Wenn Wiens gastronomischer Paradetürke Attila Dogudan "Döner" sagt, dann klingt das wie "Donner", nur mit ö. Man darf annehmen, dass dies die korrekte Aussprache für den massiven Senkrechtspieß ist, der in den 1970er-Jahren ausgerechnet in Berlin zum ersten Mal in ein Sandwich gesäbelt wurde. Die Schnellfutterszene Europas wird seither ziemlich maßgeblich von ihm geprägt. Dogudan lässt im Do & Co auf dem Stephansplatz den zweifelsfrei nobelsten Döner Mitteleuropas servieren.

25 Euro kostet die Portion, Gewürzreis ("iç Pilav") und Melanzanipüree ("Begendi") inklusive. Dafür ist das dünn gesäbelte Kalb- und Lammfleisch auch zuverlässig knusprig bei gleichzeitiger Saftigkeit. In dieser sandwichfreien Version blickt Döner auf deutlich längere Tradition zurück: Der Legende nach soll er in Bursa, der früheren Hauptstadt des Osmanischen Reichs, vor rund 150 Jahren entstanden sein.

Theoretisch eine ausgewogene Mahlzeit

Am Brunnenmarkt, auf der Sechshauser Straße oder in den hinteren Eingeweiden von Favoriten hingegen geht ein Dönersandwich mitunter um 1,80 Euro über die Budel. Das ist ein guter Preis für einen Snack, der alle Voraussetzungen für eine ausgewogene Mahlzeit in sich vereint - zumindest auf dem Papier: Die Kombination aus Kohlehydraten, fermentierter Milch, gegrilltem Fleisch, Salat, Kräutern und Rohkost, dazu eine nicht zu knappe Ration Chiliflocken (Pul Biber) zum Schutz der Magenschleimhaut, hat eigentlich alles, was ein vernünftiger Snack beinhalten sollte.

Nur: Was tatsächlich ins Laberl kommt, hat in allzu vielen Fällen nur den Namen mit der ursprünglichen Idee gemein. Die Gammelfleischskandale der vergangenen Jahre, aber auch der aggressiv kunstwürzige Duft, mit dem sich ein nahes Standl sogar gegen den Wind ankündigt, haben dazu geführt, dass Döner vielen längst nicht mehr als snackfähig erscheint.

Wenige Zutaten sollten eigentlich ein Garant für Erfolg sein - dennoch kann gerade bei Döner sehr viel falsch gemacht werden.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Im Jahr des Döner

"In ein gutes Dönersandwich gehören neben Fleisch nur Salat, Tomate, Zwiebel und Joghurt", sagt Yasar Sarikoç, der den Döner vor exakt 30 Jahren nach Wien gebracht hat. Zum ersten Mal ließ der aus Trabzon gebürtige Gastronom den Spieß 1984 in einem Imbiss auf der Hütteldorfer Straße drehen, ab 1987 kam das bis heute bestehende Kebab-Haus in der Operngasse dazu.

Allabendlich bildeten sich hier Schlangen von Nachtschwärmern, die den knusprig exotischen Würzbissen als Alternative zu Burenhäutl und Leberkäs bejubelten. Damals schien es so, als ob die Türken Wiens im Begriff seien, richtig anzukommen und sich zu integrieren. Umgekehrt konnte man hoffen, dass die Wiener lernen würden, ihre billigen Arbeitskräfte endlich auch kulturell und kulinarisch willkommen zu heißen. Über die Jahre änderte sich dieser hoffnungsfrohe erste Eindruck. Der Erfolg hat auch dem Dönersandwich nicht gutgetan, wiewohl das Kebab-Haus dem Vernehmen nach immer noch zu den besser beleumundeten Adressen der Stadt gehört. Gammelfleisch und krasse Überwürzung haben den Döner längst zum Synonym für unverdaulichen Wohlstandsmüll gemacht.

