Schatten über Amerika und der Welt: Es ging nicht nur um Sorgen von kleinen Leuten – sondern auch um Wut und Hass.

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Eines war nach diesem schwarzen – oder besser republikanisch roten – Wahltag in den USA gleich klar: Wir werden uns nicht nur wundern, was sich durch Donald Trump alles in der Welt ändern wird. Wir, das heißt alle, die sich nicht einfach damit abfinden wollen, dass "wir endgültig im Zeitalter des Populismus angekommen sind" ("Der Spiegel"), werden auch etwas ändern müssen, wenn andere, differenzierte, Positionen Gehör und Wählerstimmen finden sollen. Die Frage ist nur: Was genau sollen/müssen wir ändern?

Die Journalistin Carolin Emcke, ausgezeichnet mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, hat kürzlich in einem ausführlichen "Falter"-Interview sehr präzise differenziert: Das eine seien die Sorgen, die Menschen aus ökonomischen Gründen haben, die Sorgen, abgehängt zu werden, die Wahrnehmung realer Missstände und Ungerechtigkeiten, prekäre Arbeitssituationen, Verdrängung, Angst vor Armut im Alter etc. Darüber müsse man nachdenken, forderte Emcke. Man müsse aber auch genau hinschauen, ob es das sei, was die Menschen so empfänglich für Populisten mache – oder ob es sich in Wahrheit um grundsätzliche Abscheu und Abwehr anderen Menschen gegenüber handle. Dagegen müsse man auftreten. Denn Hass breche nicht plötzlich aus und sei auch nicht individuell. Hass werde vorbereitet und geformt, durch Publikationen, Liedtexte und Bilder (im Netz).

Nervensache

Donald Trump hat sich im Wahlkampf bisher Unvorstellbares geleistet. Er beschimpfte Frauen und Latinos, kränkte Veteranen, beleidigte Behinderte, bedrohte kritische Journalisten und seine Konkurrentin – das Ergebnis kennt man. Es hat ihm letztlich nicht geschadet, vielleicht hat es ihm sogar genützt. Wahrscheinlich gab es Latinos, denen seine Haltung Frauen gegenüber so gut gefiel, dass sie ihm leichten Herzens verziehen, was er über ihresgleichen denkt, und umgekehrt. Wahrscheinlich gibt es Menschen, deren Hass auf das "Establishment" so groß ist, dass sie allein die Vorstellung mit Genugtuung erfüllt, dass "eine/r von denen" bis zur letzten Konsequenz fertiggemacht werden könnte.

ORF-Journalist Hanno Settele hat vor der US-Wahl im Radio gesagt, man unterschätze, wie sehr vielen Amerikanern die Political Correctness auf die Nerven gehe. Sie hätten das Gefühl, "nichts mehr Unkorrektes sagen zu dürfen". Dabei habe sich durch Internet und Social Media nur geändert, dass der schenkelklopfende Stammtisch nicht länger unter sich sei – sondern dass auf jede Unsäglichkeit sofort ein Widerspruch folge. Das vertragen die wenigsten, Widerspruch ist mitunter unangenehm und Diskurs anstrengend, und wer austeilt, kann nicht immer gut einstecken.

Erregungsspirale

Das kann eine Erklärung dafür sein, warum unabhängige Medien so angefeindet werden, zwielichtige, rassistische und rechte Websites dagegen boomen, wieso sich ernsthafte Sachpolitiker so schwertun und Populisten und Demagogen von Ankara bis Washington spektakuläre Erfolge feiern.

Im Übrigen können sich die Herren (und die Dame Le Pen) allesamt bei den von ihnen so verunglimpften und verhassten Medien durchaus bedanken. Es gibt keine bessere Gratiswerbung als die verlässliche mediale Erregungsspirale, die jeder Tabubruch, jede Regelverletzung, jede bewusste Beleidigung von Erdogan über Orbán und Strache bis hin zu Trump auslösen. Überall wird groß berichtet, und schon ist die Spaltung, sind Hass und Ablehnung wieder ein Stück größer geworden.

Was ist die Konsequenz, gerade auch, was die nahende Bundespräsidentenwahl angeht? Über Unsäglichkeiten eines Kandidaten oder seines Umfelds nicht zu berichten? Das ist auch schwer vorstellbar. Vielleicht ist es an der Zeit zuzugeben: Wir haben in Wahrheit alle keine Ahnung, wie diese Büchse der Pandora wieder zu schließen ist.

Kleine Brötchen backen

Vielleicht sollte man ja klein beginnen, bei sich selbst – so wie jener Radfahrer heute früh in der Wiener Marxergasse, der einen Autofahrer an der Kreuzung höflich darauf aufmerksam machte, dass er ihn, den Radweg ignorierend, durch seinen Fahrstil gefährdet hatte – und ihn bat, künftig besser aufzupassen. Der Mann im Mercedes-Kombi schimpfte sofort los, und der Radfahrer sagte: "Es war nur als Anregung. Haben Sie noch einen schönen Tag."

Carolin Emcke, die mit dem Friedenspreis, denkt offenbar ähnlich: Gelegentlich, so sagte sie im "Falter", würde in der gegenwärtigen fanatisierten Atmosphäre schon eine Rückkehr zu einfachen Formen der Höflichkeit reichen, um manche menschenverachtende Position oder Geste einzuhegen. (Petra Stuiber, 10.11.2016)