STANDARD: Wer sagte vor kurzem den Satz: "Ich bin der naiven Hoffnung, dass Qualifikation zählt"?

Kraker: Das weiß ich nicht. Wer?

STANDARD: Gerhard Steger, der bei seiner Bewerbung für den Präsidentenjob hier, für den ihn die SPÖ nominiert hatte, nicht durchkam, obwohl er der Beste im Hearing war. Sie wurden von der ÖVP nominiert. Schon erholt von der Aufregung nach Ihrer Bestellung? Sie wurden gewählt, weil die SPÖ Helga Berger verhindern wollte.

Kraker: Ich habe mich sehr gut erholt, denn ich habe mich seit Juli sehr intensiv im Rechnungshof eingearbeitet. Das Auswahlverfahren hier ist immer mit derartiger Begleitmusik verbunden – ich bin zudem etwas überraschend aufs Spielfeld gekommen. Aber das Thema ist abgehakt.

STANDARD: Sie wurden sehr spät gefragt, ob Sie sich bewerben wollen.

Kraker: Aber noch vor dem Hearing. (lacht)

STANDARD: Jemand nannte Sie "Zufallsprodukt einer Abstimmungsmalaise". Wie nahe ist Ihnen die Kritik gegangen?

Politikern wirft sie Selbstdarstellung und Mutlosigkeit vor: Margit Kraker, Präsidentin des Rechnungshofs.
Foto: Regine Hendrich

Kraker: Ich erfülle die Voraussetzungen für diese Funktion, habe Erfahrung in Verwaltung, Politik, Kontrolle. Eine neue Erfahrung ist für mich, dass bundesweit über mich gesprochen wird. In Graz hatte ich Distanz zu den Dingen, die sich in Wien abgespielt haben.

STANDARD: Dafür werden Sie jetzt auf der Straße erkannt?

Kraker: Nicht jeder erkennt mich. Am Tag nach meiner Nominierung vom Hauptausschuss des Nationalrats las mir gegenüber im Zug jemand einen Bericht mit Foto über mich. Er schaute mich von der Seite an, war ein bisserl irritiert – angesprochen hat er mich aber nicht.

STANDARD: Tut es der ersten Frau an der Rechnungshofspitze nicht besonders leid, dass ihre Bestellung rein politisch gesehen wird?

Kraker: Gekränkt hat mich, dass man gesagt hat, eine Frau soll es werden, und dass die Kritik losgebrochen ist, als es eine Frau wurde. Aber immerhin gibt es erstmals eine Frau an der Spitze, das ist schön. Ich habe mich übrigens immer gleichberechtigt gefühlt gegenüber Männern, habe oft Hearings absolviert – nur einmal wurde mir ein Mann vorgezogen.

STANDARD: Als Sie in Graz von der Vize- zur Landesamtschefin werden wollten. Ein roter Exlandesrat bekam den Job dann.

Kraker: Ja. Aber an der Spitze der obersten unabhängigen Organe der Republik gibt es nur wenige Frauen, ich bin jetzt eine davon.

STANDARD: Sie sagen, als Frau müsse man kämpfen wie eine Löwin. Wie geht das?

Kraker: Eine Frau muss sehr beharrlich sein, darf sich nicht abschrecken lassen. Und Frauen müssen verschiedene Dinge gleichzeitig bewältigen, wir sagen nicht: "Ich hab heute viel gearbeitet und muss mich jetzt eine Stunde zurückziehen." Eine Frau kümmert sich gegebenenfalls um die Kinder, wenn sie heimkommt.

STANDARD: Als Sie Mitte der 80er Juristin im ÖVP-Parlamentsklub wurden, waren Ihre Söhne klein ...

Kraker: Es war nicht so leicht damals, ich war die einzige Frau unter den Klubsekretären – aber ich habe mich durchgesetzt. Ich habe meine Arbeitszeit nicht reduziert, denn wenn man das tat, wurde man hinten angereiht. Meine Dienstprüfung habe ich übrigens gemacht, als ich im siebenten Monat schwanger war. Aber das ist sehr lange her.

Sie selbst sei "keine Revoluzzerin".
STANDARD/Hendrich

STANDARD: Sie gelten als bescheiden, tüchtig, fleißig, all diese Zuschreibungen ...

