Die Rolling Stones live im Wiener Ernst-Happel-Stadion.

Foto: robert newald

Wien - Dass die bösen alten Menschen, die heute bei den Rolling Stones im Wiener Praterstadion herumstehen, die herausgestreckte Zunge von Miley Cyrus auf ihren T-Shirts tragen, ist eine Riesengemeinheit. Leave Miley alone! Ein Schlecker, der sich über einen Gössermuskel und eine Gedenkstätte für ein niederösterreichisches Blutbild wie ein letscherter Leberkas in Infarktrot spannt, sieht nicht gut aus. Die ganz knallharten Typen kombinieren das mit Combat-Hosen in Vorschulalter-Camouflage, Badeschlapfen und Pferdeschwanz mit Umhängetasche. Rock und Roll ist eine Kinderjause.

Theater, Theater, die Lichter gehen aus: Keith Richards erscheint 20 Meter groß in drei unfassbar hässlichen Bilderrahmen hinter der Bühne und verpfuscht das Riff von "Start Me Up" dieses eine Mal, nämlich heute extra in Wien nicht. Das ist nicht schwer. Aber was ist in der 52-jährigen Geschichte der Rolling Stones schon leicht, wenn es ums Live-Spielen geht? Heute wissen die Rolling Stones immerhin, wo sie gerade sind. Das war nicht immer so. Sie sind Engländer. Engländer sind geboren, um auf Fotos in Jugendmagazinen unterernährt cool mit schlechten Zähnen in die Kamera zu schauen und so zu tun, als ob sie die Welt brennen sehen wollen. Dafür müssen sie meist gar nicht so tun. Sie sind darin authentisch. Cool ist übrigens eine Sammelbezeichnung für "Ich weiß nicht, wo ich bin, weil ich wegen meiner Bindehautentzündung durch meine Sonnenbrille nachts sehr schlecht sehe, aber es ist mir auch egal".

Ungefähr 32 oder 20 Jahre nach dem letzten guten Konzert der Rolling Stones in Wien scheint Keith Richards heute zumindest die laut Genfer Konvention vereinbarten Mindestanforderungen an ein Zusammenspiel mit verfreundeten Musikern erfüllen zu wollen. "You Got Me Rocking" und der aus Peter Burschs Gitarrenlexikon für Rockgitarristen bekannte Hadern "It's Only Rock 'n' Roll" (E-Dur hat vier Kreuze, aber geh scheißen!) bluesen herum wie eine Cover-Band der berühmten Blues Brothers. Dieser Stil muss sich nicht mehr durchsetzen. Er ist tot.

Mick Jagger kündigt nun gebrochen deutsch "etwas Romantisches zum Kuscheln" an. Es folgt "Angie" von Peter Bursch auf a-Moll. Die Akkordfolge ist so ähnlich wie bei "Die Moorsoldaten" oder "House of the Rising Sun", aber eine Spur gewiefter. Mick Jagger und Keith Richards haben den Song vor 39 Jahren geschrieben. Es ging irgendwie um Frauen und um die Frage, wann die dunklen Wolken über dem Kopf endlich verschwinden werden. Möglicherweise war die Verwendung einer akustischen Gitarre die Sensation des Abends.

Mick Jagger kündigt nun allen Ernstes an, "Rise Like A Phoenix" von Conchita Wurst spielen zu wollen. Im Publikum gelangt man teilweise zur Meinung: "So a Trottel." Mick Jagger läuft auf einem Steg mitten ins Publikum und macht dabei Brustschwimmbewegungen, an deren Ende die Finger nicht geschlossen bleiben, sondern dramatisch flattern. Es folgt wieder etwas mit Wolken: "Hey, du, verschwinde aus meiner iCloud!" Ja, auch alte Leute können mit den Jungen mithalten, wenn man sie für solche modernen Themen begeistern kann.

Mick Jagger singt nun in "Out Of Control" darüber, dass er früher bei der Erfindung der Ausschweifung und der Drogenvergehen unmittelbar live dabei war. Die Musik ist rockig und gitarrenbetont. Einer im Publikum bezeichnet das später einmal als "geil". Wobei man sagen muss, dass von alten Leuten eigentlich keine starken Reize ausgehen. Weil wir gerade dabei sind: Keith Richards trägt einen schwarz glänzenden Freizeitanzug mit Gummibund. Diesen Stil kann man am Samstagmittag auch beim Billa vor dem Tiefkühler beobachten. Weil es ja wurscht ist, wie man einkaufen geht. In der Stadt kennt dich eh keiner - und auf dem Land haben sie sich mit dir abgefunden.

Es folgen "Honky Tonk Woman", zwei Kann-nicht-singen-will-nicht-singen-Lieder von Keith Richards und der Gastauftritt von Howard Carpendale, einen gemusterten Schal zum Darinwohnen umgehängt. Bei näherer Betrachtung entpuppt er sich als Mick Taylor. Das war früher der Mann, der bei den Rolling Stones Gitarre spielen konnte. Sie spielen gemeinsam den Musikschullehrer-Blues "Midnight Rambler". Danach folgt ein Lied namens "Miss You", in dem der moderne Discostil propagiert wird, weil die Stones künstlerisch nicht stehenbleiben wollen. Mit "Gimme Shelter", "Jumpin' Jack Flash", dem total bedrohlichen, weil weltweit gerade wieder brandaktuellen "Sympathy For The Devil", in dem es um das Böse in uns allen geht (aber mit einem leiwanden Grundbeat), geht es fast zu Ende. Kurz bevor es aus ist, rockt man noch durch eine Deutung des alten Schlagers "Glücklich ist, wer vergisst ...". Hier singt ein extra dazugekommener Wiener Chor dazu "You can't always get what you want". Mit welchem Lied die Rolling Stones ihr Konzert beendet haben, wissen wir, ohne darüber nachzudenken. Wir wollen sie alle, können sie aber speziell im philosophischen Sinn niemals ganz kriegen. Blödsinn, so sprechen auch nur alte Leute. Die Jungen sagen: Wir kriegen überhaupt keine, du blödes System!

Die Zungen-T-Shirts von Miley Cyrus schauen übrigens echt cool aus. (Christian Schachinger, derStandard.at, 17.6.2014)