Vor einigen Wochen wurde an dieser Stelle das Konzept der "unteren Kaste" kontrovers diskutiert: Gesellschaften brauchen eine von der Hauptgruppe der Gesellschaft ethnisch unterscheidbare Gruppe, welche billige Arbeit leistet, aber auch für die unteren Segmente der Bevölkerung so etwas wie eine negative Identifikation darstellt – es gibt also immer noch jemanden, dem es noch schlechter geht als mir. Die Problematisierung dieser "unteren Kaste" und damit Schuldzuschreibung an diese wirkt auch deshalb systemstabilisierend, weil sie von den wirtschaftlichen und politischen Gründen für Ungleichheit in der Gesellschaft ablenkt. Dieses Konzept erlangt nun durch den Wahlsieg Donald Trumps eine erweiterte Bedeutung und Relevanz.

Dessen Programm – dies wird oft übersehen – vereinte einige Elemente traditioneller linker Politik wie etwa die Errichtung von Schutzzöllen und auch die Bejahung von sozialen Programmen. Allerdings mit einer Besonderheit: Diese Maßnahmen sollten vor allem einer weißen Arbeitnehmerschaft zukommen, welche durch Automatisierung und Globalisierung gebeutelt und auch von der Republikanischen Partei, die ja nie eine Partei des "kleinen Mannes", sondern der Leistungsträger war, nicht maßgeblich beachtet wurde. Durch eine Abkehr von der Parteilinie sollten dieser Gruppe nun Segnungen eines starken Staates zukommen, welcher auch den Freihandel eindämmen sollte.

Reguliert und ausgewiesen

Und es kam eine weitere wichtige Besonderheit hinzu: Die "untere Kaste" sollte weiter reguliert, ausgewiesen und ausgegrenzt werden – Förderprogramme für Minderheiten abgeschafft, illegale Migranten ausgewiesen und Mauern gebaut werden. Das politische Narrativ war dementsprechend mit rassistischen Tönen gespickt, wie sie noch nie in einem US-Wahlkampf der jüngeren Geschichte zu hören waren.

Mit seiner Fokussierung auf die weiße Mittelschicht, die Trump schlicht als "Amerikaner" bezeichnete und deren Pendant bei FPÖ-Wahlkampfstrategen wohl unter dem Terminus "echte Österreicher" läuft, stieß er insbesondere bei linker Politik in eine offene Flanke: Diese hatte sich in den Jahren, als die Wahlschlacht in der Mitte gewonnen werden sollte, mit den neoliberalen Prinzipien angefreundet. Linke und sozialdemokratische Politiker sind heute Mitglieder im Davos-Club, wie der Historiker Wallenstein diese Gruppe von Politikern bezeichnet, die im engen Verbund mit Konzernchefs die Geschicke der Welt interpretieren und lenken wollen. Allein Bernie Sanders versuchte zunächst eine linke Politik, die Themen der Ungleichheit ansprach, und konnte deshalb große Erfolge erzielen.

In der Folge von Trumps Wahlerfolgen, dem Erstarken von rechten Politikern und Parteien in Europa, die in diesem Windschatten auf Profite hoffen, stellt sich einmal mehr die Frage nach einer alternativen Politikmöglichkeit. Kann es denn eine Politik geben, die die negativen Folgen der Globalisierung und Technisierung anspricht, deren Chancen nutzt und gleichzeitig die Rassismusfalle vermeiden kann? Diese wird in den nächsten Jahren noch gravierender: Die Frage eines in Bälde notwendigen Grundeinkommens wird die Gesellschaften entlang ihrer ethnischen Bruchstellen weiter belasten: Wer gehört zu meinem Stamm und hat Anrecht auf diese Leistungen? Ein kleiner Vorgeschmack war hier wohl die österreichische Diskussion zur Grundsicherung.

Diese neue Politik wird davon abhängen, ob sich linke Kräfte bzw. Zivilgesellschaft endlich von der Geißel des Rassismus befreien und die "untere Kaste" nicht nur als Problem, sondern auch Teil einer Lösung betrachten können. Dies bedeutet zunächst etwa auch einen völlig neuen Diskurs in der Gesellschaft. Wie schwer das fällt, zeigt sich auch in den Medien: Selbst der von mir geschätzte STANDARD hält es notwendig, bei jeglichen Verbrechenstaten eine ethnische Zuordnung der Täter bzw. Verdächtigen vorzunehmen.

Es ist zudem bemerkenswert, dass ethnonationalistische Politik etwa um die Problematik der (Super-)Reichen noch einen großen Bogen macht und sich vor allem über das Thema der Regulierung der "unteren Kaste" profiliert. Letzteres ist natürlich plakativer, und auch rechte Politiker haben oft eine Nähe zur etablierten Wirtschaft oder profitieren von wirtschaftlicher Freizügigkeit, wie viele osteuropäische Staaten mit rechten Regierungen. Hier müssten neue Ideen wirksam werden, die den Menschen mehr Sicherheit geben und die Fragen beantwortet, wie automatisierte Fabriken früher oder später Steuern für Grundeinkommen bezahlen werden, wie jeder Bürger Zugang zu kostenloser Bildung erhalten kann und wie sich Solidarität entlang von Selbstorganisationen der Menschen von unten nach oben bilden kann, anstatt nur top-down verordnet zu werden.

Soziale Transformation

Welchen Weg wird Österreich wählen? Die Situation wirkt verfahren. Österreichs zentralisierte Medien befeuern den Ethnonationalismus, ein FPÖ-Bundespräsident droht, viele europäische Länder, die bei der Suche nach Antworten helfen könnten, sind in der Krise oder haben den Schwenk in Richtung der Trump'schen Politik bereits vollzogen. Es bleibt die fatalistische Hoffnung auf die Wirksamkeit des alten Gesetzes der sozialen Transformation: Jede Bewegung führt zu einer Gegenbewegung. Allerdings wird diese Zeit brauchen, sich zu formieren, da sich zunächst die traditionellen Parteien neu erfinden müssen, wenn sie eine Politik jenseits jener der "unteren Kaste" machen wollen. (Ayad Al-Ani, 10.11.2016)