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Wigald Boning (re.) und Urban Explorer Fritz Meinecke sind die "Geschichtsjäger".

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Wien – Sechs verwaiste Orte, die teils in Vergessenheit geraten sind, suchen der deutsche Komiker Wigald Boning und Fritz Meinecke, Urban Explorer und Youtuber, auf. Die Geschichten dahinter zeigt History ab Sonntag in "Wigald & Fritz – Die Geschichtsjäger".

STANDARD: Sie treten in der ersten Folge mit bunten Socken und türkiser Hose auf, um das Nazi-Eliteinternat Napola Ballenstedt zu besuchen. Als bewusstes Kontrastprogramm zum Grauen, das da vorgeherrscht hat?

Boning: Nein, ich bin ja relativ farbenblind und ziehe mir einfach irgendetwas an. Ich glaube, dass es der Sender gut fand, jemanden dort hinzuschicken, der als Humorist bekannt ist. Es wäre auffälliger gewesen, dort in schwarzer Kleidung aufzukreuzen.

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STANDARD: Später wurden dort die Hakenkreuze entfernt und mit Hammer und Sichel ersetzt.

Boning: Ja. Interessant ist ja, dass das Gebäude nicht nur eine Nazischmiede war, sondern später auch Parteischule der SED und dort eine Kontinuität als Kaderschmiede geherrscht hat.

STANDARD: Humor ist ja Ihre Waffe. Haben Sie ihn bei diesem Format extra zurückgenommen?

Boning: Über solche theoretischen Fragen habe ich nicht groß nachgedacht, aber wenn man den Humor als Waffe sieht, konnte ich sie an diesen Orten selten einsetzen. Ich bin von Neugierde beflügelt hingekommen, um mich mit Zeitzeugen zu unterhalten. Ich war nicht gezwungen, eine Waffe einzusetzen. Und sei es auch nur der Humor.

STANDARD: Auffällig an der Reihe ist die Fixierung auf Hitler und die NS-Zeit. Braucht es Hitler für die Quote?

Boning: Nein, das glaube ich nicht. Hitler braucht es nicht für die Quote. Vielleicht ist er ein Quotengarant bei anderen Sendungen, aber wenn es um verlassene Orte in Deutschland und ihre interessante Geschichte geht, dann hängt einfach ein gewichtiger Teil mit der NS-Zeit zusammen. Etwa Bunker- oder kriegerische Anlagen.

STANDARD: In drei von sechs Sendungen geht es um Orte in der NS-Zeit.

Boning: Es hilft ja nichts, aber diese zwölf Jahre haben in der deutschen Geschichte eine besondere Bedeutung. Die strahlen aus. Die Biedermeierzeit war zwar länger, hat aber in der deutschen Geschichte nicht diese Wirkung wie das Dritte Reich. Zumal es auch wenige mythenbeladene, spannende Orte aus der Zeit des Biedermeier gibt. (lacht) Vielleicht rede ich Blödsinn, aber das ist mein spontaner Eindruck.

STANDARD: Welcher von den sechs besuchten Orten hat am meisten Eindruck hinterlassen?

Boning: Tschernobyl war sicher am spannendsten mit der Todeszone und dem Kraftwerk und für mich auch der Auslöser, dass ich für dieses Format sofort zugesagt habe.

STANDARD: Das oft fotografierte Riesenrad steht dort als Symbol für den Untergang. Was war am interessantesten?

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Boning: Es gibt viele kleine Aspekte. Diese Zone hat einen Durchmesser von etwa 60 Kilometern. Rein kommt man über einen Art Grenzübergang, der von Leuten im Tarnfleck kontrolliert wird. Was sofort auffällt: Alle tragen Militärkleidung. Das hat angeblich den Hintergrund, dass Tarnfleck am billigsten ist. Das sind keine Soldaten, sondern Zivilisten. Viele fahren in Pferdefuhrwerken durch die Gegend. Der erste Weg führte in die Stadt Tschernobyl mit etwa dreitausend Einwohnern. Ein Drittel der Häuser ist heute bewohnt – vor allem von Bauarbeitern, die am neuen Sarkophag mitarbeiten. Die Hälfte Ukrainer, die andere Hälfte französische Facharbeiter. Dort gibt es auch den einzigen Supermarkt, eine Art Tante-Emma-Laden mit bescheidenem Angebot. Verkauft werden dürfen ja nur Produkte von außerhalb der Zone.

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STANDARD: Und die Strahlung?

Boning: Man fährt auf schlechter Straße zum Kraftwerk, hat immer den Geigerzähler dabei und schaut etwas bange, wie sich die Strahlung entwickelt. Auf den Straßen, die dekontaminiert wurden, liegt der Wert meist bei rund 0,5 Millisievert pro Stunde, was in etwa zehnmal so hoch ist wie der Grenzwert in Westeuropa. Gesundheitlich ist das für den Körper für ein paar Tage vertretbar.

STANDARD: Hatten Sie gesundheitliche Bedenken, in das Gebiet zu reisen?

