"Die Probleme werden für die Justiz oft nicht geringer, wenn sich die Politik in Kriminalfälle mischt": Spitzenjurist Pleischl über seine Skepsis, was U-Ausschüsse betrifft.

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STANDARD: Sie leiten nun jene Institution, die als "Hüterin des Rechts" gilt und für Berufungen zuständig ist. Bei den Korruptionscausen fällt auf, dass zwischen strengen Ersturteilen und den meist reduzierten Strafantritten mitunter Jahre vergehen können. Arbeiten die Gerichte zu wenig sorgfältig?

Pleischl: Das Problem liegt hier im System. Zuerst werden in mühsamer Arbeit die Urteile gefällt, schriftlich ausgefertigt, zugestellt - und wenn, was meist der Fall ist, Nichtigkeitsbeschwerde eingebracht wird, dauern die Verfahren umso länger. Daher meine ich, dass man das Rechtsmittelsystem ändern sollte.

STANDARD: Wie konkret?

Pleischl: Wir haben vier Gerichtsstufen - Bezirksgericht, Landesgericht, Oberlandesgericht, Oberster Gerichtshof -, jedoch im Strafverfahren nur zwei Instanzen und daher nur eine Möglichkeit der Anfechtung. Bei den großen Verfahren, die über uns an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden, gibt es - grob gesagt - nur eine formale Überprüfung der Urteile, kaum eine inhaltliche, also dass man etwa ergänzend Zeugen einvernehmen könnte. Damit gibt es nur alles oder nichts: Entweder wird bestätigt - oder aufgehoben, und dann muss alles zurück an den Start. Mit der Einrichtung einer zweiten Tatsacheninstanz, die inhaltliche Prüfbefugnisse hat, bekämen wir schneller rechtskräftige Urteile.

STANDARD: Allein im Fall Hypo liegen zig Sachverhaltsdarstellungen gegen mehr als hundert Personen vor. Wie lange dauert es, bis dieser Komplex aufgearbeitet ist - ein Jahrzehnt womöglich?

Pleischl: Der Komplex war bisher außerhalb meiner Zuständigkeit.

STANDARD: Was sich aber ändert, sobald es zu Nichtigkeitsbeschwerden kommt?

Pleischl: Ich nehme an, dass das noch dauert. Doch binnen einem Jahrzehnt sollten die erstinstanzlichen Urteile gefällt sein - auch wenn ich den Kollegen die Latte nicht zu hoch legen möchte. Denn dass da immer wieder Neues anfällt oder auffällt, liegt auf der Hand. Große Verfahren wie diese reproduzieren sich ja auch selbst, weil sich etwa Zeugenaussagen als falsch herausstellen - dann sind Teile neu aufzurollen. Mit der Reform der Strafprozessordnung sollte sich aber auch eine raschere Abwicklung ergeben.

STANDARD: Die Koalitionsparteien versichern, nach juristischer Aufarbeitung steht der Einrichtung eines U-Ausschusses zur Hypo nichts im Wege. Reine Hinhaltetaktik oder ein seriöses Argument?

Pleischl: Dazu habe ich eine Meinung, aber die kann und will ich als Beamter hier nicht preisgeben. Fest steht, dass die politische Kontrolle wichtig ist. Aber die Probleme werden für die Justiz oft nicht geringer, wenn sich die Politik in Kriminalfälle mischt. Diese Spannung sollte auch im Zuge der U-Ausschuss-Reform aufgelöst werden. Wenn eine Minderheit im Parlament künftig eine unbegrenzte Zeugenliste beschließen könnte, kann das für Personen, die in einem Verfahren nur am Rande beteiligt sind, schädlich werden.

STANDARD: Die Mitglieder der Hypo-U-Kommission der Regierung mussten Verträge unterschreiben, dass ihre Arbeit dem Amtsgeheimnis unterliegt - besteht da nicht Vertuschungsgefahr?

Pleischl: Auch in diesen Akten können sich sensible Daten über Unbeteiligte finden.

STANDARD: Wenn die U-Kommission feststellt, dass frühere Finanzminister beim Krisenmanagement Fehler gemacht haben: Wäre es auch da gerechtfertigt, die Öffentlichkeit nicht zu informieren?