Kraker: ... die man Frauen macht?

STANDARD: Jedenfalls nicht Männern. Revoluzzerin waren Sie nie?

Kraker: Nein, Revoluzzerin war ich nie. Aber ich habe immer meine Meinung gesagt, nur nach außen getragen habe ich das nicht.

STANDARD: Sie waren in Graz Uni-Assistentin für öffentliches Recht bei Professor Wolfgang Mantl. Er war Berater und Vordenker der ÖVP. Ab 2000 leiteten Sie 13 Jahre lang das Büro von Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP). Als Rechnungshofchefin haben Sie "politische Äquidistanz" gelobt. Sie stellen Ihre Gesinnung hintan?

Kraker: Darum geht's nicht. Wir machen hier Prüfberichte, ich liefere Sacharbeit. In Österreich wird viel zu viel ideologisiert, das ist ein großer Hemmschuh gegen Weiterentwicklung. Auf Bundesebene ist der Karren verfahren, jeder bleibt bei seinem Standpunkt und sucht nach Schnittmengen. Die Politik müsste sich an der Sache orientieren und sich was trauen, Entscheidungen treffen.

STANDARD: Im Schulbereich wird seit Jahrzehnten herumgedoktert. Die ÖVP ist gegen die Ganztagsschule ...

Kraker: Ich glaube eben nicht, dass das Thema ganztägige Schule ein ideologisches ist. Ich frage Sie: Wie würde ein Schulsystem ausschauen, wenn man sich die Frauen wegdenkt? Es gäbe Ganztagsschulen, oder?

STANDARD: Oder Internate. Ihre ÖAAB-Mitgliedschaft ist ruhend gestellt, aber wie würden Sie sich beschreiben? Liberal? Konservativ?

Kraker: Ich halte mich für modern, familiär und nicht sehr konservativ. Aber noch zum Nichtentscheiden der Politik: Ich glaube, das leidige Föderalismusthema ist eine ganz große Ausrede. Der Bund sagt, er werde von den Ländern blockiert, die Länder sagen, sie können keine Verwaltungsreform machen, weil der Bund die Gesetze machen müsste. Jeder redet sich auf den anderen aus, und am Schluss schiebt man alles auf die EU. Dabei ist es doch ganz anders: Wir stehen nicht im Wettbewerb Wien–St. Pölten, sondern im Wettbewerb Österreich mit Deutschland, mit Skandinavien. In Deutschland agiert man sachorientierter und hat schon Budgetüberschüsse zu verteilen, obwohl es auch dort Flüchtlings- und Wirtschaftskrise zu bewältigen gab. Wir verwalten ängstlich, wir verwalten unseren Besitzstand.

STANDARD: Dafür redet man ständig über Neuwahlen, jetzt auch.

Kraker: Über Neuwahlen redet man, seit ich in Wien bin. Ich appelliere an die Regierung, an den Staat zu denken und das zu tun, wofür man gewählt wird: arbeiten.

Sie habe "eine natürliche Distanz" zu ihrer Wichtigkeit.
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: Warum wollten Sie eigentlich nie selbst in die Politik?

Kraker: Mich interessieren Politik, Parlamentarismus, Entscheidungsfindung in der Demokratie – und Sachlichkeit. Damit bin ich am Rechnungshof gerade richtig.

STANDARD: Mit Polemik haben Sie also nichts am Hut?

Kraker: Nein.

STANDARD: Apropos. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, der bei Ihrer Kür eine große Rolle spielte, hat mit Ihnen studiert, war auch Assistent an der Uni Graz, Institut für Kirchenrecht ...

Kraker: Er hat ein Jahr vor mir zu studieren begonnen, zwischen uns waren tausende Studenten ...

STANDARD: Sie wollen damit sagen, dass er kein Studienfreund ist?

Kraker: Ja.

STANDARD: Welche Themen muss die Koalition in Ihren Augen sofort angehen?

