde bei der ORF-Generalswahl im Sommer Zweiter. Womöglich will er seinem alten (und wohl erhofft künftigen) Arbeitgeber ORF zeigen, was er sonst so im Rundfunk- und Bewegtbildgeschäft draufhat.

Und die "Krone"-Familie Dichand arbeitet schon lange am eigenen Fernsehen, in Anläufen zum ATV-Einstieg oder zuletzt – vorübergehend – mit "Servus Krone" auf Servus TV. Mit einem eigenen Fernsehkanal kam den Dichands – vielleicht auch wegen ihres Auszeitjahrs in den USA – die Mediengruppe Österreich der Fellners zuvor. Zuletzt führten schon ein paar Bewegtbilder mit dem Logo von oe24.tv in der "ZiB 2" zu sehr grantigen Anrufen beim ORF-General.

Warum kauft die "Krone" nicht ATV einfach – oder der "Kurier"?

Dafür braucht es jeweils beide Eigentümer – und das ist bei der "Krone" zu exakt 50 Prozent, beim "Kurier" knapp unter 50 Prozent die deutsche Funke-Gruppe. Und die, so hört man aus dem Hause Mediaprint, ist – gelinde gesagt – nicht begeistert von einem Zukauf in der Größenordnung von rund 25 Millionen Euro.

Immerhin versuchten die Funkes gerade vor einem Schiedsgericht die Gewinngarantien für die (jahrzehntelang mit den Funkes streitende) "Krone"-Miteigentümerfamilie Dichand loszuwerden. Und die Mediaprint-Gruppe insgesamt dürfte nicht ganz nach den deutschen Rendite-Erwartungen unter Bedingungen der Gewinngarantie wirtschaften. All das lähmt die Mediaprint und ihre Zeitungen auch bei Kaufverhandlungen über ATV.

Und warum bringt sich nun auch noch "Heute" ins Spiel?

Eva Dichand kündigte am Dienstagabend wie berichtet für die nächsten Tage ein Kaufangebot der Heute-Gruppe für ATV an. Sie muss immerhin nicht die Funke-Gruppe überzeugen. Ihr Neogesellschafter Tamedia äußert sich auf Anfrage nicht über seine Sicht des angekündigten ATV-Kaufangebots, der Schweizer Konzern verweist dazu knapp auf Herausgeberin Eva Dichand.

Dichands Pluto-Privatstiftung hält noch eine Minderheit an "Heute" und heute.at, die Mehrheit gehört seit 2016 der Periodika-Privatstiftung. Stiftungsvorstandschef dort: Wolfgang Jansky, "Heute"-Gründer und -Geschäftsführer und davor Pressesprecher des damaligen Wiener Wohnbaustadtrats und nunmehrigen Exbundeskanzlers Werner Faymann (SPÖ).

Ein mögliches weiteres Motiv Eva Dichands lässt sich auf eine recht einfache Formel für vielerlei Geschäfts- und Betätigungsfelder herunterbrechen: besser wir als die Fellners.

Wie geht es weiter?

Eine – wettbewerbsrechtlich einfachere – Sanierungsfusion für ATV scheint vorerst vom Tisch, da es weitere Kaufinteressenten gibt. Die Wettbewerbsbehörde will nun etwa den (beherrschenden) Werbemarktanteil von ProSiebenSat1Puls4 genauer prüfen und etwa auch die Medienvielfalt. Wenn sie den Deal vor das Kartellgericht bringt, dann kann es ein Jahr oder mehr dauern.

Möglicher Ausweg: Interessenten könnten ihr Kaufangebot zurückziehen, wenn ProSiebenSat1Puls4 sie an ATV beteiligt – mit Anteilen und Sendezeit etwa. Vielleicht erklärt das auch das Gedränge um den Sender. (Harald Fidler, 1.2.2017)