Pleischl: Falls das so wäre, müsste die Kommission wohl die Tatsachen offenlegen, wenn sie dazu in der Lage wäre.

STANDARD: Halten Sie das Amtsgeheimnis noch für zeitgemäß?

Pleischl: Grundsätzlich nein. Aber da, wo jemand zu schützen ist, der etwa im Zuge von Hausdurchsuchungen oder Telefonüberwachungen in Ermittlungen geraten ist, muss es Ausnahmen geben.

STANDARD: Was soll mit dem Weisungsrecht geschehen?

Pleischl: Mit der bloßen Möglichkeit der politischen Einflussnahme haben die Staatsanwälte einen Klotz am Bein. Ständig sind sie dem Verdacht ausgesetzt, aus politischen Gründen so oder anders gehandelt zu haben - egal, ob der Justizminister nun eine Weisung erteilt hat. Ich gebe aber zu bedenken, dass auch ein von einer breiten Mehrheit des Parlaments ernannter Bundesstaatsanwalt hinsichtlich möglicher Einflussnahmen einer Kontrolle unterliegen muss. Man könnte das Weisungsrecht auch an die vier Leitenden Oberstaatsanwälte übertragen, denn dann würde ein Mehraugenprinzip gelten.

STANDARD: Als Leitender Oberstaatsanwalt gerieten Sie selbst wegen Weisungen im Fall Kampusch und rund um die beantragte Verhaftung des Meinl-Bank-Chefs ins Visier der Justiz, die nach interner Prüfung aber als korrekt qualifiziert wurden. Muss man als hoher Beamter auch oft auf der Hut sein?

Pleischl: Definitiv, aber mit Recht. Denn in der Justiz gibt es für alles klare Vorschriften. Für Verhaftungen etwa gibt es konkrete Voraussetzungen, sodass nicht jeder einzelne Staatsanwalt allein dahinfuhrwerken kann.

STANDARD: Der grüne Abgeordnete Peter Pilz nennt Ihre Bestellung "einen weiteren Schritt zur Verdunkelung des Rechtsstaates" - unter anderem, weil Sie einen mordverdächtigen KGB-Offizier ausreisen ließen. Faktum oder Mythos?

Pleischl: Wegen seiner Immunität kann Pilz vieles behaupten. Tatsache ist, dass gegen den Kommandanten der russischen Truppen, die einst den Sender in Vilnius besetzt hatten, ein internationaler Haftbefehl vorlag. Als der Mann hier festgenommen wurde, hat mich der zuständige Staatsanwalt um drei Uhr früh angerufen, dass der russische Gesandte für die Enthaftung interveniere. Was ich dann angeordnet habe, war, dass der diabeteskranke Kommandant bis zum Entscheid am Flughafen festzuhalten ist, anstatt ihn um halb vier ins Gefangenenhaus zu überführen. Danach hab ich übrigens nicht mehr schlafen können und begonnen, den Garten zu gießen. Wenige Stunden später haben alle Behörden einhellig entschieden, dass die U-Haft nicht zu verhängen ist, weil die Litauer keine ausreichenden Auslieferungsunterlagen liefern konnten.

STANDARD: Angesichts interner Dokumente über vernachlässigte und misshandelte Häftlinge in Justizanstalten ist der Strafvollzug wieder unter heftiger Kritik - Ihr Eindruck?

Pleischl: Wenn man Menschen die Freiheit nimmt, muss man dafür sorgen, dass ihre Würde gewahrt bleibt. Das, was da zu sehen war, gehört abgestellt.

STANDARD: Sie gelten als umstrittener Spitzenbeamter mit rotem Parteibuch - schon einmal überlegt, es wegen der Angriffe zurückzulegen?

Pleischl: Nein, denn was würde sich dadurch ändern? Ich habe stets darauf geachtet, meine politischen Ansichten aus der Arbeit herauszuhalten. Aber jetzt bin ich doch ein wenig stolz, dass meine wichtigsten Karriereschritte nicht unter roten Ministern erfolgt sind. (Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 4.6.2014)