Kraker: Den Bildungsbereich etwa, da wurde schon so viel geredet. Die Ministerin hat ihr Autonomiepaket fertig – und das sollten wir jetzt umsetzen, statt immer mehr draufzupacken. Derzeit ist die Selbstbeschäftigung zu groß, wir brauchen Vereinfachungen und mehr Bürgernutzen. Bund und Länder müssen sich zusammensetzen und den Mut finden, zu entscheiden. Ich bin überrascht, dass der Bund seine Kompetenzen nicht nutzt und auf Umsetzung drängt. In der Regierung sitzen ja auch Parteichefs, warum machen die manche Themen nicht zur Fahnenfrage? Es wird angekündigt und zurückgezogen, da fehlt die Durchsetzungskraft.

STANDARD: Der neue Populismus?

Kraker: Ich glaube ja, die Leute sind schon weiter als die Politik, sprechen die Probleme vorbehaltlos an. Schulen sind weiter als die Bildungspolitik, die Gesellschaft ist weiter, als das deren Repräsentanten glauben, die Realität hat die Politik längst überholt. Statt tagespolitikbedingt atemlos Ankündigungen zu machen, gehören Projekte erarbeitet und umgesetzt. Der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben besinnen, für gute Bildung sorgen, für Sicherheit, für sozialen Zusammenhalt. Und der Staat muss nicht alles machen, auch Anlassgesetzgebung gehört nicht zu seinen Aufgaben. Es geht den Politikern heutzutage viel zu viel um Performance als um Inhalt.

STANDARD: Haben Sie nie Lust, die Ärmel aufzukrempeln, groß aufzutreten und zu glänzen?

Kraker: Ich neige nicht zur Selbstdarstellung. Natürlich muss sich der Rechnungshof öffentlich artikulieren, aber es geht um die Institution, nicht um meine Person. Ich habe eine natürliche Distanz zu meiner eigenen Wichtigkeit.

STANDARD: Aber beim Sauschädelessen von Raiffeisen waren Sie.

Kraker: Ja, aber nicht lang. Man sagte mir: "Dort sind alle."

Beim Sauschädelessen von Raiffeisen war Kraker heuer das erste Mal.
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: Gibt’s gar nichts Gesellschaftliches, was Ihnen Spaß machen würde? Opernball?

Kraker: Ich war beim Steirerball.

STANDARD: Tanzen Sie gern?

Kraker: Nicht so sehr.

STANDARD: Beim Maturaball einst haben Sie mit dem späteren Pressesprecher Van der Bellens getanzt.

Kraker: Er ging in meine Parallelklasse, und wir passten größenmäßig zusammen. Es war nett.

STANDARD: Noch mal kurz zur Politik. Sind Politiker Feiglinge?

Kraker: Das kann man so nicht sagen, denn sie haben es auch schwer. Fehler werden ja kaum noch verziehen, darum zieren sie sich mit Entscheidungen.

STANDARD: Erwin Pröll tat das nicht. Aus Niederösterreich dräut jetzt auch Ihre erste Nagelprobe. Werden Sie die Pröll-Privatstiftung jedenfalls prüfen, oder überlassen Sie das dem Landesrechnungshof?

Kraker: Mir ist wichtig, dass geprüft wird. Der Landesrechnungshof tut das jetzt nach anfänglichem Zögern, wenn da Fragen offen bleiben, prüfen wir ergänzend.

STANDARD: Sie wollen erreichen, dass der Rechnungshof Unternehmen schon ab 25 Prozent öffentlicher Beteiligung prüfen kann – da ist aber die ÖVP dagegen.

Kraker: Da kann man nichts machen. Ich will klare Zuständigkeiten, die 25-Prozent-Grenze gehört dazu. Aber das braucht Gesetzesänderungen und wird dauern.

STANDARD: Mit der Langsamkeit haben Sie's aber nicht so, Sie gelten als Schnelle.

Kraker: Ich bin eher der motorische Typ. Langsamkeit entdecke ich nur in der Natur, ich liebe zum Beispiel Küstenwanderungen.

STANDARD: Weil wir vorhin von Mut sprachen. Was war denn Ihre mutigste Entscheidung?

Kraker: Beim Hearing für den Rechnungshof anzutreten?

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Kraker: Darum, Erfüllung zu finden und Zufriedenheit. Das ist nicht immer leicht zu erreichen. (Renate Graber, 26.1.2017)