Wie Mörtel in der Mauer

Die wichtigste Zutat beim Döner sei deshalb das Fleisch, weiß Sarikoç, "speziell deshalb, weil damit so viel Schindluder getrieben wird". Während Puristen nur geschichtete, mit nichts als Salz, Zwiebelsaft und Joghurt marinierte Fleischlappen von Kalb, Lamm und Rind (samt Fettbrocken obenauf fürs automatische Begießen) zulassen, gibt es durchaus gültige Argumente dafür, zwischen die Fleischstücke wenig Faschiertes zu spachteln, wie dies beim Iskender Kebab (gibt's auch schon seit 130 Jahren) Tradition ist: "Man muss sich das vorstellen wie Mörtel in der Mauer", sagt Sarikoç, "man kann dadurch größere, gleichmäßig dünne und knusprige Lappen vom Spieß säbeln." Die längst überwiegende Form des Döners besteht aber aus tiefgekühlten, mit Unmengen an Glutamat behandelten Formfleisch-Kegeln aus der Fleischfabrik – die zwar problemlos dem Lebensmittelkodex entsprechen, aber niemandem mit gutem Gewissen zum Genuss empfohlen werden können.

Herausforderung

"Ich halte das Zeug rein physisch nicht aus", sagt etwa Raetus Wetter, Gastronom am Ottakringer Yppenplatz, "ich liebe Döner, aber danach geht es mir immer dreckig. Wenn nicht bald einer kommt und es richtig gut macht, dann sperre ich noch selber ein türkisches Lokal auf", lacht er. Das klingt nur aufs Erste abwegig, schließlich hat Wetter mit seinem gleichnamigen Restaurant schon den Italienern der Stadt gezeigt, wie eine zeitgemäße Trattoria auch in Wien mit richtiger Sehnsuchtsküche bekocht werden kann.

Meinrad Neunkirchner machte ein Döner-Sandwich appetitlich zurecht, Gerhard Wasserbauer drückte ab.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Ähnlich ernüchternd fällt eine Facebook-Umfrage unter in Wien lebenden Türken aus: Wer guten Döner suche, der solle sich nach Schwechat aufmachen, heißt es mehrfach, und nach Istanbul fliegen. In Wien gebe es keinen Döner, der dem stolzen Namen zur Ehre gereiche.

Auf Nachbohren werden dann doch ein paar Alternativen genannt: der traditionsreiche "Kümmeltürk" in Favoriten (Rotenhofgasse 11), das "Diwan" auf der Märzstraße im 15. Bezirk und das "Lale" am Schwedenplatz, wobei Letztere Bonuspunkte bekommen, weil die Spieße hier nicht nur selbst geschichtet sind, sondern sich auch vor einem Turm glühender Holzkohle drehen. Das sei zwar auch im vielgerühmten Kent in Wien-Ottakring der Fall, allerdings werde das Pide-Brot dort nicht für jedes Sandwich frisch gebacken.

Der beste Döner im Land

Sara Heigl, Universitätslektorin und Übersetzerin türkischer Literatur, hat es sich zum Hobby gemacht, den besten Döner im Land zu finden. Bisher hat sie noch keinen entdeckt, der ihren in der Türkei gesetzten Standards entspräche: "Es ist entmutigend, wie wenig von dieser fabelhaften Küche bei uns ankommt", sagt sie.

Ein Grund ist wohl in der Geografie zu suchen: "Die große türkische Küche mit ihrer Vielfalt und Finesse wurzelt in Istanbul und an der Westküste des Landes – von dort aber kamen traditionell kaum Gastarbeiter zu uns." Die stammen großteils aus Zentralanatolien, wo die Küche zwar deutlich einfacher gestrickt sei, so Heigl, "aber gerade gegrilltes Fleisch einen wichtigen Platz einnimmt". So gesehen erscheint freilich noch rätselhafter, warum die Döner aus Wien so übel beleumundet sind – wo doch alle Voraussetzungen für einen Ruf wie Donnerhall vorhanden wären. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 12.9.2014)