Viele Opfer befürchten, dass sich der Bund mit dem Staatsakt aus der Verantwortung stehlen will.

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Innsbruck/Wien – Am 17. November lädt die Republik Österreich zusammen mit der römisch-katholischen Kirche die Opfer von Missbrauch in staatlichen sowie kirchlichen Einrichtungen zu einem Staatsakt in den historischen Sitzungssaal des Parlaments. Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) initiierte die Veranstaltung unter dem Titel "Geste der Verantwortung" auf vielfachen und seit langem geäußerten "Wunsch der Betroffenen", heißt es aus ihrem Büro. Doch nicht alle ehemaligen Opfer sind von der Idee angetan, und an der geplanten Umsetzung gibt es viel Kritik.

Bund drückt sich vor Verantwortung

Hintergrund dafür ist die jahrelange Untätigkeit seitens des Bundes. Bis heute fehlt in Österreich eine übergeordnete Stelle, die sich der Missbrauchsfälle angenommen hätte. Gerade hinsichtlich der Judikatur wäre dies aber dringend notwendig, um eine einheitliche Entschädigung sicherzustellen. Stattdessen sehen sich die Opfer hierzulande einem wahren Wildwuchs an Kommissionen gegenüber. Viele müssen – je nachdem, wo ihnen von wem ein Unrecht angetan wurde – einen Spießrutenlauf von Kommission zu Kommission ertragen. Die Art und Höhe der Entschädigung hängt davon ab, wie gut die Betroffenen diese Hürden meistern. Das sorgte auch unter den Opfern für Missgunst und Zwietracht. Sie sind nirgends organisiert, es gibt einige kleinere Gruppierungen und Vereine, aber kein zentrales Sprachrohr.

Betroffene sind sich uneins, was Staatsakt anbelangt

Robert Volek vom Verein "Wir Heimkinder", dem 103 Mitglieder angehören, die Opfer von Missbrauch und Misshandlungen wurden, zählt zu den Unterstützern des Staatsaktes: "Seit sechs Jahren fordern wir das. Nun muss der Bund Charakter zeigen." Volek sieht den 17. November als Auftakt für die Republik, endlich tätig zu werden: "Ich will hören, was die Verantwortlichen sagen. Wie wird es zum Beispiel weitergehen in Sachen Opferpension?"

Peter Ruzsicska, ebenfalls ehemals Gepeinigter, ist anderer Meinung: "Der geplante Staatsakt für Missbrauchsopfer ist eine dreckige Farce." Zugleich kritisiert er Leidensgenossen wie Volek, die an der Zeremonie teilnehmen, und unterstellt ihnen das "Stockholmsyndrom". Ruzsicska fordert Taten statt Worte und fürchtet, die Republik wolle sich mit der Zeremonie reinwaschen: "Sie sollen endlich Gesetze erlassen, die unsere Rechtsansprüche als Opfer garantieren." Dass die Kirche am Akt teilnimmt, ist für ihn, wie viele andere, unverständlich. Zudem stoßen sich Kritiker daran, dass niemand seitens der Opfer selbst zu Wort kommen wird.

Schauspieler sprechen statt Opfern

Bures hat fünf Schauspieler, darunter Karl Markovics und Miriam Fussenegger, engagiert, die Geschichten von Betroffenen vortragen werden. Man habe einerseits keine Auswahl unter den tausenden Opfern treffen können, und andererseits hätten Experten davon abgeraten, sie selbst auf die Bühne zu holen, weil es für viele zu traumatisch sei, das Erlebte in wenigen Minuten wiederzugeben. Zudem habe sich niemand bei Bures gemeldet, der gerne sprechen würde.

Niemand ist zuständig

Die wichtigste Frage abseits des Protokolls bleibt jedoch, was nach dem 17. November passieren wird. Seitens Bures betont man, dass der Staatsakt keineswegs einen Schlussstrich darstellen soll. Ob er allerdings der von vielen geforderte Startschuss für ein längst überfälliges Tätigwerden des Bundes ist, kann man auch nicht beantworten: "Was in der Folge passiert, liegt außerhalb unseres Verantwortungsbereiches." Man habe jedoch im Vorfeld Gespräche mit allen Ministerien geführt. Am naheliegendsten wäre, dass sich Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) der Agenda annimmt. Doch der wollte dazu am Montag keine Stellungnahme abgeben. (Steffen Arora, Katharina Mittelstaedt, 8.11.2016)