Boning: So groß meine Neugierde auch war, ja, ich hatte Bedenken und habe es davon abhängig gemacht, was das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz sagt. Sie haben mir mitgeteilt, dass es gesundheitlich vertretbar ist, wenn man sich an die Anweisungen des ukrainischen Personals hält, nur drei Tage dort ist, keine Moose im Wald betritt und nur Orte, die freigegeben sind. Meine Referenz war, wie hoch die Strahlenbelastung im Flugzeug ist. Bei einem interkontinentalen Flug ist die vergleichbar mit jener am Kraftwerk.

STANDARD: Wie war der Besuch im Kraftwerk selbst?

Boning: Man muss noch zweimal durch Checkpoints. Bei einer Führung im Kraftwerk erhält man einen weißen Kittel und ein Häubchen, das zwar sauber gewaschen, aber sehr zerschlissen ist, weil nicht mehr in solche Dinge investiert wird. Bis 2001 wurde in zwei Reaktoren ja noch Strom erzeugt, jetzt sind dort noch einige hundert Menschen erstens mit der Sicherung der Brennstäbe beschäftigt und zweitens mit der großen Baustelle des neuen Sarkophags. Es gibt einen Haufen eigentümlicher Sehenswürdigkeiten wie die Geisterstadt Prypjat, die fast nur aus Plattenbauten besteht und von der Natur zurückerobert wird. An mir selbst konnte ich beobachten, wie wir Menschen dazu neigen, sich etwas schönzumalen.

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STANDARD: Zum Beispiel?

Boning: Vom Auto aus sah ich eine Herde Wildpferde und sagte zum Strahlenmediziner, der uns begleitete: Na, ist doch schön und tröstlich, wie sich die Natur alles zurückerobert. Er sagte dann: Wenn Sie sich die Pferde genau ansehen, würden Sie sehen, dass ein großer Teil von ihnen nicht gesund ist. Das ist keine intakte Natur, aber man bastelt sich eine Fluchtmöglichkeit. Dann gelangt man immer wieder an Orte, wo man den Eindruck erhält, dass die Sowjetunion lebt. Die Ukraine ist ja ein zerrissenes Land zwischen Europa und Nichteuropa. Im Kraftwerk herrscht ein rauer Umgangston – etwa "Germans, go faster, faster!" –, den man aus Europa nicht gewöhnt ist. Es gab teils gruselige und teils komische Aspekte wie etwa diese Häubchen im Kraftwerk oder Sicherheitskontrollen, bei denen man feststellt, dass mindestens ein Geigerzähler überhaupt nicht funktioniert. Kontrolliert wurde halt pro forma.

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STANDARD: Wie haben Sie den Reaktorunfall 1986 erlebt?

Boning: Ich war damals in Bremen, 19 Jahre alt und machte Zivildienst. Ich kann mich an eine Wohngemeinschaft erinnern, die sehr viel Wert auf gesundes Essen legte, sich dann aber nur noch von Dosennahrung ernährte.

STANDARD: Sie werden als "Geschichtsfan" bezeichnet. Haben Ihnen diese Orte alle etwas gesagt?

Boning: Ich bin etwas vorgeprägt, weil mein Vater Bücher über Geschichte geschrieben hat. Die Standardwerke über meine Heimatstadt Wildeshausen kommen von ihm. Man sollte es aber nicht zu hoch hängen, ich bin an Geschichte interessiert – wie viele andere auch. Neu war mir zum Beispiel, dass Schorfheide diese Kontinuität als Jagdgebiet seit dem Barockzeitalter hat. Im Grunde sogar bis heute. Nur ist es keine Staatsjagd mehr. Reiche Leute gehen anonym auf die Jagd und machen Deals. Über die Bedeutung der Jagd in der Weltpolitik hatte ich vorher nicht nachgedacht. Das ist ein total interessanter Ort, und wir hatten einen alten Förster dabei, der noch mit Leonid Breschnew gejagt hatte.

STANDARD: "Wigald & Fritz – Die Geschichtsjäger" ist, nun ja, etwas plakativ als Sendungsname. Was meinen Sie?

Boning: Ich nehme das etwas schmunzelnd zur Kenntnis. Zugesagt habe ich ja aus einem egoistischen Interesse, nämlich um meine persönliche Neugierde zu befriedigen. Den Titel habe ich jetzt eher so hingenommen. (lacht)

STANDARD: Mitgeprägt haben Sie ihn nicht?

Boning: Nein. Es gab irgendwann eine Whatsapp-Gruppe. Jeder durfte seine Titelvorschläge reinschreiben. Soweit ich mich erinnere, stammt dieser Titelvorschlag nicht von mir (lacht). Ich möchte aber auch niemanden dafür kritisieren, ich bin ja nicht blöd, nachher war es der Senderchef höchstpersönlich. (lacht) Ich bin aber mit dem Ergebnis dieser schönen Arbeit rundum zufrieden, so kann man es am besten formulieren. (Oliver Mark, 11.11.2016)